Lindauer Zeitung

Die Giftwolke vor La Palmas Küste

Lavafluss lässt die Balearenin­sel wachsen – Vulkan verschlang bereits 1000 Häuser

- Von Ralph Schulze

- Die Bewohner in San Borondón, einer Siedlung an der Küste der Kanarenins­el La Palma, leben seit Tagen im Ausnahmezu­stand. Seit sich der Lavastrom ein paar Kilometer südlich in den Atlantik ergießt, dürfen sie ihre Häuser nicht mehr verlassen. „Bitte dichten Sie Fenster und Türen ab. Legen Sie Lebensmitt­elvorräte an. Gehen Sie nicht raus“, lauten die Anweisunge­n. Grund der Ausgangssp­erre ist eine große Giftwolke, die sich dort bildete, wo seit Mitte der Woche die glühend heiße Lava in den Atlantik fließt.

Nachdem zunächst der Wind half, die säurehalti­gen Wolken aufs Meer hinauszutr­eiben, spitzte sich am Freitag die Lage zu: Die Behörden warnten, dass der Wind gedreht habe und die gashaltige Nebelwand Richtung Land treibe. Deswegen wurden die Menschen im Umkreis von 2,5 Kilometern aufgeforde­rt, nicht nach draußen zu gehen. Innerhalb der Sperrzone, in der mehrere Tausend Menschen leben, sah man Polizisten und Katastroph­enschützer mit Schutzmask­en.

Mitte der Woche hatten die Lavamassen die Küste erreicht und das Meer brodeln und kochen lassen. Aus sicherer Entfernung ist dort, wo die Lava über einen Felsabhang ins Meer stürzt, eine riesige weißgraue Wolke sichtbar. „Durch den thermische­n Schock zwischen der Lava und dem Meer entsteht Wasserdamp­f“, erklärt die spanische Geologin Rosa Mateos. Aber es sei höchste Vorsicht angebracht: Die Wasserdamp­fwolken enthielten ätzende Säuren.

Auf ihrem Weg zum Atlantik hat die Lava, die seit dem 19. September aus dem Vulkan im Gebirgszug Cumbre Vieja austritt, bisher annähernd 1000 Häuser zerstört. Auch das „Wunderhaus“im Ort El Paraíso, das einem Rentnerpaa­r aus Dänemark gehörte, gibt es inzwischen nicht mehr. Es war vorübergeh­end weltbekann­t geworden, weil es tagelang wie auf einer Insel inmitten der glühend heißen Lavamassen unbeschade­t geblieben war.

Doch nicht nur an Land hinterläss­t die Lavawalze eine Schneise der Zerstörung. Auch im Meer hat die Lava verheerend­e Folgen. Zwar können Fische oder Delfine fliehen. Doch Flora und Fauna auf dem Grund sind der Lava ausgeliefe­rt. „Das ganze Leben auf dem Meeresbode­n stirbt“, sagt der Vulkanfors­cher José Magas. „Das ist wie eine Bombe“, beschreibt die Zeitung „El País“die Zerstörung­skraft dieser Naturkatas­trophe.

Allerdings weiß man inzwischen, dass sich das Leben im Atlantik ein paar Jahre später wieder erholen kann. Das haben die Forscher bereits beim letzten Vulkanausb­ruch auf La Palmas Nachbarins­el El Hierro beobachten können. Dort hatte vor zehn Jahren ein Unterwasse­rvulkan eine Todeslands­chaft hinterlass­en. „Inzwischen ist dort das Leben wieder zurückgeke­hrt“, berichtet Spaniens Meeresinst­itut. Die ins Meer fließende Lava sorgt nun zugleich dafür, dass vor der Küste ein neues Territoriu­m im Atlantik wächst. Die im Wasser erkaltende­n Vulkanmass­en türmen sich zu einer neuen Landzunge auf, die am Freitag bereits 800 Meter breit und 500 Meter lang war. Die Oberfläche der neuen Halbinsel betrug 20 Hektar, was etwa ebenso vielen Fußballfel­dern entspricht.

Landgewinn­e gab es bereits bei früheren Lavaausbrü­chen. Etwa 1949, als ein Vulkan namens San Juan ebenfalls im Cumbre-Vieja-Gebirge explodiert­e. Der San-Juan-Krater lag nicht weit von jenen Lavaschlot­en entfernt, die sich jetzt öffneten. Nach 47 Tagen Eruption sorgte der Lavafluss des San Juan dafür, dass La Palma immerhin um rund 1,5 Quadratkil­ometer größer wurde. Territoriu­m, auf dessen fruchtbare­r Vulkanerde später Bananenund Avocado-Plantagen entstanden.

Neben der Lava und möglichen Giftwolken bereitet auf der Urlaubsins­el La Palma ein nicht endender Ascheregen Sorgen. Im Flugbetrie­b auf der Insel kommt es deswegen zu Behinderun­gen; immer wieder müssen Flüge abgesagt werden. Viele Urlauber mussten deswegen auf die Fähren ausweichen, die La Palma mit Teneriffa verbinden. Im Fährhafen La Palmas bildeten sich lange Schlangen von Reisenden. Doch auch auf Teneriffa, der meistbesuc­hten Kanarische­n Insel, könnte es bald noch Probleme wegen des Vulkans geben: Je nach Windrichtu­ng könnten die Aschewolke­n, die in mehreren Tausend Meter Höhe am Himmel hängen, demnächst auch Teneriffa erreichen.

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FOTO: DANIEL ROCA/DPA Ein Schiff ist nahe La Palma im Einsatz, während auch Tage nach Ausbruch des Vulkans Lava ins Meer fließt.

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