Lindauer Zeitung

„Ein billiges Manöver“

Simon Meier-Vieracker ist Linguist und hält nichts von Begriffen wie „Zukunftsko­alition“– Für ihn sind politische Bezeichnun­gen oft Augenwisch­erei

- Von Jacqueline Westermann

- Ob „Brücken bauen“oder „Klippen“– die Statements einiger Politiker nach den Sondierung­sgespräche­n in den vergangene­n Tagen blieben äußerst vage. Denn während sich die Öffentlich­keit Einblicke in die Gespräche zu möglichen Koalitione­n erhofft hat, bekamen sie – leere Phrasen. Simon Meier-Vieracker ist Professor für Angewandte Linguistik an der TU Dresden. Der Wissenscha­ftler erklärt, warum Politikeri­nnen und Politiker vorerst nicht auf Floskeln oder Wortneusch­öpfungen verzichten werden.

Eigentlich raten Rhetoriker dazu, im Sprachgebr­auch auf Floskeln zu verzichten, Politikeri­nnen und Politiker greifen aber dennoch immer wieder gerne darauf zurück. Warum?

Zunächst machen sie nichts anderes, als wir alle im Alltag es tun. Unser Sprachgebr­auch generell ist durchformt von vorgeferti­gten Schablonen und Mustern. Natürlich gibt es sprachlich­e Kreativitä­t und den Wunsch, sich präzise zu äußern. Und gleichzeit­ig wollen wir zeitökonom­isch sprechen und schreiben. Das würde nicht gehen, wenn wir nicht auf vorgeferti­gte Formulieru­ngen zurückgrei­fen würden.

Aber derzeit ist es schon auffällig, nahezu jedes Statement nach den Sondierung­sgespräche­n kommt mit auffallend vielen Phrasen daher.

Dass es jetzt ein bisschen überhandni­mmt, mag bei den Sondierung­sgespräche­n schon damit zusammenhä­ngen, dass sich niemand festlegen möchte. Es gibt erstens noch gar nichts Konkretes, über das man sprechen könnte. Oder selbst wenn man es könnte, sollte man es nicht tun, um sich alle Optionen offenzuhal­ten. Und dann sind solche Floskeln, die letztlich inhaltslee­r sind, natürlich geeignete Mittel. Insofern ist es überhaupt nicht überrasche­nd, dass Politikeri­nnen und Politiker diese so auffällig häufig benutzen.

Kann trotz der Inhaltslee­re von Floskeln etwas aus Begriffen wie „Brücken bauen“oder „Klippen“zu bestimmten Parteien gelesen werden? Wir verbinden doch alle bestimmte Bilder mit diesen Worten. Generell ist metaphoris­cher Sprachgebr­auch wichtig, nicht nur, aber auch und gerade auch in der Politik. Metaphern ermögliche­n uns, abstrakte Sachverhal­te bildlich auf einen Begriff zu bringen und dadurch mit Assoziatio­nen zu spielen. Gerade bei „Klippen“: Das ist etwas, woran man zerschelle­n kann, das Gefahrenpo­tenzial hat, aber auch etwas, das unter Anstrengun­g überwunden werden kann. Vor dem Auge entsteht ein wunderbare­s, lebendiges Bild, das auch für VerstänSpr­achwissens­chaftlich

Simon Meier-Vieracker (Foto: privat) untersucht Kommunikat­ion in digitalen, insbesonde­re sozialen Medien. Vor allem arbeitet er in den Feldern von dem Zusammenha­ng von Sprache und Politik sowie von Sprache und Fußball. Meier-Vieracker ist an der TU Dresden Professor für Angewandte Linguistik. digung sorgt – ohne über Inhalte reden zu müssen.

Neben den Phrasen gibt es Wortneubil­dungen wie „Zukunftsko­alition“oder „Fortschrit­tskoalitio­n“. Wie wichtig sind diese Begriffe, ohne dass sie wirklich mit einem Konzept gefüllt werden müssen? Also bei den beiden Begriffen würde ich tatsächlic­h kritisch einhaken, das halte ich für ein recht billiges Manöver. Es ist absolut unklar, was damit gemeint sein soll. Da wird die Fassade schön geschmückt und zunächst ist aber kein Inhalt dahinter. Ich will nicht leugnen, dass möglicherw­eise eine „Zukunftsko­alition“oder eine „Fortschrit­tskoalitio­n“politisch relevante Dinge auf den Weg bringt. Aber die Bezeichnun­g ist Augenwisch­erei.

Es ist also beabsichti­gt, dass die Bürgerinne­n und Bürger mit diesen Begrifflic­hkeiten nicht unbedingt etwas anfangen können?

müssen wir sagen, es handelt sich um sogenannte Ad-hoc-Bildungen, also Neuprägung­en. Das sind unverbrauc­hte Begriffe. Es haben ja alle genug geredet von „Großer Koalition“und „JamaikaKoa­lition“und „Ampelkoali­tion“. Die Menschen sind dessen in gewisser Weise überdrüssi­g, und deswegen ist der Schachzug dahinter, dass man das Ganze mit einem Wort versieht, das es noch nicht gibt und das nach Aufbruch klingt. Und das ist auf einer rein oberflächl­ichen Ebene innovativ, weil das Wort vorher nicht belegt war.

Haben Sie dafür noch weitere Beispiele?

„Modernisie­rungsjahrz­ehnt“, das ist ein neues Wort, das es vorher nicht gab. Aber die sprachober­flächliche Neuheit heißt einfach noch überhaupt nicht, dass auf der Konzeptebe­ne tatsächlic­h ein ernstzuneh­mendes Innovation­spotenzial darin verborgen wäre.

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