EU macht steigende Energiepreise zur Chefsache
(dpa) - Die Preisexplosion auf den Energiemärkten in Europa ruft die Politik auf den Plan. Frankreich kündigte eine Deckelung der Tarife für Gas und Strom über die Wintermonate hinweg an. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten wollen das Thema bei einem Gipfel am 21. und 22. Oktober besprechen. Mitgliedstaaten wie Spanien fordern ein gemeinsames Vorgehen auf EU-Ebene, um den Anstieg zu dämpfen.
Der Preis für Erdgas war in den vergangenen Monaten drastisch gestiegen. Die Gaspreise hätten „historische Höchststände“erreicht, sagte der Chef von Deutschlands größtem Gasimporteur Uniper, Klaus-Dieter Maubach. Im Großhandel koste eine Megawattstunde Gas zur Lieferung im ersten Quartal kommenden Jahres inzwischen über 90 Euro, vor einem Jahr habe der Preis noch weniger als zehn Euro betragen. Ähnlich sei die Entwicklung beim Strom. Es sei damit zur rechnen, dass die Energiepreise wegen der großen Nachfrage auf den Weltmärkten und unterdurchschnittlich gefüllter Gasspeicher in Deutschland und Europa länger auf dem hohen Niveau blieben.
Im ersten Halbjahr 2021 sind die Privathaushalte in Deutschland bei den Energiekosten nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes noch vergleichsweise glimpflich davongekommen. Für Strom und Gas mussten sie jeweils 4,7 Prozent mehr zahlen als in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres. Der Durchschnittspreis für Strom stieg um 1,46 Cent auf 32,62 Cent je Kilowattstunde, Gas verteuerte sich um 0,29 Cent auf 6,41 Cent je Kilowattstunde, teilte die Wiesbadener Behörde am Freitag mit.
- Alle haben ihre Sachen abgegeben, die Laptops und iPhones sind hinten. Karl Deppler blickt von den Lieferscheinen auf und reagiert mit einem Lächeln auf die Nachricht seines Kollegen. Hinter dem Ostracher im Werk 3 stehen mehrere Reihen mit Schränken, Türen, Schubläden, ordentlich in Pappe gepackt, versandfertig. Seit 35 Jahren arbeitet Deppler für Alno, zuletzt als Leiter der Versandabteilung. Er ist in den kommenden Tagen für eine Aufgabe zuständig: Er muss die letzten in Pfullendorf produzierten Bauteile für Alno-Küchen noch an Händler und Kunden schicken.
„Ich bin bis zum letzten Tag dabei – voller Begeisterung“, sagt Deppler. Im Januar hätte er sein 36. Jahr bei der Alno, wie die Menschen im Linzgau das Unternehmen liebevoll nennen, vollgemacht. So weit kommt es nicht mehr. Im Sommer hat die Neue Alno GmbH Insolvenz angemeldet. Ein Unternehmen, bei dem der Zusatz „Neue“all die Hoffnung, die Zuversicht und die Begeisterung symbolisierte, die Geschäftsführung und Mitarbeiter im Januar 2018 mit dem Neustart verbanden. Dem Neustart, der dem langen Siechtum und der Insolvenz der alten Alno AG folgte.
Nach Jahren, in denen Manager kamen und gingen, Vorstände in die eigenen Taschen wirtschafteten und sich zum Schluss mit einem Investor einen Kampf um die Macht in Pfullendorf lieferten, sollte endlich Ruhe einkehren – und aus dem Weltkonzern mit globalen Plänen ein bodenständiger Mittelständler werden. Es hat am Ende nicht geklappt. „Das tut schon weh, Alno war meine zweite Heimat“, sagt Karl Depper und blickt am Freitag aus der noch hell erleuchteten Versandhalle hin zur Endmontage. Dort ist die Deckenbeleuchtung ausgeschaltet, die Förderbänder enden im dunklen Dämmerlicht. In einigen Regalen liegen sauber aufgeschichtet noch Regalböden. Der makellose Betonboden ist frisch gefegt und sauber.
„Wenn man die Produktion nicht ins Laufen bekommt, dann nützt alles andere auch nichts“, sagt Jochen Braun. Gemeinsam mit Michael Spadinger hat der Schwabe zuletzt die Geschäfte geführt und hat gekämpft, dass sich die Hoffnungen der AlnoMitarbeiter erfüllen. Der aus Nusplingen auf der Schwäbischen Alb stammende Manager steht in der fast dunklen Teileproduktion im Werk 1 und erläutert die Gründe für das Aus. „Wir haben die Produkte neu ausgerichtet und hatten dann Küchen, die die Menschen wollten“, erzählt Braun. Während der Markt während der Corona-Pandemie um drei Prozent gewachsen sei, hätten die Aufträge bei Alno um 61 Prozent zugelegt.
„Aber die Produktion bei uns war überdimensioniert, und die IT, die die Maschinen steuert, veraltet“, erläutert Braun. Überdimensioniert in dem Sinne, dass die Sägen und Fräsen, die die Bauteile produzieren, zu weit weg standen von den Montageständen. Mit Gabelstaplern mussten die Alno-Mitarbeiter die Teile immer hin und her fahren, was Zeit und Geld kostete. „Das war alles für sehr viel größere Stückzahlen ausgelegt“, sagt Braun weiter. Und wenn dann noch grundlegende Maße falsch bei den Maschinen ankommen, weil die IT-Technik noch auf 2-Bit-Basis läuft, obwohl bei solchen Anwendungen längst 64-Bit-Systeme Standard sind, stellt die Produktion nicht nur zu wenig Küchen viel zu langsam her, sondern auch zu viele fehlerhaft. „Als die Aufträge dann im Jahr 2020 mehr und mehr kamen und die Produktion hochlief, war schnell klar, dass investiert werden musste“, erklärt Braun. „Wir hätten die Prozesse eindampfen, die IT erneuern müssen.“Wie viel Geld notwendig gewesen wäre, sagt Braun nicht.
Der Manager ist bemüht, alle Fragen sachlich zu erläutern, aber wenn er durch die dunklen Gänge des Plattenlagers geht, ist ihm anzumerken, dass ihn bei aller Professionalität das Aus von Alno nicht kalt lässt, obwohl er ja erst seit Anfang 2020 die Verantwortung hatte. „Ich war sehr schnell vom Alno-Virus infiziert“, erzählt Braun. Mit Alno-Virus meint Braun den Teamgeist in der Belegschaft. „Der Zusammenhalt war enorm.“
An der Leidenschaft der zwei Geschäftsführer hat es jedenfalls nicht gelegen. Michael Spadinger, mit dem Braun gemeinsam seit 2020 die Geschäfte von Alno verantwortet, redet am vergangenen Dienstag noch immer so, als ob die Produktion bei Alno auf vollen Touren läuft. „Wir bekommen mit einfachen Materialien Luxusoptiken hin“, sagt Spadinger, als er durch die verbliebenen Küchen in der Ausstellung am Stammsitz in Pfullendorf geht. „Und das fertigen wir hier alles am Standort.“Alno habe ein Produkt gehabt, das der Markt wollte. Ein Team, das das Produkt verkauft, sei da gewesen – und „ich habe geglaubt, dass die Produktion produziert, was ich verkaufe“, erzählt Spadinger.
Aber spätestens im zweiten Halbjahr 2020 ist in Pfullendorf klar, dass die Produktion eben nicht so aufgestellt ist, dass sie die Küchen, die sich Spadinger und Braun in Zusammenarbeit mit den Händlern für die eingeführte Marke Alno überlegt haben, herstellen kann.
Weil der Finanzinvestor Riverrock, der die Fabrik 2017 aus der Insolvenzmasse gekauft hatte, kein neues Geld mehr nachschießen kann und will, beginnen Braun und Spadinger mit ihrem britischen Eigentümer nach einem Investor zu suchen.
„An Riverrock hat es nicht gelegen, Riverrock hat sich außergewöhnlich engagiert“, sagt Braun über die vergangenen Monate. Die Briten investieren im Laufe der vergangenen vier Jahre weit mehr als die 20 Millionen Euro, die sie am Anfang für Produktion, Grundstück und Maschinen zahlen. Und auf die Frage, ob die erste Geschäftsführung um den Manager Thomas Kresser, der die Neue Alno GmbH nach der Neugründung von 2018 bis 2020 geführt hat, Fehler gemacht habe, antwortet Braun: „Ich weiß es nicht, ich kenne die Rahmenbedingungen von damals nicht, ich weiß nicht, was ich gemacht hätte.“
Waltraud Klaiber kennt nicht nur die Startschwierigkeiten der Neuen Alno GmbH genau. Die Pfullendorferin weiß viel, viel mehr: Seit Jahren erlebt die Betriebsratschefin die Auf und Abs des Küchenbauers hautnah.
Aber reden will sie nicht mehr. „Ich könnte viel erzählen, ich will das alles aber nicht mehr aufwühlen. Es bringt nichts. Ich muss endlich damit abschließen“, sagt sie. „Immerhin haben wir am Ende noch die Transfergesellschaft hinbekommen.“
Fast alle Mitarbeiter sind in den vergangenen Wochen in die Transfergesellschaft gewechselt, die sie in den nächsten Monaten für neue Jobs jenseits des Pfullendorfer Küchenbauers qualifizieren soll. Finanziert wird die Gesellschaft durch Gelder, die von Riverrock kommen, und durch die Erlöse aus dem Verkauf der Marke Alno, des Grundstücks und der Hallen an das nordrhein-westfälische Möbelund Caravan-Unternehmen Vierhaus.
„Es stand Spitz auf Knopf“, sagt Michael Spadinger über die Gründung der Auffanggesellschaft. Nachdem der letzte Interessent, der über einen Einstieg bei Alno nachgedacht hat, abgesagt habe, habe er den Kontakt zu Vierhaus hergestellt. „Ich kenne Arndt Vierhaus seit Jahren und habe ihn zufällig in einem Hotel in Ostrach wiedergetroffen“, erzählt Spadinger weiter. „Ohne den Verkauf wäre die Transfergesellschaft nicht zu realisieren gewesen.“
Was die Vierhaus-Gruppe mit den Hallen, dem Grundstück und der Marke vorhat, ist unklar. „Gehen Sie mal davon aus, dass ich dort keine Küchen produzieren werde“, sagte Vierhaus-Chef Arndt Vierhaus der Zeitschrift „Möbelkultur“. Die VierhausGruppe stellt hochwertige Tische her und hat sich in den vergangenen Jahren auch als Zulieferer für die Wohnmobilund Wohnwagen-Industrie einen Namen gemacht. Im Sommer hat das Unternehmen den Caravan-Zulieferer Tegos in Ostrach übernommen, dessen Werk nur zwölf Kilometer vom Alno-Sitz entfernt liegt. „Das hat aber keinen ursächlichen Zusammenhang“, sagt Rechtsanwalt Sebastian Hagemann von der Kölner Kanzlei Reitze Wilken, der die Vierhaus-Gruppe vertritt. „Die Idee ist nicht, dort eine Produktion aufzubauen. Über die langfristige Perspektive machen wir uns gerade Gedanken.“
Pfullendorfs Bürgermeister Thomas Kugler konnte Arndt Vierhaus noch nicht über dessen Pläne befragen. Ihn schmerze das Aus von Alno enorm. „Ein Aushängeschild unserer Stadt droht zu verschwinden“, sagt Kugler. Man wisse nicht, was mit dem Namen passiert und von wo aus er wieder reaktiviert werde. „Alno und Pfullendorf gehören einfach zusammen, nun ist dies vermutlich Vergangenheit“, sagt Kugler weiter. „Aber die Hoffnung besteht, dass der neue Eigentümer hier am Standort mit dem Namen wieder etwas vorhat.“
Am Standort, an dem das goldene Alno-Haus aus den Tagen der Aktiengesellschaft mit dem Gang hinüber zur Küchenausstellung seit Jahren leer steht. Als Jochen Braun am Ende seines Rundgangs wieder am Haupteingang ankommt, steht eine alte Frau aus Gammertingen mit einem kaputten Mülleimerdeckel ihrer Alno-Küche vor dem Tor. „Wir sind insolvent, aber wir haben da noch was“, sagt Braun und ruft Waltraud Klaiber an. Bevor der Manager sich dann weiter um die Abwicklung des Küchenbauers kümmert, sieht er, wie seine Betriebsratschefin mit einer der letzten Alno-Kundinnen in Richtung Lager geht, um die Aufhängung für einen Mülleimer zu suchen.
Einen Videorundgang durch die stillstehende Produktion der Neuen Alno GmbH im Internet unter www.schwäbische.de/alno