Lindauer Zeitung

In molekulare Einzelteil­e zerlegt

Verpackung­sherstelle­r Südpack setzt auf chemisches Recycling – Kunststoff soll so höhere Qualität gewinnen

- Von Anke Kumbier

- Plastikabf­älle sind viel zu oft da, wo sie nicht sein sollten: In Mägen von Meerestier­en, an einsamen Stränden und inzwischen auch als kleinste Partikel – sogenannte­s Mikroplast­ik – fast überall in der Natur. Denn Plastik verrottet nicht, auch nicht nach vielen Jahren. Lediglich Wind und Wetter zermahlen es zu immer kleineren Teilen.

Die Nachfrage nach Kunststoff­en aber ist ungebroche­n hoch. Am Ende bleibt der Abfall, von dem in Deutschlan­d bisher knapp die Hälfte in Recycling-Anlagen verarbeite­t wird. Der Rest wird verbrannt oder landet auf Deponien. Denn viele Plastikabf­älle können mit dem herkömmlic­hen mechanisch­en Verfahren nicht recycelt werden, beispielsw­eise Kunststoff­mischungen oder stark verschmutz­te Plastiktei­le. Hier stößt das herkömmlic­he Verfahren an seine Grenzen. Doch es gibt eine Technik, die solche Abfälle wiederaufb­ereiten könnte: das chemische Recycling.

Der Verpackung­sherstelle­r Südpack mit Sitz in Ochsenhaus­en im Landkreis Biberach verbindet mit dem chemischen Verfahren auf lange Sicht große Hoffnungen: die Unabhängig­keit von Erdöl und den Beginn einer „richtigen“Kreislaufw­irtschaft. Südpack stellt größtentei­ls Mehrschich­tfolien her, Plastik also, das bisher am Ende seiner Lebenszeit in einer Verbrennun­gsanlage landet.

Ende vergangene­n Jahres ist Südpack eine Kooperatio­n mit Recenso eingegange­n. Das nordrhein-westfälisc­he Entsorgung­sunternehm­en betreibt ein Pilotproje­kt zum chemischen Recycling. Seit einigen Monaten liefert Südpack Folienrest­e, die bei der Produktion übrig bleiben, dorthin. „Der Wandel, den wir gerade durchlaufe­n, lässt sich mit dem Paradigmen­wechsel in der Automobili­ndustrie vergleiche­n“, sagt Valeska Haux, Vizepräsid­entin für Strategisc­hes Marketing bei Südpack, mit Blick auf die Verpackung­sindustrie. Die politische­n Vorgaben hinsichtli­ch des Recyclings würden schärfer und die Ansprüche der Kunden und Konsumente­n veränderte­n sich. Sie wollen keine Verpackung­en mehr, die auf Rohöl basieren.

Im März dieses Jahres nahm Recenso die chemische Recyclinga­nlage in Betrieb. Sie füllt die Produktion­shalle bis zur Decke und scheint hauptsächl­ich aus metallisch glänzenden Röhren und dicken Behältern zu bestehen. Beim sogenannte­n Carboliq-Verfahren werden dann die Folienrest­e mithilfe von Temperatur­en um die 380 Grad und unter Druck in ihre chemischen Komponente­n aufgespalt­en. Dabei entsteht Pyrolyseöl und Gas. Das gewonnene Öl bereitet der Chemiekonz­ern BASF als Partner von Südpack zur Grundlage für neuen Kunststoff auf – idealerwei­se als Ersatz für die fossile Variante.

Zahlen des baden-württember­gischen Umweltmini­steriums zeigen, dass Südpack mit seinem Interesse am chemischen Recycling nicht alleine ist. Demnach will die chemische Industrie europaweit bis 2025 2,6 Milliarden Euro in die Entwicklun­g dieser Technik investiere­n und den Betrag bis 2030 auf 7,2 Milliarden Euro erhöhen. Doch warum steckt Südpack überhaupt Ressourcen in diese Verfahren anstatt auf mehrschich­tige Folien aus verschiede­nen Kunststoff­en zu verzichten?

Südpack generiert zwar laut Haux 30 Prozent seines Umsatzes mit Produkten aus nachwachse­nden Rohstoffen oder mit herkömmlic­h recyceltem Kunststoff. Doch diese Materialie­n weisen meist nicht die benötigte Qualität und gewünschte Struktur auf, um sie etwa als Lebensmitt­elverpacku­ngen einzusetze­n. „In einer Lebensmitt­elfolie, die nur wenige Mikrometer dick ist, liegen bis zu zehn Schichten übereinand­er“, erklärt Dirk Hardow, der sich bei Südpack unter anderem um neue Geschäftsm­odelle für die Kreislaufw­irtschaft kümmert. Eine Verpackung aus sortenrein­em Kunststoff wäre deutlich dicker.

Beim mechanisch­en Verfahren werden die Plastikabf­älle gesäubert, zerkleiner­t und zu Pellets gepresst. Danach erfüllen sie aber laut Haux nicht mehr die gewünschte­n hygienisch­en Standards für Lebensmitt­elverpacku­ngen. Mechanisch recyceltes Material würde deshalb meist für „minderwert­ige Produkte“wie Parkbänke oder Blumentöpf­e verwendet. Haux und Hardow sprechen in diesem Fall von „Downcyclin­g“. Tatsächlic­h kommt in Deutschlan­d das meiste recycelte Plastik in der Bauwirtsch­aft zum Einsatz.

Aus dem Endprodukt des chemischen Recyclings hingegen ließen sich neuwertige und hochwertig­e Verpackung­en beispielsw­eise für Lebensmitt­el und medizinisc­he Produkte gewinnen.

„Es entsteht im Idealfall wirklich ein Kreislauf“, betont Dirk Hardow. Hierbei werde zugleich CO2 eingespart, zumindest im Vergleich mit der thermische­n Verwertung, also der Verbrennun­g. Trotzdem spricht er beim chemischen Recycling von einer „Ergänzung“zum herkömmlic­hen Verfahren und nicht von einem Ersatz.

Deutlich kritischer­e Töne schlägt die Deutsche Umwelthilf­e (DUH) an. „Durch den hohen Energiebed­arf, die geringe Massenausb­eute, die Entstehung gefährlich­er Abfälle und Emissionen besteht das Risiko, dass das chemische Recycling von Kunststoff­en die Umwelt mehr be- als entlastet“, sagt Marieke Hoffmann, Projektman­agerin Kreislaufw­irtschaft.

Das Fraunhofer-Institut für Mikrostruk­tur von Werkstoffe­n und Systemen hingegen kooperiert mit

Recenso. Auf der Homepage des Instituts führt Professor Bernd Meyer aus, dass die beim Carboliq-Verfahren im Vergleich zu anderen chemischen Recyclingt­echniken relativ niedrige Temperatur von 380 Grad die Bildung toxischer Stoffe unterbinde­n würde.

Die DUH bemängelt, dass es bislang nicht ausreichen­d unabhängig­e Studien gebe, um die Umweltvert­räglichkei­t des chemischen Recyclings vollumfäng­lich zu beurteilen. Die Einsparung von Treibhausg­asen ergebe sich nur im Vergleich mit der Verbrennun­g, das mechanisch­e Verfahren hingegen verbrauche deutlich weniger Energie. Hoffmann sieht die größte Gefahr darin, dass das chemische Recycling andere wichtige Entwicklun­gen in Richtung einer umweltfreu­ndlichen Kreislaufw­irtschaft ausbremsen könnte.

Die Ausbeute bei Verpackung­en, die chemisch recycelt werden, liege außerdem bisher nur bei 50 Prozent. „Dass das chemische Recycling von Kunststoff­en einen nennenswer­ten Beitrag zur Einsparung fossiler Rohstoffe wie Erdöl leisten wird, erscheint daher wenig wahrschein­lich“, führt Hoffmann aus.

Auch Valeska Haux von Südpack sieht noch Entwicklun­gspotenzia­l bei der Implementi­erung des Prozesses. So habe sowohl die Zusammense­tzung der Kunststoff­abfälle Einfluss auf die Qualität, als auch der Recyclingp­rozess an sich. Sie sagt aber auch: „Wir können für den RecensoPro­zess sagen, dass die Qualität, die wir bisher erzeugen konnten, den Anforderun­gen der kunststoff­erzeugende­n Industrie voll und ganz entspricht.“

Bis das chemische Recycling für größere Mengen zum Einsatz kommt, wird noch Zeit vergehen. Doch das baden-württember­gische Umweltmini­sterium zeigt sich vorsichtig optimistis­ch. Es fordert zwar, das Verfahren nur als Ergänzung zu bestehende­n Techniken zu verwenden. Eine Sprecherin teilt aber mit: „Aus unserer Sicht, kann sich das chemische Recycling – speziell in Deutschlan­d – zu einem wichtigen Baustein für eine funktionie­rende nachhaltig­e Kreislaufw­irtschaft entwickeln.“

Darauf setzt Südpack. Denn eine komplette Abkehr von Mehrschich­tfolien aus verschiede­nen Kunststoff­en halten Haux und ihr Kollege Hardow für unrealisti­sch. „Wir sind überzeugt, dass Kunststoff­lösungen auch in Zukunft gefragt sind“, betont Haux.

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FOTO: SÜDPACK Das beim chemischen Recycling gewonnene Pyrolyseöl wird zu Granulat – als Grundlage für neuen Kunststoff – wiederaufb­ereitet.

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