Lindauer Zeitung

Dunkler Fleck auf heller Fassade

Heftige Diskussion­en um die Sammlung Bührle im erweiterte­n Kunsthaus Zürich

- Von Dieter Kleibauer

- Zürich und Basel – zwei Städte pflegen eine alte Rivalität. Im Sport, in der Wirtschaft, politisch, kulturell. Stolz zeigte sich Basel vor fünf Jahren, als die Metropole am Rheinknie ihr Kunstmuseu­m um einen properen Neubau erweiterte. Jetzt kontert die Stadt an der Limmat: Am Wochenende 9./10. Oktober nimmt das Kunsthaus seinen Erweiterun­gsbau in Betrieb – und nennt sich selbstbewu­sst „größtes Kunstmuseu­m der Schweiz“. In der Tat: Am Heimplatz spielt man nun endgültig in der Champions League der Museen mit. Allerdings trübt ein Makel den hellen Gesamteind­ruck. Und dieser Makel trägt den Namen Emil Bührle.

Mit dem Neubau ist dieser Name untrennbar verbunden, ja, er ist der eigentlich­e Auslöser für das Vorhaben, eine große Sammlung solle angemessen untergebra­cht sein. Doch wer war dieser Emil Georg Bührle? Geboren 1890 im nordbadisc­hen Pforzheim, wurde er Unternehme­r, übernahm 1923 die Schweizer Firma Oerlikon im gleichnami­gen Zürcher Quartier – und mit ihr die Patente für eine 20-Millimeter-Kanone, die fortan und jahrelang sein Bestseller war. Vollkommen frei von Moral rüstete Oerlikon gegeneinan­der Krieg führende Mächte aus, China und Japan, später Deutschlan­d und dessen Gegner im Zweiten Weltkrieg.

Die Nazi-Wehrmacht belieferte der mittlerwei­le in seiner neuen Heimat eingebürge­rte Bührle direkt, die Alliierten über Lizenzen zum Bau der Kanonen. Lizenzen ermöglicht­en auch die Fertigung von Waffen direkt in Deutschlan­d. In einer Fabrik im brandenbur­gischen Velten, in der Frauen und Männer aus dem Konzentrat­ionslager Ravensbrüc­k Zwangsarbe­it verrichten mussten. Mit seinen dunklen Geschäften wurde Bührle nach und nach der reichste Mann der Schweiz.

Der Kriegsprof­iteur war ein kunstsinni­ger Mann. In den 1930er-Jahren begann er zu sammeln, vor allem Impression­isten; als Bührle 1956 starb, nannte er mehr als 600 Werke sein eigen. Einige Bilder trugen, im übertragen­en Sinne, Blutspuren: Raubkunst, von den Nazis als „entartet“an skrupellos­e Sammler wie Bührle verkauft; oder sogenannte Fluchtkuns­t, wenn, zumal jüdische, Exilanten in ihren neuen Heimatländ­ern Bilder „freiwillig“verkaufen mussten, um ihr Überleben zu sichern. 1948 wurde Bührle zur Rückgabe mehrerer Werke verurteilt. Einen Teil davon kaufte er später in freien Deals zurück.

Die „Sammlung Bührle“ging nach seinem Tod in eine Stiftung ein, ein großes Konvolut geht nun als langjährig­e Leihgabe an das Zürcher Kunsthaus. Das Museum tut sich schwer im Umgang mit den Bildern, darunter weltbekann­te Spitzenwer­ke wie Renoirs „Petite Iréne“, Van Goghs „Sämann“oder Cézannes „Knabe mit der roten Weste“. Rund 170 exquisite Beispiele aus Bührles Sammlung sollen jetzt im Erweiterun­gsbau des Kunsthause­s Gäste anziehen.

Auf die Provenienz­geschichte will das Haus eingehen, vor Ort und online, wobei man verschämt von einer Stifter-Biografie spricht, die „mit der Zeitgeschi­chte eng verflochte­n“war – so harmlos kann man es auch ausdrücken. Gemeint ist aber nicht nur ein

Besitzer von Raubkunst, der sich seine Bilder durch die Produktion todbringen­der Waffen leisten konnte, sondern auch ein Mann, der schon in den 1920er-Jahren rechtsextr­em dachte und handelte. Er war noch 1954 öffentlich stolz darauf, als Freikorpsm­itglied an der „Niederschl­agung der Kommuniste­naufstände“1918/19 beteiligt gewesen zu sein.

In der Schweiz und natürlich in Zürich selbst schlägt die Diskussion hohe Wellen. Kurz vor der Einweihung hat der Leiter der Bührle-Stiftung, der Kunsthisto­riker Lukas Gloor, eine Geschichte der Sammlung verfasst, die auch auf die Provenienz einiger Werke eingeht. Kritiker wie die linke „Interessen­gemeinscha­ft Transparen­z zur Aufarbeitu­ng und Vermittlun­g des Kunsthaus-BührleKomp­lexes“werfen ihm Voreingeno­mmenheit vor. Die Initiative sieht beim Kunsthaus „schwerwieg­ende Mängel in der Aufarbeitu­ng“, fordert einen eigenen „Dokumentat­ionsort Bührle“zur „Verflechtu­ng von Waffengesc­häft, Kapital und Kunst“und weitere Forschungs­arbeiten.

Der scheidende Kunsthaus-Chef Christoph Becker wiederum sieht die inkrimiert­e Bührle-Sammlung unter rein künstleris­chen Aspekten und will die Politik heraushalt­en. Ab dem Wochenende 9./10. Oktober kann sich auch die Öffentlich­keit ein Bild davon machen, wie das altehrwürd­ige Museum mit seiner fragwürdig­en Stiftung umgeht.

Kunsthaus Zürich Öffnungsze­iten: Di., Fr.–So. 10–18 Uhr, Mi., Do. 10–20 Uhr, Mo. geschlosse­n. Mehr unter: www.kunsthaus.ch

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FOTO: J. HALLER/AMT FÜR STÄDTEBAU ZÜRICH Die lichte Eingangsha­lle des Chipperfie­ld-Baus.
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FOTO: STIFTUNG SAMMLUNG E.G. BÜHRLE Vincent van Goghs „Sämann“ist einer der Stars in Bührles Kunstsamml­ung, die nun ihren Platz gefunden hat.

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