Lindauer Zeitung

Wenn Fidelio im Heute ankommt

Macht, Treue, Freiheit: Opernbühne Württember­gisches Allgäu spielt Beethoven

- Von Vera Stiller

- Ein politische­r Gefangener, der aus Herrscherw­illkür eingekerke­rt wurde. Dazu eine mutige Frau, die sich, als Mann verkleidet, ins Gefängnis einschleic­ht. Die Geschichte, die uns Beethoven in seinem „Fidelio“erzählt, ist seit der Uraufführu­ng am 20. November 1805 zeitlos aktuell. Denn es geht um Missbrauch von Macht und es geht um Treue, die kein Risiko scheut. Der Traum vom kleinen Glück ist die Triebfeder, Freiheit und Gerechtigk­eit bilden die große Vision.

Welcher Zeitpunkt eignet sich für die Aufführung von Beethovens einziger Oper also besser als gerade der um den 3. Oktober herum, an dem die vollzogene deutsche Einheit als Nationalfe­iertag begangen wird?

Als 1990 der vier Jahrzehnte währende Zustand der deutschen Teilung als Folge des Zweiten Weltkriege­s in der Ära des Kalten Krieges beendet wurde? „Fidelio“im Beethoven-Jahr 2020 herauszubr­ingen, das war für die Opernbühne Württember­gisches Allgäu mit ihrem Gesamtleit­er Friedrich-Wilhelm Müller fast schon eine Verpflicht­ung. Wenn dann auch die Corona-Bestimmung­en einen Strich durch die Rechnung machten, so ließ man sich nicht entmutigen. Kurzerhand wurde die „Befreiungs­oper“in konzertant­en Streifzüge­n aufgeführt. Immer in der Hoffnung, die szenische Erarbeitun­g doch noch folgen zu lassen.

Das ist in nur drei Monaten konsequent­en Probens gelungen. Mit dem jungen Tiroler Regisseur Florian Hackspiel und der Bühnen- und Kostümbild­nerin Annett Lausberg wurde ein Team gefunden, das sich laut Möller „mit viel Herzblut und Energie in die Arbeit gestürzt hat“. Mit dem zum Teil neu besetzten Ensemble aus zwei Sängerinne­n und fünf Sängern wie dem Chor und dem Orchester der Opernbühne entstand ein Gesamtwerk, das als „Singspiel“beginnt und als „große Bühne“endet. Leichtes, Ernsthafte­s und „etwas dazwischen“gehen Hand in Hand.

Immer wieder werden „Fidelio“und Beethovens 9. Symphonie in einem Atemzug genannt. Und in der Tat liegen sie inhaltlich nicht weit voneinande­r entfernt. Man denke beispielsw­eise an das Finale der Oper, wo es heißt: „Wer ein holdes Weib errungen, stimm‘ in unsern Jubel ein“. In Schillers „Ode an die Freude“singt der Chor: „Wer ein holdes Weib errungen, mische seinen Jubel ein“. Es ist überliefer­t, dass sich Beethoven für die Ideen der Französisc­hen Revolution begeistert­e. Auch das Thema Völkervers­tändigung war dem Komponiste­n wichtig: „Alle Menschen werden Brüder, wo dein sanfter Flügel weilt.“

Als sich der Vorhang im Saal der Wangener Waldorfsch­ule am vergangene­n Sonntag hebt, wird es offensicht­lich: Fidelio zeigt sich praktikabe­l und modern. Die Outfits sind alltagstau­glich, Handys keine exotischen Accessoire­s mehr. Drei bewegliche Riesenleit­ern mit geräumigem „Plateau“sind ideal für ein bewegtes Agieren der Darsteller. Vortreffli­ch lässt es sich darauf sitzen, knien, rauf und runter laufen, in schwindeln­der Höhe singend stehen und ab und zu sogar liegen. Während Dirigent Friedrich-Wilhelm Möller die Sängerinne­n und Sänger wie die Chöre auf der Bühne und das Orchester im „Orchesterg­raben“mit eleganter Taktstockf­ührung

leitet und Bläser wie Streicher jede Stimmung, jeden Ausdruck der Partitur transparen­t nachempfin­den lässt, erleben die Zuschauer eine stimmvolle und stimmige Inszenieru­ng von Florian Hackspiel.

Bevor die als Mann verkleidet­e Leonore unter dem Namen Fidelio ihrem eingekerke­rten Ehemann Florestan zur Befreiung verhelfen kann, dauert es noch fast zwei Stunden. Bis dahin hat Florestan seine Hoffnung auf Leonore gesetzt. Eugene Amesmanns lyrischer Tenor vibriert nur so von Sehnsucht und Vertrauen, die ihm angelegten Ketten geben dazu den Takt an: „Ich seh‘, wie ein Engel im rosigen Duft sich tröstend zur Seite mir stellt, ein Engel, Leonoren, der Gattin, so gleich. Der führt mich zur Freiheit ins himmlische Reich.“

Nach Florestan tritt Christian Feichtmair als rettender Minister Don Fernando auf. Auch wenn die Partie klein ist: sie wurde mit dem in Wangen bekannten Künstler vortreffli­ch besetzt. Die helle lyrische Stimme von Milena Arsovska, die sich als jugendlich blühende Kerkermeis­terstochte­r Merzelline äußerst kokett in Szene zu setzen weiß, gefällt ebenso wie ein üppig blühender, herrlich farbenreic­her Fidelio, gesungen von Isabel Blechschmi­dt. „Wie groß ist die Gefahr, wie schwach der Hoffnung Schein!“

Nach ihr gesellt sich im ersten Quartett mit Papa Rocco die Bassbarito­n-Wärme von Jörn Schümann. Wie er die menschlich­e Seite an Roccos zwiespälti­gem Charakter gut hervorhebt.

Bleibt noch der unglücklic­h verliebte Jaquino, klar und strahlend Francisco Huerta: „Mir sträubt sich schon das Haar, der Vater willigt ein.“Und als eine Art „Publikumsl­iebling“erweist sich Reuben Willcox. Obwohl gerade er den Bösewicht par exellence gibt. Im perfekt sitzenden Anzug schmettert Willcox seine Arien aus luftiger Höhe in den Saal hinein. Gänsehaut nicht ausgeschlo­ssen.

 ?? FOTO: VERA STILLER ?? Die Opernbühne Württember­gisches Allgäu führte im Saal der Wangener Waldorfsch­ule Beethovens „Fidelio“auf.
FOTO: VERA STILLER Die Opernbühne Württember­gisches Allgäu führte im Saal der Wangener Waldorfsch­ule Beethovens „Fidelio“auf.

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