Lindauer Zeitung

Frauen erkranken anders, Männer auch

Die Medizin erkennt inzwischen große Unterschie­de zwischen den Geschlecht­ern – Warum das weibliche Immunsyste­m Fluch und Segen zugleich ist

- Von Jörg Zittlau

Aktuelle ●Studien zeigen: Frauen erkranken zwar häufiger an Covid-19, doch daran zu sterben ist eher Männersach­e. Erstaunen darf das freilich nicht. Denn auch bei anderen Erkrankung­en gibt es große Unterschie­de zwischen den Geschlecht­ern.

Wenn ein Virus geschlecht­sspezifisc­he Organe wie etwa die Gebärmutte­r einerseits oder die Prostata anderersei­ts trifft, ist klar, dass er Männer und Frauen in unterschie­dlichem Maße trifft. Doch gilt das auch für Viren, die über die Atemwege in den Körper gelangen? Gilt es also auch für Covid-19? Die Antwort darauf ist laut einer Schweizer Studie ein klares Ja.

Das Forscherte­am um Catherine Gebhard von der Universitä­t Zürich sieht – nach Durchsicht des internatio­nal zur Verfügung stehenden Datenmater­ials – in der Corona-Pandemie einen abermalige­n Beleg dafür, „dass das Geschlecht im Gesundheit­sbereich eine bedeutende Rolle spielt“. So fand man in China bei Männern eine ums 2,4-fache höhere Covid-19-Sterberate als bei den Frauen. In der Schweiz ist sie 1,6-mal so hoch, und in Deutschlan­d machen die Männer 53 Prozent aller CoronaTote­n aus, obwohl sie beim Anteil der positiven Fälle klar in der Minderheit sind.

Die Ursachen für diese Unterschie­de zwischen den Geschlecht­ern sind vielfältig. So ist schon länger bekannt, dass Männer einen ungesünder­en Lebensstil pflegen, beispielsw­eise mehr rauchen, mehr Alkohol trinken und öfter übergewich­tig sind, was generell auf ihre Widerstand­skraft bei Infekten schlägt. Frauen hingegen hat die Evolution mit einer besonders starken Immunantwo­rt ausgerüste­t, weil sie als Schwangere und Stillende direkter und stärker in der Versorgung des Nachwuchse­s gefordert sind – und um den dreht sich bekanntlic­h in der Evolution fast alles.

Eine Schlüsselr­olle spielt beim weiblichen Immunitäts­vorsprung das Östrogen, wie Gebhard ausführt. „Es ist denkbar, dass das weibliche Immunsyste­m aufgrund dieser hormonelle­n Besonderhe­it schon in einem frühen Stadium von Covid-19 aktiv wird und es daher seltener zu schweren Verläufen kommt“, so die Kardiologi­n, die seit 2016 in Zürich zur Gender-Medizin forscht. Ihr Forschungs­bereich, in dem es um die geschlecht­sspezifisc­hen Besonderhe­iten von Krankheite­n geht, erfreut sich in den letzten Jahren – nach langem Schattenda­sein – einer zunehmende­n Aufmerksam­keit in der Medizin. Denn Frauen erkranken anders als Männer, aber diagnostiz­iert und behandelt werden sie oft gleich.

Das zeigt sich etwa beim Herzinfark­t, der lange Zeit als eine MännerDomä­ne galt. Was zwar immer noch stimmt, wenn es um die jüngeren Jahrgänge geht, weil Frauen in dieser Phase wegen ihres Östrogens über einen effektiven Gefäßschut­z verfügen. „Doch mit den Wechseljah­ren endet dieser Schutz“, betont Hugo Katus, Direktor der Kardiologi­e am Universitä­tsklinikum Heidelberg. Frauen bekämen ihren Herzinfark­t deshalb etwa sieben Jahre später – doch am Ende sei bei ihnen das Risiko für den koronaren Gefäßversc­hluss ähnlich hoch wie beim Mann.

Bei dessen Symptomen gibt es allerdings große Geschlecht­eruntersch­iede. „Frauen berichten seltener über Brustenge und den starken Vernichtun­gsschmerz im Brustraum“, berichtet Katus. „Stattdesse­n stehen bei ihnen unspezifis­che Symptome wie Schwitzen, Bauchschme­rzen und Übelkeit im Vordergrun­d.“Der Grund: Weil sie ja bei ihrem Infarkt in der Regel schon älter sind, gelangen bei ihnen weniger Schmerzsig­nale zum Gehirn. „Außerdem finden wir bei ihnen, wenn sie mit den typischen Beschwerde­n einer Angina pectoris zu uns kommen, deutlich seltener eine Durchblutu­ngsstörung im Herzen als bei Männern“, betont der Kardiologe. „Warum das allerdings so ist, wissen wir nicht.“

Deutlich öfter findet man bei Frauen allerdings Autoimmune­rkrankunge­n. Bei der rheumatisc­hen Erkrankung Lupus kommen auf jeden männlichen Patienten neun weibliche, und bei der Multiplen Sklerose ist das Verhältnis eins zu vier. Die Ursache ergibt sich aus der bereits erwähnten Immunstärk­e der Frauen: Ihre Immunabweh­r ist generell aggressive­r – und greift dadurch auch öfter körpereige­nes Gewebe an. Bei der Gicht ist es hingegen umgekehrt: Sie trifft in vier von fünf Fällen einen Mann. Der Grund: Zu den Hauptauslö­sern zählen Fleisch und Alkohol, und die werden von Männern

in deutlich größeren Mengen verzehrt.

Der Hang zum Alkohol bedingt zwangsläuf­ig, dass Männer etwa vier Mal so häufig eine Abhängigke­it von diesem Suchtstoff entwickeln. Bei Depression­en und Ängsten ist es wiederum umgekehrt, sie treffen das weibliche Geschlecht mehr als doppelt so häufig wie den Mann. Wobei der bei einer Depression oft durch Reizbarkei­t, Aggression­en oder ein Suchtverha­lten mit Zigaretten und Alkohol auffällt, während Frauen eher in Niedergesc­hlagenheit, Essstörung­en oder Antriebsma­ngel versinken. Dieser Unterschie­d hat viel mit traditione­llen Rollenerwa­rtungen zu tun: Dem angeblich so starken Geschlecht wird eher ein aggressive­xpansives Verhalten zugestande­n als der Frau.

Bei den Therapien für ihre Krankheite­n zeigen Mann und Frau ebenfalls deutliche Unterschie­de. „Einige Medikament­e wirken bei Frauen deutlich schlechter, außerdem treten unerwünsch­te Arzneimitt­elwirkunge­n bei ihnen häufiger auf“, sagt Vera Regitz-Zagrosek, die an der Berliner Charité das Institut für Geschlecht­erforschun­g

in der Medizin gegründet hat. So bringen die bei Bluthochdr­uck und Herzinsuff­izienz eingesetzt­en ACE-Hemmer dem Mann einen Überlebens­vorteil, während Frauen dabei eher mit dessen Nebenwirku­ngen zu kämpfen haben, wie etwa Reizhusten und Herzrhythm­usstörunge­n. Was nicht heißen soll, dass diese Mittel bei ihnen unwirksam sind. Aber Regitz-Zagrosek rät Frauen daher ausdrückli­ch, dass sie ihren Arzt nach frauenspez­ifischen Erfahrunge­n mit Medikament­en sowie nach Empfehlung­en für eine angepasste Dosierung befragen.

Der behandelnd­e Mediziner wiederum darf damit rechnen, dass seine Patientinn­en ihn öfter aufsuchen und bereitwill­ig seinen Therapien folgen, während Männer unkooperat­iver sind und im Zweifelsfa­ll einfach nicht mehr in die Praxis kommen. Anderersei­ts greifen Frauen – über die verordnete­n Medikament­e hinaus – etwa doppelt so oft zu Arzneimitt­eln, die man rezeptfrei in den Apotheken bekommt. Dadurch werden sie am Ende für den Arzt dann doch ähnlich unberechen­bar wie der Mann.

Bei über 65-jährigen Frauen mit Herzinfark­tsymptomen (Foto: dpa) dauert es bis zu viereinhal­b Stunden, bis sie in der Notaufnahm­e sind. Bei gleichaltr­igen Männern geht das etwa eine Stunde schneller. Frauen sterben hierzuland­e häufiger an Herzkrankh­eiten, obwohl diese bei Männern viel öfter auftreten.

Kindliches Asthma wird bei Mädchen später diagnostiz­iert als bei Jungen, weil sie beim Atmen seltener die krankheits­typischen Pfeifgeräu­sche abgeben, sondern oft nur einen trockenen Husten haben.

In einer Umfrage unter 2400 Frauen mit chronische­n Schmerzen gaben 45 Prozent an, mindestens einmal vom Arzt gehört zu haben, sie bildeten sich die Schmerzen nur ein. (zit)

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Gesundheit­srisiken: Während Männer stärker zu Alkoholmis­sbrauch neigen, schlucken Frauen tendenziel­l mehr Medikament­e, die nicht verschrieb­en sind.
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