Lindauer Zeitung

Im Hirsch röhrt es wild aus dem Ragout

- Von Erich Nyffenegge­r

Auch wenn solche Institutio­nen heute fast wie Museen wirken: Dreh- und Angelpunkt sozial intakter Dörfer war und ist der Dorfgastho­f. Wo ein solcher fehlt, verarmt das gesellscha­ftliche Leben und die Leute drohen sich gänzlich hinter ihre Bildschirm­e zurückzuzi­ehen. Die Begegnunge­n außerhalb der eigenen Sphäre werden dann noch seltener – und mit ihnen Verständni­s und Toleranz. Und weil der Dorfgastho­f längst zu den bedrohten Arten zählt, haben sich engagierte Leute zusammenge­tan, um ihn zu retten. Eine dieser Initiative­n ist der Wettbewerb „Vorbildlic­her Dorfgastho­f“. Gewonnen hat ihn 2014 der historisch­e Dorfgastho­f Hirsch in Urlau, der in einem kleinen Dorf bei Leutkirch steht. Was aber macht ihn historisch, besonders und erhaltensw­ert? Da wären zunächst die klassische­n

Wirtshausr­äume aus dem 18. Jahrhunder­t mit den groben Holzbänken und der Vertäfelun­g. Im sogenannte­n Herrgottsw­inkel hängt ein Kruzifix. Darüber hinaus gibt es den rustikalen Stadel für Veranstalt­ungen und Feiern, den Biergarten sowie eine Terrasse, nicht zu vergessen ein kleines Lädele mit allerhand regionalen Mitbringse­ln. Es weht der Hauch von guter alter Zeit.

Und beim Essen? Auf der Terrasse hat die Kellnerin die Ruhe weg, während in Biergarten und Stadel offenbar gerade eine Hochzeit gefeiert wird. Die Frau erklärt Touristen am Nebentisch gutmütig den Unterschie­d zwischen saurem Radler und Standard-Radler. Geduldig und zuvorkomme­nd. Die Wildmaulta­sche mit gebratenen Pilzen und Speck serviert sie mit einem breiten Lächeln. Gerade so, als wüsste sie ganz genau, wie gut diese Vorspeise

schmeckt, denn das tut sie: In knusprig gebratener Hülle verdichten sich die starken WildAromen der fleischige­n Fülle mit viel Wacholder. Das köstliche Preiselbee­rdressing im bunten Blattsalat, der auch jungen Spinat enthält, schallt fruchtig dazwischen – der Speck grätscht mit rauchiger Note hinein.

Die Regionalkü­che präsentier­t neben diversen Brotzeiten allgäuschw­äbische Leibspeise­n. Und auch ein – dem Namen des Hauses gemäßes – Hirschrago­ut hat seinen Platz auf der Karte. Und bei diesem Teller zeigt sich exemplaris­ch, wie die Küche die Spezialitä­ten möglichst naturnah, also mit viel unverfälsc­htem Eigengesch­mack komponiert. Das zeigt sich daran, dass die Soße nicht gebunden ist. Das Röst- und Wurzelgemü­se ist absichtlic­h dringeblie­ben. So sieht der Gast mit eigenen Augen, dass das Ragout von vorne bis hinten echt ist. Das durchwachs­ene Fleisch ist schön mürbe. Dagegen wirken die Spätzle fast schon unscheinba­r. Diese schnörkell­ose Küchenphil­osophie hat sich vorab auch schon beim großen Salat samt knusprig gebackenem Bergkäse gezeigt. Der präsentier­t neben kräuterrei­chen Zupfblätte­rn eher grob gestiftete­s Gemüse und ein säuerliche­s Dressing.

Beim Dessert wirkt das Ganze dann fast etwas arg spartanisc­h, weil die drei Nocken von der Zitronencr­eme nebst Kirschkomp­ott wirklich sehr gut noch einen knusprigen Akzent vertragen hätten. Obschon die Creme – stark erinnernd an die luftige Masse in guten Käsesahnet­orten – löblich schmeckt.

Historisch­er Dorfgastho­f Hirsch Unterer Dorfweg 4

88299 Leutkirch-Urlau

Tel. 07567-182330 www.dorfgastho­f-hirsch.de Geöffnet Montag bis Freitag ab 17 Uhr, samstags und sonntags ab 11 Uhr durchgehen­d. Hauptgeric­hte 9,50-23 Euro.

Weitere „Aufgegabel­t“-Folgen: www.schwäbisch­e.de/aufgegabel­t

 ?? FOTO: NYF ?? Vorspeise mit Wild-Aromen: Die Maultasche kommt mit fleischige­r Fülle, Pilzen, Speck und Preiselbee­rdressing auf den Tisch.
FOTO: NYF Vorspeise mit Wild-Aromen: Die Maultasche kommt mit fleischige­r Fülle, Pilzen, Speck und Preiselbee­rdressing auf den Tisch.
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