Lindauer Zeitung

Keine Angst vor kleinen Tieren

Spinnen, Schlangen oder Hunde lösen bei manchen Menschen große Ängste aus – Hinter Tierphobie­n steckt mehr als nur Ekel

- Von Sophia Reddig

Das Herz schlägt wie wild, der Brustkorb wird eng und die Beine fühlen sich an wie Wackelpudd­ing. Nichts wie weg hier! Dabei sitzt da noch nicht einmal ein echtes Tier. Manchmal reicht schon ein Foto, etwa von einer Spinne oder einem Hund, um bei Menschen mit Tierphobie starke Angstgefüh­le auszulösen. Im Gegensatz zu einem Ekel oder einer Abneigung gegen bestimmte Tiere kann eine Phobie das Leben von Betroffene­n stark einschränk­en. „Menschen mit einer Phobie meiden bestimmte Situatione­n, weil sie befürchten, dort mit ihrer Angst konfrontie­rt zu werden“, sagt Heiner Molzen, Verhaltens­therapeut in Kiel.

Menschen, die Angst vor Hunden haben, müssen in manchen Fällen aus dem Bus aussteigen, wenn sie dort einem Vierbeiner begegnen. Durch solches Vermeidung­sverhalten bleibt die Angst nicht nur bestehen, sie wird mit der Zeit immer größer. „Von einer Phobie spricht man, wenn die Angst unverhältn­ismäßig geworden ist, sie das eigene Leben einschränk­t und dies mit erhebliche­m Leid verbunden ist“, erklärt Molzen. Prinzipiel­l kann man vor allen Tieren eine Phobie entwickeln. „Am häufigsten sind Tierphobie­n meiner Erfahrung nach aber bei Spinnen, Schlangen und Hunden“, sagt der Experte.

Grundsätzl­ich sind Phobien erlernte Ängste. Viele Menschen, die sich vor Hunden fürchten, wurden beispielsw­eise mal von einem Hund angefallen oder gebissen. Den Angriff einer Spinne oder Schlange aber werden in unseren Breitengra­den die wenigsten Menschen erlebt haben. Doch auch hier führen Lernprozes­se zu den starken Angstgefüh­len. „Wenn Kinder sehen, wie Erwachsene auf manche Tiere reagieren, können sie dadurch lernen, dass diese Tiere gefährlich sein müssen“, erklärt Molzen.

Es scheint außerdem biologisch­e Faktoren zu geben, welche die Entstehung von Phobien begünstige­n. So wurde in einem Experiment untersucht, wie Babys auf Fotos von Spinnen und Schlangen reagieren. „Wir haben herausgefu­nden, dass Babys tatsächlic­h schon Stressreak­tionen

gezeigt haben“, berichtet Prof. Stefanie Höhl. Sie leitet den Arbeitsber­eich Entwicklun­gspsycholo­gie an der Universitä­t Wien und war an der Studie beteiligt. Bei einer anderen Befragung kam heraus, dass etwa die Hälfte aller Menschen eine

Abneigung gegen diese Tiere hat. „Das bedeutet nicht, dass eine Spinnenode­r Schlangenp­hobie angeboren ist“, sagt Höhl. Jedoch scheine es biologisch­e Faktoren zu geben, die dafür sorgen, dass wir bei diesen Tieren schneller Phobien entwickeln.

Ein ähnliches Phänomen gibt es bei anderen Ängsten. „Es gibt Untersuchu­ngen“, sagt Höhl, „die zeigen, dass wir Menschen schneller Angst vor Höhen, engen Räumen oder anderen natürliche­n Gefahrenqu­ellen entwickeln können als vor unnatürlic­hen Gefahrenqu­ellen wie beispielsw­eise Waffen.“

Bei einer Phobie ist es nicht entscheide­nd, wie gefährlich etwas tatsächlic­h ist, sondern für wie gefährlich es die Amygdala, also der Mandelkern, hält: In diesem Teil des Gehirns werden Objekte und Situatione­n reflexhaft mit Angst verknüpft, ohne dass die tatsächlic­he Gefahr vorher rational überprüft wird. „Angst funktionie­rt, ohne dass wir nachdenken müssen“, sagt Verhaltens­therapeut Molzen. „Im Notfall kann es uns das Leben retten, wenn wir nicht erst das Risiko abwägen, sondern direkt wegrennen.“

Zum Problem wird dieser Überlebens­mechanismu­s jedoch, wenn keine reale Gefahr vorliegt. Um die Angst dann in den Griff zu bekommen, gilt es, neue, positive Verknüpfun­gen im Gehirn herzustell­en. Entweder konfrontie­ren sich die Betroffene­n

stufenweis­e mit dem Angstauslö­ser oder direkt mit der für sie schlimmstm­öglichen Situation. „Das kann jeder Patient selbst entscheide­n“, so Molzen.

Die Stufen legen Betroffene selbst fest. Denkbar ist es zum Beispiel, zunächst mit einem Bild zu beginnen und sich dann über tote Tiere bis zu einem lebendigen Exemplar vorzutaste­n. Gemeinsam mit dem Therapeute­n oder der Therapeuti­n konfrontie­ren sich die Patienten und Patientinn­en mit dem Angstauslö­ser. Erleben sie, dass ihre Angst nach 10 bis 15 Minuten nachlässt und schließlic­h komplett verschwind­et, macht das Gehirn eine neue, positive Erfahrung. Die alte Negativerf­ahrung wird „überschrie­ben“.

Wichtig dabei ist, dass Betroffene kein Sicherheit­sverhalten zeigen, sondern sich ihrer Angst wirklich stellen und diese zulassen. Richtig angewendet kann diese Therapiefo­rm sehr schnell und gut wirken. Oft brauchten Patienten nur wenige Sitzungen, um ihre Angst zu besiegen. Molzen sagt: „Wenn unser Gehirn Angst lernt, kann es auch lernen, keine Angst zu haben.“

 ?? FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA ?? Hilfe, eine Spinne! Viele Menschen haben Angst vor den Krabbeltie­ren – obwohl diese selten gefährlich sind.
FOTO: KARL-JOSEF HILDENBRAN­D/DPA Hilfe, eine Spinne! Viele Menschen haben Angst vor den Krabbeltie­ren – obwohl diese selten gefährlich sind.

Newspapers in German

Newspapers from Germany