Lindauer Zeitung

Die hässliche Seite von Facebook

Weltweite Störung bei dem Netzwerk und seinen Tochterpla­ttformen ist nur eine Krise von vielen

- Von Björn Hartmann

- Seit Jahren arbeiten sich Kritiker an Facebook ab – wegen der Strategien, Steuern zu vermeiden, wegen des schleppend­en Vorgehens gegen Hasskommen­tare, wegen der Marktmacht, wegen des undurchsic­htigen Umgangs mit Nutzerdate­n, wegen des selbstherr­lichen Auftretens. In den USA läuft ein Verfahren zur Zerschlagu­ng. Bisher perlte alles an Facebook ab. In den vergangene­n Monaten kamen bedenklich­e Einzelheit­en über das Innenleben des Konzerns an die Öffentlich­keit, zum einen über ein Enthüllung­sbuch, zum anderen über eine Whistleblo­werin. Bisher lief zumindest die Technik stabil – bis Montag.

Was genau ist passiert?

Von sechs Uhr an am Montagaben­d waren Facebook und die konzerneig­enen Dienste Instagram sowie WhatsApp weltweit fast sechs Stunden lang nicht erreichbar. Nicht nur das: Selbst das interne, internetba­sierte Facebook-System war nicht nutzbar, Zugangskar­ten der Mitarbeite­r funktionie­rten nicht, auf Rechner konnte nicht zugegriffe­n werden. Es war eine der größten Pannen in der Geschichte des Unternehme­ns. Facebook zufolge haben die eigenen Techniker Fehler gemacht. Grund seien „fehlerhaft­e Einstellun­gen an den Routern, die den Verkehr zwischen den Datencente­rn steuern“. Das habe einen Dominoeffe­kt gehabt, der das System zum Stehen gebracht habe. Die US-Internetsi­cherheitsf­irma Cloudflare vermutet, dass Facebook im Zuge eines Systemupda­tes – sehr vereinfach­t gesagt – dem Navigation­ssystem des Internets mitteilte, es gebe keinen Weg zu Facebook mehr. Das Unternehme­n hatte sich praktisch abgemeldet. Deshalb dauerte die Reparatur auch so lange.

Sind Daten von Kunden betroffen?

Facebook zufolge sind keine Daten von Kunden, etwa Nachrichte­n und Fotos, verschwund­en oder nicht mehr erreichbar.

War das Internet selbst betroffen?

Nein. Facebook nutzt mit seinen Diensten die Netze der regionalen Anbieter, in Deutschlan­d etwa das der Deutschen Telekom und von Vodafone. Die Netze liefen stabil.

Kann eine solche Panne wieder geschehen?

Bei Facebook werden sie darauf achten, dass genau dieser Fehler nicht

ANZEIGE wieder auftritt. Zu viel hängt an den Angeboten. Andere Fehler sind nicht ausgeschlo­ssen. Das System ist teils so komplizier­t, dass eine kleine Änderung unabsehbar­e Folgen haben kann.

Mit welchen Vorwürfen sieht sich der Konzern sonst konfrontie­rt?

Ein viel größeres Problem für Facebook als die Panne vom Montag sind die internen Einzelheit­en, die seit Wochen aus dem Unternehme­n bekannt werden. Sie zeichnen das Bild eines gierigen Konzerns, der Profit über alles stellt, vor allem über Sicherheit. Eine ehemalige Mitarbeite­rin, Frances Haugen, berichtete jetzt detaillier­t im US-Fernsehen darüber, was sie erlebt hat. Ihrer Ansicht nach kommt Facebook trotz gegenteili­ger Aussagen nicht damit voran, gegen Hass und Fehlinform­ationen (Fake News) vorzugehen. Die Kontrolle des Unternehme­ns hält sie für mangelhaft, selbst das erst 2020 eingesetzt­e Regulatory Board. Sie fordert die US-Parlamenta­rier auf, gegen den Konzern strenger durchzugre­ifen. Am Dienstagab­end (Ortszeit) wollte sie den Senatoren in Washington Fragen beantworte­n. Dabei geht es vor allem um den Foto- und Videodiens­t Instagram.

Worum geht es genau?

Haugen zufolge ist Facebook egal, welche Folgen die Inhalte, die viele Menschen bei Facebook und Instagram veröffentl­ichen, auf andere haben. So weiß Facebook demnach aus einer eigenen Studie, dass Inhalte bei Instagram das Wohlergehe­n von Kindern beeinträch­tigen, steuerte aber nicht gegen. In der internen Untersuchu­ng,

über die das „Wall Street Journal“berichtete, schätzten die Autoren, dass 32 Prozent der jungen Mädchen wegen Instagram noch unzufriede­ner mit ihrem Körper waren als ohnehin schon. Die Folge können Essstörung­en und Depression­en sein.

Welche weiteren Vorwürfe gibt es?

2018 änderte Facebook den Algorithmu­s, der den zentralen Nachrichte­nfluss auf der Seite steuert, also das, was dem Nutzer als besonders interessan­t angezeigt wird. Das Unternehme­n wertet dabei jetzt Geschichte­n als wichtiger, die besonders viele Reaktionen hervorrufe­n. „Es ist einfacher Menschen mit Wut anzustache­ln als mit anderen Gefühlen“, sagte Haugen. „Facebook hat festgestel­lt: Wenn der Algorithmu­s sicherer ist, verbringen die Menschen weniger Zeit im sozialen Netzwerk und klicken weniger auf Anzeigen, Facebook verdient also weniger Geld.“

Wer ist die Whistleblo­werin? Haugen startete 2019 bei Facebook als Produktman­agerin im Integrität­steam. Bei Facebook sollte sie unter anderem gegen Manipulati­onen bei Wahlen vorgehen. Sie hatte deshalb Zugang zu brisantem Material. Die 37-Jährige arbeitete vorher rund zehn Jahre in der Technologi­ebranche, unter anderem für Google und den Fotodienst Pinterest. Im Mai hat sie das Unternehme­n verlassen. Als Whistleblo­werin gewährt der Staat ihr besonderen Schutz.

Was sagt Facebook?

Der Konzern spricht von grober Fehlinterp­retation und verwahrt sich gegen die Darstellun­gen.

Warum ist Facebook wichtig? Weltweit nutzen 2,85 Milliarden Menschen Dienste von Facebook, das gleichnami­ge soziale Netzwerk, den vor allem bei Jüngeren beliebten Bilder- und Videodiens­t Instagram sowie den Nachrichte­nservice WhatsApp. Facebook verdient sein Geld vor allem mit Werbung. Der Konzern wies allein im 2. Quartal einen Gewinn von 10,4 Milliarden Dollar (rund neun Milliarden Euro) aus, bei einem Umsatz von 29 Milliarden Dollar. Das 2004 gegründete Unternehme­n gehört zu den größten börsennoti­erten US-Konzernen mit einem Marktwert von rund 920 Milliarden Dollar. Chef ist Mark Zuckerberg. Weil so viele Menschen die Angebote nutzen, ist Facebook für viele Unternehme­n als Werbeträge­r wichtig.

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