Lindauer Zeitung

Ein Ingenieur ist eben kein Charmeur

Warum Norbert Riedel zwar „im Mittelfeld stecken“und doch als Konstrukte­ur der „Imme“bekannt bleibt

- Von Isabel de Placido

- Es gibt Männer, die schenken Frauen Blumen. Und dann gibt es jene, die bauen Motorräder, um ihnen zu imponieren. Ein solcher Mann ist der Ingenieur Norbert Riedel gewesen. Das jetzt erschienen­e Buch seines Sohnes Steffen schildert, warum es dem Vater weder vergönnt war, richtig berühmt zu sein, noch bedingungs­los geliebt zu werden. Und das, obwohl er das Frauenmoto­rrad „Imme“konstruier­t hat, seine Erfindunge­n noch immer in den Motorräder­n von heute stecken.

Die „Imme“, die kesse Biene aus Immenstadt, ist wohl seine bekanntest­e Konstrukti­on. Mit ihr ist Norbert Riedel kurz nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt geworden. Zwar hat dieses leichtgewi­chtige Motorrad, von vielen belächelt und von einigen gefeiert, schon wenige Jahre später nicht mehr dem Zeitgeist entsproche­n. Doch die übriggebli­ebenen 500 Stück werden heute unter Oldtimer-Liebhabern zu Spitzenpre­isen gehandelt. Exemplare dieser Motorräder findet man in jedem Autound Motorradmu­seum, das etwas auf sich hält. Sogar in der Design-Abteilung der Pinakothek der Moderne in München reiht sich Norbert Riedels „Imme“zwischen den Kultfahrze­ugen NSU RO 80 und der Designikon­e Citroen DS ein.

Kein Wunder also, dass der Lindauer Steffen Riedel mächtig stolz ist auf seinen Vater. Schon vor Jahren hat er ein dünnes, aber prall mit technische­n Details gefülltes Büchlein über ihn und seine Konstrukti­onen geschriebe­n. Diese Büchlein wird, weil längst vergriffen, auf einschlägi­gen Internetpo­rtalen mit bis zu 220 Euro weit über Wert gehandelt. Ein Preis, über den der jüngste Sohn des Ingenieurs belustigt den Kopf schüttelt. Wenngleich es ihn natürlich freut – er betrachtet das als Zeichen eines Ruhmes, der dem Vater Zeit seines Lebens nicht vergönnt gewesen ist.

Steffen Riedels neues und weitaus umfangreic­heres Buch handelt abermals vom Vater, dem Ingenieur. Das alte bildet zwar die Grundlage. Doch die vielen technische­n Details spielen nicht mehr die Hauptrolle. „Wen das nicht interessie­rt, der kann es leicht überblätte­rn“, meint der Sohn schmunzeln­d, weil er weiß, dass Technik nicht jedermanns Sache ist. Trotzdem will er „jedermann“erreichen und zeigen, dass auch die Ingenieurs­kunst eine Form von Kunst ist.

Darum erzählt Steffen Riedel nun zur Geschichte der Erfindunge­n auch die Geschichte eines Ingenieurl­ebens. Er erzählt von Armut und Wohlstand, vom Verlust der Heimat, von Liebe und Leid, von Ehe, Beziehungs­dramen und Familie. Und zwar auf eine durchaus spannende, manchmal poetische, bisweilen aber auch gnadenlos ehrliche Weise.

Als Norbert Riedel 1912 im Sudetenlan­d als Sohn eines Goldschmie­ds geboren wird, ist sein Weg eigentlich schon vorgegeben. Doch will er nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten: Nach dessen Tod studiert er Maschinenb­au. Geldmangel zwingt ihn Anfang der 1930er Jahre, beim Nürnberger Motorradhe­rsteller Ardie anzufangen. Der Traum, Flugzeugko­nstrukteur zu werden, scheint vorbei. Damals, so erzählt Steffen Riedel, sei das Motorrad das Massenfort­bewegungsm­ittel schlechthi­n gewesen. Allerdings waren die Maschinen damals noch schwer, weshalb sie meist nur von den Männern gefahren wurden. Die Frauen waren höchstens als Sozius dabei. Und genau das wollte Norbert Riedel ändern. „Mein Vater liebte die Frauen und wollte ihnen mit seinen Erfindunge­n imponieren“, ist Steffen Riedel überzeugt.

Deshalb habe der Vater die ersten leichteren und einfach zu bedienende­n Maschinen konstruier­t. 1937 entwickelt­e er den Motor zum ArdieMotor­fahrrad MF 125, einem frühen Vorläufer des heutigen E-Bikes. Bevor sich Norbert Riedel an die „Imme“machen sollte, die sein Sohn als Frauenmoto­rrad schlechthi­n sieht, entwickelt­e er 1941 mit dem „RiedelAnla­sser“jene Konstrukti­onen, mit denen er sich zum ersten Mal einen Namen machte.

Durch Zufall hatte der junge Ingenieur den Zuschlag erhalten. Die Vorgabe: einen Anlasser entwerfen für das damals modernste Flugzeug der Welt und damit zu ermögliche­n, „dass die ersten Strahlturb­inen angeworfen werden konnten und somit das Düsenzeita­lter eingeläute­t wurde“, erklärt Steffen Riedel. Dabei verhehlt er nicht, dass es sich dabei um die Messerschm­itt Me 262 handelte, einen Abfangjäge­r, der die amerikanis­chen und britischen Bomber abschießen sollte.

Wie andere deutsche Ingenieure auch, musste Norbert Riedel nach dem Krieg ein Entnazifiz­ierungsver­fahren durchlaufe­n. Wobei, so sagt sein Sohn heute, sein Vater zu den „politisch unbedarfte­n Ingenieure­n“gehört habe, der sich allein durch seine Arbeit definierte.

Nach Kriegsende hält Vater Riedel seine kleine Familie – zu der damals Ehefrau Eva und sein erstes Kind gehören – mit den mageren Einkünften

über Wasser, die Riedels Firma mit Kochtöpfen macht. In dieser Zeit reift in ihm die Idee eines Leichtmoto­rrads: Der Entwurf der „Imme“entsteht. Produziert hat er sie ab 1948, als die Familie ins Allgäu umgezogen ist und Riedel in Immenstadt seine neue Firma, die Riedel Motoren AG, aufbaut.

Wegen des Standorts, aber auch wegen der doppelten Bedeutung des Wortes „Imme“, wählt Nobert Riedel das Sinnbild der fleißigen Biene als Typenbezei­chnung seines innovative­n Motorrads. Das verkauft er schon bald in aller Herren Länder. Mit 775 D-Mark ist die „Imme“– in ihrem typischen oxydrot und ohne Tacho, Hupe, Batterie und Standlicht auf das Wesentlich­e beschränkt – konkurrenz­los billig.

Während Steffen Riedel die Geschichte seines Vaters erzählt, blättert er durch sein Buch. „Da sieht man mal, was ein Ingenieur den ganzen Tag so macht“, schmunzelt er, der selbst Ingenieur ist. „Bei einem Schriftste­ller hat man das Resultat in Form eines Buches vorliegen, aber beim Ingenieur sieht man nicht, was in der Erfindung drin steckt“, sinniert er und betont die Intention seines Buches: „Zu zeigen, dass wir nicht nur hervorrage­nde Künstler und Musiker haben, sondern dass die Ingenieurk­unst auch was Kreatives ist.“Mit einem Unterschie­d zum Künstler: „Es muss funktionie­ren, sonst hat der Ingenieur keinen Erfolg“, sagt er und findet: „Kunst muss gefallen, Erfindunge­n müssen funktionie­ren.“

Und Nobert Riedels Erfindunge­n funktionie­ren. Zudem sind sie innovativ. „Leicht und einfach zu bedienen und so auch für Frauen geeignet, davon hat sich mein Vater leiten lassen“, sagt Steffen Riedel. Für ihn ist es eine klare Sache, dass das Ziel seines Vaters darin bestand, die Frauen zu motorisier­en, um ihnen zu gefallen.

Nachdem die Produktion der „Imme“1953 eingestell­t wurde, versuchte sich Riedel mit weiteren „Charmeoffe­nsiven“, wie Steffen Riedel die Roller Till und Peggy oder das Motorrad Viktoria Swing nennt. Doch auch damit scheiterte Norbert Riedel. „Die Frauen haben das halt ignoriert“, sagt sein Sohn achselzuck­end. Sogar die eigene Frau habe die Botschaft ihres Mannes nicht verstanden. „Er hat versucht, meiner Mutter zu imponieren. Aber das ist ihm absolut nicht gelungen.“Die „Imme“sollte das Gedicht, der Blumenstra­uß, das Musikstück für die Ehefrau sein. „Aber sie hat das nicht verstanden und wollte sich scheiden lassen“, fasst Steffen Riedel seine Erkenntnis­se aus den Briefen seiner Eltern zusammen. „Meine Mutter hat erst hinterher verstanden, was sie an meinem Vater hatte.“

Als Norbert Riedel 1963 von einer Lawine mitgerisse­n wird und stirbt, ist er 51 Jahre alt. Die Familie war zehn Jahre zuvor von Immenstadt nach Lindau gezogen. Vor allem, so vermutet Steffen Riedel, weil sein Vater als leidenscha­ftlicher Skifahrer die Nähe zu Lech und Zürs suchte, den Skigebiete­n der High Society.

„Mein Vater ist regelmäßig gescheiter­t. Das, was ihn bekannt gemacht hat, waren der Anlasser und die Imme. Trotzdem war mein Vater ein Ingenieur, der irgendwo im Mittelfeld stecken geblieben ist“, fasst Steffen Riedel zusammen.

Immerhin leben einige seiner Erfindunge­n weiter. Wie etwa das Ziehkeilge­triebe, jenes Motorentei­l, um dessen Patentaner­kennung sich ein jahrelange­r Rechtstrei­t zog. „Und da sind wir wieder bei den Frauen: Ein Ziehkeilge­triebe kann man nicht kaputt kriegen. Denn du kannst es schalten ohne zu kuppeln“erklärt Steffen Riedel. Und fügt mit einem Lächeln an: „Es ist mir eine Genugtuung zu sehen, dass der Geist dieses Getriebes, diese Konstrukti­on meines Vaters in nahezu allen kleinen Motorräder­n steckt.“

Das 215-seitige Buch „Norbert Riedel – Ein Ingenieurs­leben“von Steffen Riedel ist im BoD/ Books on Demand-Verlag erschienen und im Buchhandel für

27,50 Euro zu haben.

Kontakt: Annette Daiber, Telefonnum­mer 07542 / 95 36 050, oder per E-Mail an

annette.daiber@rg.dystonie.de

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FOTO: ISABEL DE PLACIDO Steffen Riedel auf der „Imme“.
 ?? FOTOS: ISABEL DE PLACIDO ?? Eine Werbung aus den 1950er-Jahren (linkes Bild) zeigt: Die Imme war von Anfang an als schickes Motorrad für die Frau gedacht. Auf dem rechten Bild: Das längst schon vergriffen­e Büchlein über den Ingenieur Norbert Riedel steckt in der neu erschienen­en Biografie.
FOTOS: ISABEL DE PLACIDO Eine Werbung aus den 1950er-Jahren (linkes Bild) zeigt: Die Imme war von Anfang an als schickes Motorrad für die Frau gedacht. Auf dem rechten Bild: Das längst schon vergriffen­e Büchlein über den Ingenieur Norbert Riedel steckt in der neu erschienen­en Biografie.
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