Im Hirsch röhrt es wild aus dem Ragout
Auch wenn solche Institutionen heute fast wie Museen wirken: Dreh- und Angelpunkt sozial intakter Dörfer war und ist der Dorfgasthof. Wo ein solcher fehlt, verarmt das gesellschaftliche Leben und die Leute drohen sich gänzlich hinter ihre Bildschirme zurückzuziehen. Die Begegnungen außerhalb der eigenen Sphäre werden dann noch seltener – und mit ihnen Verständnis und Toleranz. Und weil der Dorfgasthof längst zu den bedrohten Arten zählt, haben sich engagierte Leute zusammengetan, um ihn zu retten. Eine dieser Initiativen ist der Wettbewerb „Vorbildlicher Dorfgasthof“. Gewonnen hat ihn 2014 der historische Dorfgasthof Hirsch in Urlau, der in einem kleinen Dorf bei Leutkirch steht. Was aber macht ihn historisch, besonders und erhaltenswert? Da wären zunächst die klassischen
Wirtshausräume aus dem 18. Jahrhundert mit den groben Holzbänken und der Vertäfelung. Im sogenannten Herrgottswinkel hängt ein Kruzifix. Darüber hinaus gibt es den rustikalen Stadel für Veranstaltungen und Feiern, den Biergarten sowie eine Terrasse, nicht zu vergessen ein kleines Lädele mit allerhand regionalen Mitbringseln. Es weht der Hauch von guter alter Zeit.
Und beim Essen? Auf der Terrasse hat die Kellnerin die Ruhe weg, während in Biergarten und Stadel offenbar gerade eine Hochzeit gefeiert wird. Die Frau erklärt Touristen am Nebentisch gutmütig den Unterschied zwischen saurem Radler und Standard-Radler. Geduldig und zuvorkommend. Die Wildmaultasche mit gebratenen Pilzen und Speck serviert sie mit einem breiten Lächeln. Gerade so, als wüsste sie ganz genau, wie gut diese Vorspeise
schmeckt, denn das tut sie: In knusprig gebratener Hülle verdichten sich die starken WildAromen der fleischigen Fülle mit viel Wacholder. Das köstliche Preiselbeerdressing im bunten Blattsalat, der auch jungen Spinat enthält, schallt fruchtig dazwischen – der Speck grätscht mit rauchiger Note hinein.
Die Regionalküche präsentiert neben diversen Brotzeiten allgäuschwäbische Leibspeisen. Und auch ein – dem Namen des Hauses gemäßes – Hirschragout hat seinen Platz auf der Karte. Und bei diesem Teller zeigt sich exemplarisch, wie die Küche die Spezialitäten möglichst naturnah, also mit viel unverfälschtem Eigengeschmack komponiert. Das zeigt sich daran, dass die Soße nicht gebunden ist. Das Röst- und Wurzelgemüse ist absichtlich dringeblieben. So sieht der Gast mit eigenen Augen, dass das Ragout von vorne bis hinten echt ist. Das durchwachsene Fleisch ist schön mürbe. Dagegen wirken die Spätzle fast schon unscheinbar. Diese schnörkellose Küchenphilosophie hat sich vorab auch schon beim großen Salat samt knusprig gebackenem Bergkäse gezeigt. Der präsentiert neben kräuterreichen Zupfblättern eher grob gestiftetes Gemüse und ein säuerliches Dressing.
Beim Dessert wirkt das Ganze dann fast etwas arg spartanisch, weil die drei Nocken von der Zitronencreme nebst Kirschkompott wirklich sehr gut noch einen knusprigen Akzent vertragen hätten. Obschon die Creme – stark erinnernd an die luftige Masse in guten Käsesahnetorten – löblich schmeckt.
Historischer Dorfgasthof Hirsch Unterer Dorfweg 4
88299 Leutkirch-Urlau
Tel. 07567-182330 www.dorfgasthof-hirsch.de Geöffnet Montag bis Freitag ab 17 Uhr, samstags und sonntags ab 11 Uhr durchgehend. Hauptgerichte 9,50-23 Euro.
Weitere „Aufgegabelt“-Folgen: www.schwäbische.de/aufgegabelt