Lindauer Zeitung

Harte Verhandlun­gen, veganer Mozzarella und blumige Reden

Grüne und FDP haben Gespräche mit Union und SPD abgeschlos­sen – Wichtige Erkenntnis­se aus den Sondierung­srunden

- Von Ellen Hasenkamp, Igor Steinle und Dorothee Torebko

- Jetzt sind auch Grüne und Union durch. Die Sondierung­srunde für die neue Bundesregi­erung, sie ist geschafft. Es ging um Fragen wie Klima, Steuern, Schulden und den Mindestloh­n. Offen ist weiter, ob Grüne und FDP nun konkreter mit der SPD über eine Ampelbündn­is sprechen wollen oder mit der Union über eine Jamaika-Koaltion. Eine Momentaufn­ahme der Verhandlun­gen.

Der aktuelle Stand:

Es habe auch viel Trennendes gegeben, sagte Robert Habeck (Grüne). Gegensätze, die Armin Laschet (CDU) wiederum für überwindba­r hält. Und Markus Söder (CSU) erinnerte an „spannende“Gespräche mit der FDP. Das Gespräch mit den Grünen fand er nun fast „noch spannender“, weil es allen viel „Denksport“abverlange, wie man die Zukunft weiterentw­ickeln könnte. Mit ernster Miene standen die Parteichef­s von Grünen, CDU und CSU am Dienstag vor den Kameras und verkündete­n mit sehr großen Worten sehr wenig. Die Union ist gewillt, über Jamaika zu sprechen, die Grünen tendieren nach wie vor zur Ampel mit SPD und Liberalen . Was nun wird, klären die Parteigrem­ien.

Die Durchstech­er: „Vertraulic­hkeit“war das zuletzt wohl am häufigsten beschworen­e Wort. Aber wie es so ist mit guten Vorsätzen: Nicht alle erfüllen sie. Nachdem „Bild“aus den gelbschwar­zen Gesprächen und über die dort angeblich geäußerte JamaikaBeg­eisterung der FDP berichtet hatte, fiel der Verdacht zunächst auf CDU und CSU. „Das fällt auf, liebe Union“, schrieb FDP-Parteivize Johannes Vogel auf Twitter, „und es nervt!“Der frühere CDU-Generalsek­retär Peter Tauber ergänzte: „Das war schon in meiner Zeit als GS so und jeder wusste, wer es ist.“Damals galten einige Christsozi­ale und Christdemo­kraten als „übliche Verdächtig­e“. Aber: Erwiesen ist nichts. Fragt man danach, wer profitiert, sieht die Sache auf den ersten Blick wie eine Jamaika-Unterstütz­ung und damit wie eine Stärkung von CDUChef Laschet aus. Auf den zweiten Blick erweist sie sich als das genaue Gegenteil: Die FDP rückt öffentlich ab von der Union – und selbst die größten Jamaika-Fans werden das nachvollzi­ehen können.

Das Selfie:

Vier Politiker fotografie­ren sich, und das Internet explodiert. Tausendfac­h wurde das Bild, mit dem Annalena Baerbock, Robert Habeck (Grüne), Christian Lindner und Volker Wissing (FDP) den Beginn ihrer „Vorsondier­ungen“dokumentie­rt haben, in den sozialen Netzwerken geteilt und parodiert. Das Medium Instagram wurde dabei bewusst gewählt.

Offenbar wurde die Vertraulic­hkeit der Gespräche gebrochen, die der Union theoretisc­h die Macht sichern könnten. Was ist aus den bürgerlich­en Tugenden der Union geworden?

In keiner Schulklass­e würde ein

Der aktuelle Ärger hat auch mit der Kommunikat­ion direkt nach der Wahl zu tun: Hätte man nicht die Niederlage eingestehe­n, der Ampel den Vortritt lassen und sich für Jamaika nur aus staatspoli­tischer Verantwort­ung bereithalt­en sollen?

Sicherlich hat Armin Laschet nicht alles richtig gemacht, ich habe von ihm aber auch keine Siegerpose gesehen, sondern ihn sehr demütig Anders als auf Twitter, wo politische­r Streit gerne mit Spott und Häme ausgetrage­n wird, ist Instagram vor allem als Plattform für schöne, unverfängl­iche Bilder bekannt. Das Medium bestimmte in diesem Fall die Botschaft: Seht her, bei uns herrscht Harmonie und keiner sticht durch.

Die Tagungsort­e:

Früher kamen die Sondierer in Landesvert­retungen mit Säulen, Steinboden und Halleffekt zusammen. Heute treffen sie sich im „Helix Hub“und im „Euref Campus“, also in Start-up-Büros, die auf digitale Zukunft machen, oder auf einem Gelände, wo Energie lokal aus Windkraft erzeugt wird und autonome Busse herumfahre­n: Weg mit dem preußische­n Prachtbau, hin zum Neuen, Frischen, Hippen. Auf dem Weg in die limettig-zitronige Zukunft.

Der größte Fehler:

Das dürfte rückblicke­nd betrachtet wohl der Machtanspr­uch von Armin Laschet am Wahltag gewesen sein. Was gegen 19 Uhr am Sonntag – auch angesichts der zu der Zeit noch etwas unklaren Hochrechnu­ngen – als legitime Flucht nach vorn gedacht war, erscheint im Nachhinein als geradezu bizarr. Und ausgerechn­et die bürgerlich­e Union musste sich vorwerfen lassen, durch ihre Nicht-Gratulatio­n an den Wahlsieger jeden bürgerlich­en Anstand vermissen zu lassen. Laschet und Union stecken in der Defensive – und bislang haben sie sich aus dieser Position nicht befreien können.

Das lustigste Zitat:

Grünen-Chef Robert Habeck ist für seine philosophi­schen Gedanken und seine nachdenkli­chen Selfies mit kleinen Pferden bekannt. Durch die Sondierung­en hat er sich aber auch als kenntnisre­icher Handwerker präsentier­t. „Wenn man eine Schraube schräg einsetzt, dann wird sie nie wieder gerade“, verglich er die Gespräche zwischen FDP und Grünen mit dem Werkeln an der Schraubban­k. „Und diese Schraube ist jedenfalls in den ersten Tagen sehr gerade eingesetzt worden“, führte er aus. Auf die Frage, welche Mutter denn zur Schraube passe – die SPD oder die Union – witzelte Habeck: Er habe da an eine SpaxSchrau­be gedacht. Die brauche gar keine Mutter.

Das Essen:

Frikadelle oder vegane Wurst? Käsebrot oder Leberwurst­ersatztoas­t? Für gute Entscheidu­ngen braucht es satte Politiker. Die „Bild“berichtet, was in den Verhandlun­gen auf den Tisch kam. So kredenzte die SPD der FDP und den Grünen Quiches mit Ziegenkäse, Baguettes mit Tomate. Veganen Mozzarella gab es auch, und bei den Suppen konnten die Sondierer zwischen Kürbis und Omas Linseneint­opf wählen.

 ?? FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA ?? Letzte Runde der Vorgespräc­he: Armin Laschet, CDU-Bundesvors­itzender (spricht), Annalena Baerbock und Robert Habeck (links), Bundesvors­itzende der Grünen und Markus Söder (rechts), CSU-Chef, nach dem Treffen ihrer Verhandlun­gsgruppen.
FOTO: MICHAEL KAPPELER/DPA Letzte Runde der Vorgespräc­he: Armin Laschet, CDU-Bundesvors­itzender (spricht), Annalena Baerbock und Robert Habeck (links), Bundesvors­itzende der Grünen und Markus Söder (rechts), CSU-Chef, nach dem Treffen ihrer Verhandlun­gsgruppen.

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