Keine Angst vor kleinen Tieren
Spinnen, Schlangen oder Hunde lösen bei manchen Menschen große Ängste aus – Hinter Tierphobien steckt mehr als nur Ekel
Das Herz schlägt wie wild, der Brustkorb wird eng und die Beine fühlen sich an wie Wackelpudding. Nichts wie weg hier! Dabei sitzt da noch nicht einmal ein echtes Tier. Manchmal reicht schon ein Foto, etwa von einer Spinne oder einem Hund, um bei Menschen mit Tierphobie starke Angstgefühle auszulösen. Im Gegensatz zu einem Ekel oder einer Abneigung gegen bestimmte Tiere kann eine Phobie das Leben von Betroffenen stark einschränken. „Menschen mit einer Phobie meiden bestimmte Situationen, weil sie befürchten, dort mit ihrer Angst konfrontiert zu werden“, sagt Heiner Molzen, Verhaltenstherapeut in Kiel.
Menschen, die Angst vor Hunden haben, müssen in manchen Fällen aus dem Bus aussteigen, wenn sie dort einem Vierbeiner begegnen. Durch solches Vermeidungsverhalten bleibt die Angst nicht nur bestehen, sie wird mit der Zeit immer größer. „Von einer Phobie spricht man, wenn die Angst unverhältnismäßig geworden ist, sie das eigene Leben einschränkt und dies mit erheblichem Leid verbunden ist“, erklärt Molzen. Prinzipiell kann man vor allen Tieren eine Phobie entwickeln. „Am häufigsten sind Tierphobien meiner Erfahrung nach aber bei Spinnen, Schlangen und Hunden“, sagt der Experte.
Grundsätzlich sind Phobien erlernte Ängste. Viele Menschen, die sich vor Hunden fürchten, wurden beispielsweise mal von einem Hund angefallen oder gebissen. Den Angriff einer Spinne oder Schlange aber werden in unseren Breitengraden die wenigsten Menschen erlebt haben. Doch auch hier führen Lernprozesse zu den starken Angstgefühlen. „Wenn Kinder sehen, wie Erwachsene auf manche Tiere reagieren, können sie dadurch lernen, dass diese Tiere gefährlich sein müssen“, erklärt Molzen.
Es scheint außerdem biologische Faktoren zu geben, welche die Entstehung von Phobien begünstigen. So wurde in einem Experiment untersucht, wie Babys auf Fotos von Spinnen und Schlangen reagieren. „Wir haben herausgefunden, dass Babys tatsächlich schon Stressreaktionen
gezeigt haben“, berichtet Prof. Stefanie Höhl. Sie leitet den Arbeitsbereich Entwicklungspsychologie an der Universität Wien und war an der Studie beteiligt. Bei einer anderen Befragung kam heraus, dass etwa die Hälfte aller Menschen eine
Abneigung gegen diese Tiere hat. „Das bedeutet nicht, dass eine Spinnenoder Schlangenphobie angeboren ist“, sagt Höhl. Jedoch scheine es biologische Faktoren zu geben, die dafür sorgen, dass wir bei diesen Tieren schneller Phobien entwickeln.
Ein ähnliches Phänomen gibt es bei anderen Ängsten. „Es gibt Untersuchungen“, sagt Höhl, „die zeigen, dass wir Menschen schneller Angst vor Höhen, engen Räumen oder anderen natürlichen Gefahrenquellen entwickeln können als vor unnatürlichen Gefahrenquellen wie beispielsweise Waffen.“
Bei einer Phobie ist es nicht entscheidend, wie gefährlich etwas tatsächlich ist, sondern für wie gefährlich es die Amygdala, also der Mandelkern, hält: In diesem Teil des Gehirns werden Objekte und Situationen reflexhaft mit Angst verknüpft, ohne dass die tatsächliche Gefahr vorher rational überprüft wird. „Angst funktioniert, ohne dass wir nachdenken müssen“, sagt Verhaltenstherapeut Molzen. „Im Notfall kann es uns das Leben retten, wenn wir nicht erst das Risiko abwägen, sondern direkt wegrennen.“
Zum Problem wird dieser Überlebensmechanismus jedoch, wenn keine reale Gefahr vorliegt. Um die Angst dann in den Griff zu bekommen, gilt es, neue, positive Verknüpfungen im Gehirn herzustellen. Entweder konfrontieren sich die Betroffenen
stufenweise mit dem Angstauslöser oder direkt mit der für sie schlimmstmöglichen Situation. „Das kann jeder Patient selbst entscheiden“, so Molzen.
Die Stufen legen Betroffene selbst fest. Denkbar ist es zum Beispiel, zunächst mit einem Bild zu beginnen und sich dann über tote Tiere bis zu einem lebendigen Exemplar vorzutasten. Gemeinsam mit dem Therapeuten oder der Therapeutin konfrontieren sich die Patienten und Patientinnen mit dem Angstauslöser. Erleben sie, dass ihre Angst nach 10 bis 15 Minuten nachlässt und schließlich komplett verschwindet, macht das Gehirn eine neue, positive Erfahrung. Die alte Negativerfahrung wird „überschrieben“.
Wichtig dabei ist, dass Betroffene kein Sicherheitsverhalten zeigen, sondern sich ihrer Angst wirklich stellen und diese zulassen. Richtig angewendet kann diese Therapieform sehr schnell und gut wirken. Oft brauchten Patienten nur wenige Sitzungen, um ihre Angst zu besiegen. Molzen sagt: „Wenn unser Gehirn Angst lernt, kann es auch lernen, keine Angst zu haben.“