In molekulare Einzelteile zerlegt
Verpackungshersteller Südpack setzt auf chemisches Recycling – Kunststoff soll so höhere Qualität gewinnen
- Plastikabfälle sind viel zu oft da, wo sie nicht sein sollten: In Mägen von Meerestieren, an einsamen Stränden und inzwischen auch als kleinste Partikel – sogenanntes Mikroplastik – fast überall in der Natur. Denn Plastik verrottet nicht, auch nicht nach vielen Jahren. Lediglich Wind und Wetter zermahlen es zu immer kleineren Teilen.
Die Nachfrage nach Kunststoffen aber ist ungebrochen hoch. Am Ende bleibt der Abfall, von dem in Deutschland bisher knapp die Hälfte in Recycling-Anlagen verarbeitet wird. Der Rest wird verbrannt oder landet auf Deponien. Denn viele Plastikabfälle können mit dem herkömmlichen mechanischen Verfahren nicht recycelt werden, beispielsweise Kunststoffmischungen oder stark verschmutzte Plastikteile. Hier stößt das herkömmliche Verfahren an seine Grenzen. Doch es gibt eine Technik, die solche Abfälle wiederaufbereiten könnte: das chemische Recycling.
Der Verpackungshersteller Südpack mit Sitz in Ochsenhausen im Landkreis Biberach verbindet mit dem chemischen Verfahren auf lange Sicht große Hoffnungen: die Unabhängigkeit von Erdöl und den Beginn einer „richtigen“Kreislaufwirtschaft. Südpack stellt größtenteils Mehrschichtfolien her, Plastik also, das bisher am Ende seiner Lebenszeit in einer Verbrennungsanlage landet.
Ende vergangenen Jahres ist Südpack eine Kooperation mit Recenso eingegangen. Das nordrhein-westfälische Entsorgungsunternehmen betreibt ein Pilotprojekt zum chemischen Recycling. Seit einigen Monaten liefert Südpack Folienreste, die bei der Produktion übrig bleiben, dorthin. „Der Wandel, den wir gerade durchlaufen, lässt sich mit dem Paradigmenwechsel in der Automobilindustrie vergleichen“, sagt Valeska Haux, Vizepräsidentin für Strategisches Marketing bei Südpack, mit Blick auf die Verpackungsindustrie. Die politischen Vorgaben hinsichtlich des Recyclings würden schärfer und die Ansprüche der Kunden und Konsumenten veränderten sich. Sie wollen keine Verpackungen mehr, die auf Rohöl basieren.
Im März dieses Jahres nahm Recenso die chemische Recyclinganlage in Betrieb. Sie füllt die Produktionshalle bis zur Decke und scheint hauptsächlich aus metallisch glänzenden Röhren und dicken Behältern zu bestehen. Beim sogenannten Carboliq-Verfahren werden dann die Folienreste mithilfe von Temperaturen um die 380 Grad und unter Druck in ihre chemischen Komponenten aufgespalten. Dabei entsteht Pyrolyseöl und Gas. Das gewonnene Öl bereitet der Chemiekonzern BASF als Partner von Südpack zur Grundlage für neuen Kunststoff auf – idealerweise als Ersatz für die fossile Variante.
Zahlen des baden-württembergischen Umweltministeriums zeigen, dass Südpack mit seinem Interesse am chemischen Recycling nicht alleine ist. Demnach will die chemische Industrie europaweit bis 2025 2,6 Milliarden Euro in die Entwicklung dieser Technik investieren und den Betrag bis 2030 auf 7,2 Milliarden Euro erhöhen. Doch warum steckt Südpack überhaupt Ressourcen in diese Verfahren anstatt auf mehrschichtige Folien aus verschiedenen Kunststoffen zu verzichten?
Südpack generiert zwar laut Haux 30 Prozent seines Umsatzes mit Produkten aus nachwachsenden Rohstoffen oder mit herkömmlich recyceltem Kunststoff. Doch diese Materialien weisen meist nicht die benötigte Qualität und gewünschte Struktur auf, um sie etwa als Lebensmittelverpackungen einzusetzen. „In einer Lebensmittelfolie, die nur wenige Mikrometer dick ist, liegen bis zu zehn Schichten übereinander“, erklärt Dirk Hardow, der sich bei Südpack unter anderem um neue Geschäftsmodelle für die Kreislaufwirtschaft kümmert. Eine Verpackung aus sortenreinem Kunststoff wäre deutlich dicker.
Beim mechanischen Verfahren werden die Plastikabfälle gesäubert, zerkleinert und zu Pellets gepresst. Danach erfüllen sie aber laut Haux nicht mehr die gewünschten hygienischen Standards für Lebensmittelverpackungen. Mechanisch recyceltes Material würde deshalb meist für „minderwertige Produkte“wie Parkbänke oder Blumentöpfe verwendet. Haux und Hardow sprechen in diesem Fall von „Downcycling“. Tatsächlich kommt in Deutschland das meiste recycelte Plastik in der Bauwirtschaft zum Einsatz.
Aus dem Endprodukt des chemischen Recyclings hingegen ließen sich neuwertige und hochwertige Verpackungen beispielsweise für Lebensmittel und medizinische Produkte gewinnen.
„Es entsteht im Idealfall wirklich ein Kreislauf“, betont Dirk Hardow. Hierbei werde zugleich CO2 eingespart, zumindest im Vergleich mit der thermischen Verwertung, also der Verbrennung. Trotzdem spricht er beim chemischen Recycling von einer „Ergänzung“zum herkömmlichen Verfahren und nicht von einem Ersatz.
Deutlich kritischere Töne schlägt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) an. „Durch den hohen Energiebedarf, die geringe Massenausbeute, die Entstehung gefährlicher Abfälle und Emissionen besteht das Risiko, dass das chemische Recycling von Kunststoffen die Umwelt mehr be- als entlastet“, sagt Marieke Hoffmann, Projektmanagerin Kreislaufwirtschaft.
Das Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen hingegen kooperiert mit
Recenso. Auf der Homepage des Instituts führt Professor Bernd Meyer aus, dass die beim Carboliq-Verfahren im Vergleich zu anderen chemischen Recyclingtechniken relativ niedrige Temperatur von 380 Grad die Bildung toxischer Stoffe unterbinden würde.
Die DUH bemängelt, dass es bislang nicht ausreichend unabhängige Studien gebe, um die Umweltverträglichkeit des chemischen Recyclings vollumfänglich zu beurteilen. Die Einsparung von Treibhausgasen ergebe sich nur im Vergleich mit der Verbrennung, das mechanische Verfahren hingegen verbrauche deutlich weniger Energie. Hoffmann sieht die größte Gefahr darin, dass das chemische Recycling andere wichtige Entwicklungen in Richtung einer umweltfreundlichen Kreislaufwirtschaft ausbremsen könnte.
Die Ausbeute bei Verpackungen, die chemisch recycelt werden, liege außerdem bisher nur bei 50 Prozent. „Dass das chemische Recycling von Kunststoffen einen nennenswerten Beitrag zur Einsparung fossiler Rohstoffe wie Erdöl leisten wird, erscheint daher wenig wahrscheinlich“, führt Hoffmann aus.
Auch Valeska Haux von Südpack sieht noch Entwicklungspotenzial bei der Implementierung des Prozesses. So habe sowohl die Zusammensetzung der Kunststoffabfälle Einfluss auf die Qualität, als auch der Recyclingprozess an sich. Sie sagt aber auch: „Wir können für den RecensoProzess sagen, dass die Qualität, die wir bisher erzeugen konnten, den Anforderungen der kunststofferzeugenden Industrie voll und ganz entspricht.“
Bis das chemische Recycling für größere Mengen zum Einsatz kommt, wird noch Zeit vergehen. Doch das baden-württembergische Umweltministerium zeigt sich vorsichtig optimistisch. Es fordert zwar, das Verfahren nur als Ergänzung zu bestehenden Techniken zu verwenden. Eine Sprecherin teilt aber mit: „Aus unserer Sicht, kann sich das chemische Recycling – speziell in Deutschland – zu einem wichtigen Baustein für eine funktionierende nachhaltige Kreislaufwirtschaft entwickeln.“
Darauf setzt Südpack. Denn eine komplette Abkehr von Mehrschichtfolien aus verschiedenen Kunststoffen halten Haux und ihr Kollege Hardow für unrealistisch. „Wir sind überzeugt, dass Kunststofflösungen auch in Zukunft gefragt sind“, betont Haux.