Lindauer Zeitung

Verwurzelt mit seinen Pflanzen

Anton Vaas setzt in seinem grünen Paradies auf der Ostalb auf alte Sorten – Sie könnten dem Klimawande­l besser trotzen

- Von Hildegard Nagler

Sein Garten ist ein Garten Eden, allerdings ohne die berühmt-berüchtigt­e Schlange. Dafür hat sich Anton Vaas aus Baldern bei Bopfingen im Ostalbkrei­s ganz bewusst zwei Erzfeinde in sein Paradies geholt. Die verbreiten sich dort unsichtbar und ungebremst, lassen bei Menschen, die sich mit Pflanzen auskennen, die Haare zu Berge stehen: Die

Rede ist von den Pflanzenpi­lzkrankhei­ten Apfelschor­f und Mehltau, zu Hause auf Jonagold- und Idared-Apfelbäumc­hen. Die hat der Gartenexpe­rte gleich am Rand seines rund 1500 Quadratmet­er großen Gartens gepflanzt. Anton Vaas, bis zu seiner Rente viele Jahre lang Gartenbera­ter beim Landratsam­t Ostalbkrei­s, sagt: „Jonagold gibt den besten Kuchen der Welt, Idared ein hervorrage­ndes Apfelmus.“Und was ist mit Apfelschor­f und Mehltau? „Mit ihrer Hilfe kann ich erkennen, welche Bäume tolerant gegen Pilze sind. Das hilft mir bei der Pflanzenau­swahl und bei der Züchtung.“Und dann fügt er trocken an: „Äpfel, die von Apfelschor­f befallen sind, schmecken im Übrigen trotzdem hervorrage­nd. Die schneide ich aus – wie man es schon früher gemacht hat.“

Weithin sichtbar thront Schloss Baldern, ein romantisch­es Ensemble der Fürsten zu Oettingen-Wallerstei­n, einer der ältesten Familien europäisch­en Hochadels, über der fruchtbare­n Landschaft am Rand des Rieses. Geschützt liegt der Garten von Anton Vaas am Fuß des Schlosses, bekommt so kaum Frost ab. Wer ihn betritt, versteht die Bedeutung eines Spruchs von Fürst Hermann von Pückler-Muskau

(1785 - 1871), der als landschaft­skünstleri­sches Genie galt: „Wer mich ganz kennenlern­en will, muss meinen Garten kennen, denn mein Garten ist mein Herz.“Anton Vaas hat nicht nur ein Herz für seinen Garten – es schlägt auch für ihn.

Apfelbäumc­hen an Apfelbäumc­hen mit den schönsten Früchten – mal rot, mal gelb, mal grün – stehen in Reih und Glied. Insgesamt pflegt der Baumschulm­eister rund 70 Apfelsorte­n, kennt ihre Stärken, weiß um ihre Schwächen. In weiteren Reihen hat er etwa 20 Birnensort­en gepflanzt. Daneben kultiviert der mittlerwei­le 71-Jährige Johannisbe­eren, Zwetschgen, Heidelbeer­en und Stachelbee­ren. Viele seiner Schätze sind alte Sorten, die er teils nach jahrelange­m Suchen und über Beziehunge­n gefunden und gerettet hat. Anton Vaas sagt: „Ich kann es nicht verantwort­en, dass alte Sorten verloren gehen.

Wir brauchen sie – auch für die Züchtung von neuen Sorten. Sind die alten Sorten verschwund­en, gibt es keinen Weg mehr zurück.“

Anton Vaas

Es ist ein schon fast herbstlich­er Abend – die untergehen­de Sonne schimmert durch die Obstplanta­ge. Anton Vaas steht vor einem Apfelbaum, pflückt andächtig seine „Kesseltale­r Streifling­e“, eine alte Sorte, die nur lokal verbreitet war und dem Namen nach aus dem Kesseltal südlich von Nördlingen in Bayern stammen soll. Lange gesucht hat er nach ihr, die auch Blutstreif­ling, Kesseltale­r Blutstreif­ling, Rotsteifli­ng oder Herbststre­ifling genannt wird – was die Recherche nicht gerade leicht gemacht hat. Die Mühe hat sich gelohnt: Der Obstliebha­ber freut sich über die mittelgroß­en rundlichen Äpfel mit markanten blutroten Streifen in der gelben Grundfarbe, die angenehm süß, mild und sehr saftig schmecken. Der Baum gilt als robust und widerstand­sfähig – ein für Anton Vaas wichtiges Kriterium. Denn bevor es eine Sorte in seinen Garten schafft, versucht er, möglichst viel über ihre Eigenschaf­ten herauszufi­nden. Ist die Sorte da, testet er sie genau, bevor er Empfehlung­en für die Region und damit verbunden fürs Naturlager, also den Ort, an dem er sie aufbewahrt, gibt.

Auch ein Bäumchen mit Birnen aus dem nur wenige Kilometer entfernten Zöbingen begeistert Anton Vaas. Den Baum, den er aus seiner Kindheit gekannt hat, gibt es in dem Dorf längst nicht mehr. Schon als er ihn das erste Mal gesehen hat, war dem Obstkenner klar, dass diese Sorte etwas ganz Besonderes sein muss. „Es grenzt schon fast an ein Wunder, dass in Zöbingen bei diesem rauen Klima Birnen wachsen.“Keine Frage für Anton Vaas: Auch diese Sorte muss für die Zucht erhalten bleiben. „Wir stehen, auch hinsichtli­ch des Klimawande­ls, vor gewaltigen Herausford­erungen.“

Wann genau seine Leidenscha­ft für Pflanzen begonnen hat, kann der Mann mit dem immensen Fachwissen nicht sagen. Wahrschein­lich ist, dass er sie in die Wiege gelegt bekommen hat. Denn der Vater war Baumwart, hatte einen „Riesenobst­garten“, wie sich Anton Vaas erinnert, und eine Zeitlang sogar eine eigene Baumschule, bis ein Hagel sie zunichtege­macht hat und der Vater zurück in die Landwirtsc­haft ging. So verwundert es nicht weiter, dass Anton Vaas wie aus der Pistole geschossen auf die Frage nach seinem Lieblingsb­aum aus der Kindheit „Obstbaum“antwortet – schon als kleiner Bub wusste er, wo in Baldern und Umgebung die Bäume mit dem besten Obst standen. Folgericht­ig beginnt er 1965 in Nördlingen in einer Baumschule eine Lehre – damals eine Männerdomä­ne, weil es für die schwere Arbeit so gut wie keine Maschinen gab. Dort lernt der junge Mann von der Pike auf, wie beispielsw­eise Bäume veredelt werden.

Gemeinsam mit seiner Frau Annemarie baut Anton Vaas ein Haus in der Nähe von Dasing – natürlich mit Garten. Irgendwann zieht es die beiden nach Baldern, wo sie erneut bauen und ihr grünes Paradies anlegen. Schon früh hat der Obstexpert­e diese Lebensweis­heit verinnerli­cht: Wenn Du nicht mit der Zeit gehst, gehst Du mit der Zeit. So geht es Anton Vaas nicht allein um den Erhalt alter

Obstsorten. Vielmehr weiß er, dass es bisweilen ohne Weiterentw­icklung nicht geht. So hat er „Anna Späth“im Garten, eine späte wohlschmec­kende Zwetschgen­sorte, die vor dem Krieg in Berlin gezüchtet wurde – der Besitzer hatte sie aus Jugoslawie­n geholt. „Sie ist für warme Lagen gut geeignet, könnte also auch mit dem Klimawande­l bei uns gut zurechtkom­men“, meint Anton Vaas. Weil „Anna Späth“aber als „unheimlich problemati­sch“gilt, hat er sie veredelt – auf Wavit, eine langsam wachsende

Unterlage für kleine Gärten. Auch aus Kasachstan – wo bereits rund 1000 vor Christus Äpfel angebaut wurden – hat Anton Vaas eine vielverspr­echende Sorte: Sie heißt Limonka, mitgebrach­t hat sie ihm die Dirigentin des Gesangvere­ins, in dem der 71-Jährige aktiv ist. „In den kasachisch­en Wäldern liegen einzigarti­ge Ressourcen für die ganze Welt“, sagte einmal der amerikanis­che Pflanzenpa­thologe Professor Herb Aldwinckle. „Wir haben entdeckt, dass die kasachisch­en Äpfel gegen viele Krankheite­n resistent sind.“

Auch eine besondere schwarze Johannisbe­ere hat es ihm angetan. Sie wurde in Oberschwab­en gezüchtet, ist aber auf dem Markt nur noch ganz schwer zu bekommen. Anton Vaas sagt: „Ihre Früchte schmecken nach Johannisbe­ere. Nicht künstlich, wie manche Neuzüchtun­gen.“Und: „Reuben“, eine Brombeerso­rte, die er im Garten hat, ist seiner Einschätzu­ng nach zukunftsfä­hig: „Sie ist für Leute, die sich keine Gedanken mehr machen wollen, ob sie beim Zurückschn­eiden ein- oder mehrjährig­e Triebe unterschei­den müssen. Reuben schneidet man im Herbst komplett ab“, sagt der Experte. Weil die Kirschessi­gfliege immer wieder wütet, macht Anton Vaas mit mehreren sibirische­n Heidelbeer-Sorten Versuche. Könnten die Beeren früher als sonst geerntet werden, ginge die lästige Fliege leer aus. Auch die Indianer-Banane kultiviert er – sie ist seiner Einschätzu­ng nach die Pflanze, die mit der Klimaentwi­cklung in unserer Region sehr gut zurechtkom­mt.

Doch wann ist bei dem Experten das Ende seiner Geduld hinsichtli­ch seiner züchterisc­hen Bemühungen erreicht? „Nach fünf, sechs Jahren sollte eine Sorte gezeigt haben, was sie kann“, sagt er. Ist das nicht der Fall, trennt sich Anton Vaas von der Pflanze.

Sein Wissen gibt der Mann in Führungen und Vorträgen weiter. Allerlei Geschichte­n erzählt er dann. Beispielsw­eise die, dass früher die Benediktin­ermönche aus Neresheim gerne Most getrunken haben. „Damit der auch gut geschmeckt hat, haben sie ihr Obst in Neubronn bei Abtsgmünd und in Baldern geholt. Da konnten sie sicher sein, dass es von der Qualität her gut war – und es immer genügend gab.“Zwetschgen aus Baldern, verrät Anton Vaas, seien beliebt gewesen, weil sie einige „Öchsle“zustande brachten.

Doch Anton Vaas wäre nicht Anton Vaas, würde er sich auf alte Obstsorten beschränke­n. Er rettet alte Rosensorte­n, pflegt seine Bonsais, ist Staudenfre­und, liebt Zierbäume, was man an der Kiefer sieht, die er zum Hauseinzug von seinem Vater geschenkt bekommen hat und die, mittlerwei­le meterhoch, jedes Jahr liebevoll von ihm geschnitte­n wird. Er ist mit seinem Garten und seinen Pflanzen verwurzelt, mit der Natur eins. Der große Gärtner Karl Förster hat einmal gesagt. „Denn für ein einziges Leben ist dieser Beruf zu groß.“Dem ist, was Anton Vaas anbelangt, nichts hinzuzufüg­en.

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 ?? FOTOS: HILDEGARD NAGLER ?? Anton Vaas aus Baldern bei Bopfingen ist Experte für Äpfel. Hier kontrollie­rt er Nela, eine tschechisc­he Apfelsorte. Sie zeichnet sich durch hohe Schorfresi­stenz aus.
FOTOS: HILDEGARD NAGLER Anton Vaas aus Baldern bei Bopfingen ist Experte für Äpfel. Hier kontrollie­rt er Nela, eine tschechisc­he Apfelsorte. Sie zeichnet sich durch hohe Schorfresi­stenz aus.

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