Wie Otto Dix ins Zeppelin-Museum kam
Der Bestand umfasst über 400 Arbeiten – Dabei standen die Ankäufe anfangs unter keinem guten Zeichen
- Das ZeppelinMuseum und Otto Dix – heute gehören sie untrennbar zusammen. 21 Gemälde, 110 Zeichnungen und 275 Grafiken sind in der Sammlung der Stadt Friedrichshafen, die im ZeppelinMuseum verwahrt werden. Doch als die Stadt 1952 ihren ersten „Dixe“kaufte, zeigte sie sich erst einmal verschnupft. Mit dem von Dix angebotenen Gemälde „Herbstwald am Bodensee“konnte man leben. Aber die zweite Arbeit, ein Aktgemälde, war der Stadt wohl zu anstößig, glaubt Ina Neddermeyer, Leiterin der Kunstabteilung des Zeppelin-Museums. Statt des Akts entschied man sich für die unschuldigeren Landschaftsaquarelle „Blick auf Sipplingen“. Diese Werke zählten zu den ersten Kunst-Ankäufe der Stadt, nachdem ihre Kunstsammlung im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde.
Eingefädelt hatte die Ankäufe Adolf Rieth, der Leiter des Staatlichen Amts für Denkmalpflege in Tübingen. Dieser kannte Dix gut, und dass die Stadt sich hinsichtlich des Akts zierte, registrierte Rieth „mit peinlichem Erstaunen“. An die Stadt schrieb er: „Herr Dix ist nun nicht irgendein Künstler, sondern in der deutschen Malerei der Gegenwart immer noch eine der großen, führenden Persönlichkeiten.“Bei Otto Dix wiederum warb Rieth um Verständnis für „diese nun einmal nicht aus der Welt zu schaffende Einstellung“der Stadtverwaltung.
Dix lieferte – aber die Stadt brauchte trotzdem 13 Jahre, um wieder Bilder von ihm zu kaufen. Darunter waren 1965 dann aber wichtige Gemälde: das Porträt des Konstanzer Dichter Wilhelm von Scholz (1953), sowie „Bodenseelandschaft mit Regenbogen“(1939) und „Verspottung Christi“(1948). Bis zum gezielten Ausbau vergingen dann weitere anderthalb Jahrzehnte: Lutz Tittel, der erste hauptamtlichen Leiter des Bodensee-Museums, erstand für die Stadt vor allem das druckgrafische Werk von Dix. „Das war auch eine Preisfrage“, erklärt Mark Niehoff, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zeppelin-Museum, diese Entscheidung. „Für den Preis, den ein Gemälde kostet, kann man viel mehr Grafik kaufen.“Zudem, ergänzt Ina Neddermeyer, waren Grafiken auf dem Kunstmarkt besser verfügbar. Weil andere Museen sich bereits auf
TRAUERANZEIGEN die Gemälde von Dix konzentrierten, bedeutete die Konzentration auf die Druckgrafiken auch eine Schärfung des eigenen Sammlungsprofils.
Freilich, wer an die Häfler DixSammlung denkt, dem kommt die „Vanitas“(1932) in den Sinn, auch „Die Versuchung des Heiligen Antonius (1937), die „Pietà“(1946) und die schon erwähnte „Verspottung Christi“– allesamt Gemälde. Aber die Druckgrafik zählt insbesondere bei Dix nicht weniger als die Malerei. Mark Niehoff denkt da etwa an die Kriegsmappe, in deren Grafiken Dix das Grauen des Ersten Weltkriegs mit einer zuvor nicht gekannten Drastik darstellt. „Die Kriegsmappe zählt zu den Hauptwerken von Dix“, sagt Niehoff. „Viele Blätter daraus sind ikonisch geworden“schließt sich Ina Neddermeyer an. Leider ist die Grafik sehr lichtempfindlich. Sie kann daher nicht dauerhaft gezeigt werden. Zuletzt war der komplette Grafik-Bestand von Dix 2016 im Zeppelin-Museum ausgestellt, im Rahmen der Gesamtschau „Otto Dix – Alles muss ich sehen.“Dass der Katalog zur Ausstellung fast vergriffen ist, zeigt, wie populär sein Werk noch immer ist. Außerdem, sagt Ina Neddermeyer, gibt es für die Werke keines anderen Künstlers aus der Sammlung des Zeppelin-Museums so viele Leihanfragen von anderen Museen.
Durch die insgesamt fast 400 Grafiken spannt die Sammlung einen Bogen von Dix’ frühestem Frühwerk bis zum Schluss. „Wir haben Arbeiten aus allen Schaffensphasen. Dadurch können wir aufzeigen, wie sich Dix stilistisch und thematisch entwickelt hat, welche Kontinuitäten und Brüche es gibt“, sagt Ina Neddermeyer. Die Grafiken und Zeichnungen schließen sogar Lücken im Werk, denn das ZeppelinMuseum hat Vorstudien zu Dix-Gemälden, die verschollen sind.
Hand aufs Herz: Wenn man mit dem Blick von heute aus dem Nichts eine Dix-Sammlung aufbauen wollte, hätte man dann, wie einst die Stadtverwaltung, lieber eine Landschaft als einen Akt? „Man würde auf jeden Fall den Akt nehmen“, sagt Mark Niehoff. „Das sind auch die bekannteren Bilder, gerade aus den 1920er-Jahren.“Denn damals malte Dix das zwielichtige Leben der Großstadt. Hedonismus und Lebensgier auf der einen, Armut sowie körperliche und psychische Schäden als Folgen des Ersten Weltkriegs auf der anderen Seite; ein Tableau von Prostituierten, Bettlern und Krüppeln.
Mit dem Umzug von Dresden – 1933 nach Randegg, 1936 dann nach Hemmenhofen – lässt Dix in den 1930ern diese Bilder-Schocks weitgehend hinter sich. Dix war ein Augenmensch, er hat immer seine jeweilige Lebenswelt gemalt, und die bestand am Bodensee, wo er der Verfolgung durch die Nazis aus dem Weg gehen wollte, eben aus idyllischen Perspektiven auf den See. „Ich finde, dass die Landschaften von Dix die interessantesten sind, die hier vom Bodensee entstanden sind“, sagt Mark Niehoff. Manche dieser Landschaften lässt sich politisch deuten, wie die im Jahr 1939 entstandene „Bodenseelandschaft mit Regenbogen“, unter dem ein Friedhof liegt, oder der 1935 skizzierte „Judenfriedhof von Randegg“. Dem langen Schatten seines Frühwerks entkam Dix damit aber nicht. „Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich Dix selbst beklagt, dass alle seine Arbeiten aus den 1920ern wollen und nicht die aktuellen“, sagt Ina Neddermeyer.
Trotzdem: Das Leben am Bodensee war für die Themen, die Dix aufgriff, dann doch eine weniger große Zäsur, als man oft annahm. Denn Landschaften, Heilige, Porträts, Akte, Städte und Kriege ziehen sich durch sein ganzes Lebenswerk. Das konnte das Zeppelin-Museum 2016 in seiner Dix-Ausstellung zeigen; dank der großen städtischen Sammlung, die es verwahrt.