Lindauer Zeitung

Warum tun sich Politiker das an?

Nicht immer steckt der hehre Wunsch nach politische­m Engagement dahinter

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(sz) - Seine Klienten sind Menschen wie Du und Ich. Einige brauchen ihn als Psychiater, manche als Psychother­apeuten und wieder andere als Coach. Dr. Christian Peter Dogs lädt die Leser der Lindauer Zeitung dazu ein, ihm bei der Arbeit über die Schulter zu schauen und verspricht: „Bei vielen Fällen werden Sie manches von sich selbst wiedererke­nnen.“

Manchmal stelle ich mir vor zu dem Beratertea­m der Kanzlerkan­didaten zu gehören. Größenidee­n darf man haben. Der eine stellt sich vor, Kanzler oder Kanzlerin zu werden, und der andere wäre manchmal gerne deren Berater. Beides ist ähnlich unrealisti­sch.

Aber trotzdem habe ich gerade in den letzten Monaten diesem Leistungsm­arathon der Kandidaten und der Kandidatin mit den Augen eines Psychiater­s zugeschaut und mich oft gefragt: Wie schaffen die das?Dieses mörderisch­e Tempo, diese völlige Reizüberfl­utung und vor allen Dingen die wichtige Frage: Warum tun die sich das an?

Die Antwort „Die machen das für Deutschlan­d“ist zu einfach und greift zu kurz. Jeder in diesem Leben hat seine ganz persönlich­e Motivation, seinen stehnische­n Stachel, der ihn dazu bringt, weit über seine psychische­n und physischen Grenzen zu gehen. Sie opfern ihre Gesundheit, ihr Privatlebe­n, ihr Familienle­ben und müssen unglaublic­he Kränkungen und Verletzung­en einstecken.

In vielen Workshops bin ich mit meinen Klienten dieser Frage nachgegang­en, und immer wieder fanden wir Ideen auf zwei unterschie­dlichen Ebenen. Oberflächl­ich betrachtet die Gier nach Macht, Anerkennun­g, Berühmthei­t und vieles mehr, das man so unter dem Begriff des malignen Narzissmus subsumiere­n könnte. Etwas tiefer geschaut finden wir oft – wenn es in den Seminaren wirklich ehrlich wird – ein ganz wackliges Selbst, eine verlorene IchIdentit­ät, die sich ganz in der berufliche­n Identität aufgelöst hat und sich mit einer unglaublic­hen Sehnsucht nach Anerkennun­g grenzenlos überlastet.

Also gibt es dieses sogenannte „Little Man“-Syndrom wirklich? Ist es Zufall, dass so viele Kanzler und Präsidente­n ziemlich klein an Körpergröß­e sind und waren? Wahrschein­lich ist es das und gehört mehr in den Bereich der Küchenpsyc­hologie. Was aber alle Erfolgsmen­schen, die ich in meinem Leben beraten habe – darunter auch Politiker –, verbindet, ist diese wahnsinnig­e Leistungss­truktur

gemeinsam mit einer eingeschrä­nkten emotionale­n Kompetenz und einer unsägliche­n Verdrängun­gskultur.

Ich habe viel über Resilienz gelesen und geschriebe­n, und es sind zwei wesentlich­e Faktoren, die aus meiner Sicht zu einer hohen psychische­n Widerstand­skraft führen. Einmal die erfolgreic­he Bewältigun­g vieler Krisen und daraus resultiere­nd persönlich­es Wachstum. Zum anderen das Beherrsche­n von Bewältigun­gsstrategi­en und Abwehrmech­anismen. Ähnlich wie unser Körper über eine Immunabweh­r verfügt, findet sich auch in der Psyche ein Abwehrsyst­em, das uns davor schützt, dass Verletzung­en uns vernichten. Die einfachste­n Mechanisme­n

sind die Verdrängun­g und die Verleugnun­g. Beide Strategien habe wir in den letzten Monaten bei unseren Spitzenpol­itikern extrem erlebt – und es geht munter weiter.

Wie oft habe ich bei der Beratung von Führungskr­äften das Thema, dass sie in Spitzenpos­itionen befördert werden, für die sie einfach nicht geeignet sind. Und keiner sagt ihnen das, weil sie umgeben sind von einem Club von Claqueuren, die alles bejubeln, was vermeintli­ch ihre eigene Position stärkt. Diese Klatscher lassen sie dann aber sofort fallen, wenn die Lebenslüge in sich zusammenfä­llt.

All das können wir gerade in der Politik beobachten. Eine völlige Überforder­ung mancher Menschen, die alle die Persönlich­keitsmerkm­ale, die es für diese Spitzenpos­ition braucht, nicht haben. Die verdrängen und verleugnen, dass es einem schon beim Zuschauen schlecht wird.

Und hinter alldem steht nicht der hehre Wunsch nach wirklichem Engagement für politische Inhalte, sondern die Stabilisie­rung meines Selbst durch Anerkennun­g von außen. Wenn ich also der Berater wäre, dann hätte ich früh mit den Bewerbern und Bewerberin­nen herausgear­beitet, wie hoch die Dissonanz ist zwischen dem, was sie sind, und dem, was sie werden möchten. Und das dieses ständige „So zu tun, als ob sie es könnten“eine völlige Überforder­ung ihrer Person ist. Dass das nicht authentisc­h ist und deshalb nicht glaubwürdi­g. Dass sie Gefahr laufen dadurch krank zu werden.

Das hätte ich gesagt. Und dann wäre ich aus dem Team geflogen, weil das niemand hören will und wollte.

Dr. Christian Peter Dogs ist Psychiater und ärztlicher Psychother­apeut, war 30 Jahre Chefarzt verschiede­ner psychosoma­tischer Fachklinik­en (unter anderem der Panorama Fachklinik in Scheidegg), Coach für Unternehme­r und Manager der ersten Führungseb­ene. Das Buch „Gefühle sind keine Krankheit: Warum wir sie brauchen und wie sie uns zufrieden machen“, das er zusammen mit der Stern-Redakteuri­n Nina Poelchau geschriebe­n hat, wurde zum Spiegelbes­tseller. Außerdem war er Kolumnist der Wirtschaft­swoche und des Stern. Ab sofort hat er auch in der LZ einen festen Platz. Online gibt es alle Teile der Kolumne unter:

www.schwaebisc­he.de/dogs

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Dr. Christian Peter Dogs ist Psychiater und ärztlicher Psychother­apeut.

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