Ein Ingenieur ist eben kein Charmeur
Warum Norbert Riedel zwar „im Mittelfeld stecken“und doch als Konstrukteur der „Imme“bekannt bleibt
- Es gibt Männer, die schenken Frauen Blumen. Und dann gibt es jene, die bauen Motorräder, um ihnen zu imponieren. Ein solcher Mann ist der Ingenieur Norbert Riedel gewesen. Das jetzt erschienene Buch seines Sohnes Steffen schildert, warum es dem Vater weder vergönnt war, richtig berühmt zu sein, noch bedingungslos geliebt zu werden. Und das, obwohl er das Frauenmotorrad „Imme“konstruiert hat, seine Erfindungen noch immer in den Motorrädern von heute stecken.
Die „Imme“, die kesse Biene aus Immenstadt, ist wohl seine bekannteste Konstruktion. Mit ihr ist Norbert Riedel kurz nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt geworden. Zwar hat dieses leichtgewichtige Motorrad, von vielen belächelt und von einigen gefeiert, schon wenige Jahre später nicht mehr dem Zeitgeist entsprochen. Doch die übriggebliebenen 500 Stück werden heute unter Oldtimer-Liebhabern zu Spitzenpreisen gehandelt. Exemplare dieser Motorräder findet man in jedem Autound Motorradmuseum, das etwas auf sich hält. Sogar in der Design-Abteilung der Pinakothek der Moderne in München reiht sich Norbert Riedels „Imme“zwischen den Kultfahrzeugen NSU RO 80 und der Designikone Citroen DS ein.
Kein Wunder also, dass der Lindauer Steffen Riedel mächtig stolz ist auf seinen Vater. Schon vor Jahren hat er ein dünnes, aber prall mit technischen Details gefülltes Büchlein über ihn und seine Konstruktionen geschrieben. Diese Büchlein wird, weil längst vergriffen, auf einschlägigen Internetportalen mit bis zu 220 Euro weit über Wert gehandelt. Ein Preis, über den der jüngste Sohn des Ingenieurs belustigt den Kopf schüttelt. Wenngleich es ihn natürlich freut – er betrachtet das als Zeichen eines Ruhmes, der dem Vater Zeit seines Lebens nicht vergönnt gewesen ist.
Steffen Riedels neues und weitaus umfangreicheres Buch handelt abermals vom Vater, dem Ingenieur. Das alte bildet zwar die Grundlage. Doch die vielen technischen Details spielen nicht mehr die Hauptrolle. „Wen das nicht interessiert, der kann es leicht überblättern“, meint der Sohn schmunzelnd, weil er weiß, dass Technik nicht jedermanns Sache ist. Trotzdem will er „jedermann“erreichen und zeigen, dass auch die Ingenieurskunst eine Form von Kunst ist.
Darum erzählt Steffen Riedel nun zur Geschichte der Erfindungen auch die Geschichte eines Ingenieurlebens. Er erzählt von Armut und Wohlstand, vom Verlust der Heimat, von Liebe und Leid, von Ehe, Beziehungsdramen und Familie. Und zwar auf eine durchaus spannende, manchmal poetische, bisweilen aber auch gnadenlos ehrliche Weise.
Als Norbert Riedel 1912 im Sudetenland als Sohn eines Goldschmieds geboren wird, ist sein Weg eigentlich schon vorgegeben. Doch will er nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten: Nach dessen Tod studiert er Maschinenbau. Geldmangel zwingt ihn Anfang der 1930er Jahre, beim Nürnberger Motorradhersteller Ardie anzufangen. Der Traum, Flugzeugkonstrukteur zu werden, scheint vorbei. Damals, so erzählt Steffen Riedel, sei das Motorrad das Massenfortbewegungsmittel schlechthin gewesen. Allerdings waren die Maschinen damals noch schwer, weshalb sie meist nur von den Männern gefahren wurden. Die Frauen waren höchstens als Sozius dabei. Und genau das wollte Norbert Riedel ändern. „Mein Vater liebte die Frauen und wollte ihnen mit seinen Erfindungen imponieren“, ist Steffen Riedel überzeugt.
Deshalb habe der Vater die ersten leichteren und einfach zu bedienenden Maschinen konstruiert. 1937 entwickelte er den Motor zum ArdieMotorfahrrad MF 125, einem frühen Vorläufer des heutigen E-Bikes. Bevor sich Norbert Riedel an die „Imme“machen sollte, die sein Sohn als Frauenmotorrad schlechthin sieht, entwickelte er 1941 mit dem „RiedelAnlasser“jene Konstruktionen, mit denen er sich zum ersten Mal einen Namen machte.
Durch Zufall hatte der junge Ingenieur den Zuschlag erhalten. Die Vorgabe: einen Anlasser entwerfen für das damals modernste Flugzeug der Welt und damit zu ermöglichen, „dass die ersten Strahlturbinen angeworfen werden konnten und somit das Düsenzeitalter eingeläutet wurde“, erklärt Steffen Riedel. Dabei verhehlt er nicht, dass es sich dabei um die Messerschmitt Me 262 handelte, einen Abfangjäger, der die amerikanischen und britischen Bomber abschießen sollte.
Wie andere deutsche Ingenieure auch, musste Norbert Riedel nach dem Krieg ein Entnazifizierungsverfahren durchlaufen. Wobei, so sagt sein Sohn heute, sein Vater zu den „politisch unbedarften Ingenieuren“gehört habe, der sich allein durch seine Arbeit definierte.
Nach Kriegsende hält Vater Riedel seine kleine Familie – zu der damals Ehefrau Eva und sein erstes Kind gehören – mit den mageren Einkünften
über Wasser, die Riedels Firma mit Kochtöpfen macht. In dieser Zeit reift in ihm die Idee eines Leichtmotorrads: Der Entwurf der „Imme“entsteht. Produziert hat er sie ab 1948, als die Familie ins Allgäu umgezogen ist und Riedel in Immenstadt seine neue Firma, die Riedel Motoren AG, aufbaut.
Wegen des Standorts, aber auch wegen der doppelten Bedeutung des Wortes „Imme“, wählt Nobert Riedel das Sinnbild der fleißigen Biene als Typenbezeichnung seines innovativen Motorrads. Das verkauft er schon bald in aller Herren Länder. Mit 775 D-Mark ist die „Imme“– in ihrem typischen oxydrot und ohne Tacho, Hupe, Batterie und Standlicht auf das Wesentliche beschränkt – konkurrenzlos billig.
Während Steffen Riedel die Geschichte seines Vaters erzählt, blättert er durch sein Buch. „Da sieht man mal, was ein Ingenieur den ganzen Tag so macht“, schmunzelt er, der selbst Ingenieur ist. „Bei einem Schriftsteller hat man das Resultat in Form eines Buches vorliegen, aber beim Ingenieur sieht man nicht, was in der Erfindung drin steckt“, sinniert er und betont die Intention seines Buches: „Zu zeigen, dass wir nicht nur hervorragende Künstler und Musiker haben, sondern dass die Ingenieurkunst auch was Kreatives ist.“Mit einem Unterschied zum Künstler: „Es muss funktionieren, sonst hat der Ingenieur keinen Erfolg“, sagt er und findet: „Kunst muss gefallen, Erfindungen müssen funktionieren.“
Und Nobert Riedels Erfindungen funktionieren. Zudem sind sie innovativ. „Leicht und einfach zu bedienen und so auch für Frauen geeignet, davon hat sich mein Vater leiten lassen“, sagt Steffen Riedel. Für ihn ist es eine klare Sache, dass das Ziel seines Vaters darin bestand, die Frauen zu motorisieren, um ihnen zu gefallen.
Nachdem die Produktion der „Imme“1953 eingestellt wurde, versuchte sich Riedel mit weiteren „Charmeoffensiven“, wie Steffen Riedel die Roller Till und Peggy oder das Motorrad Viktoria Swing nennt. Doch auch damit scheiterte Norbert Riedel. „Die Frauen haben das halt ignoriert“, sagt sein Sohn achselzuckend. Sogar die eigene Frau habe die Botschaft ihres Mannes nicht verstanden. „Er hat versucht, meiner Mutter zu imponieren. Aber das ist ihm absolut nicht gelungen.“Die „Imme“sollte das Gedicht, der Blumenstrauß, das Musikstück für die Ehefrau sein. „Aber sie hat das nicht verstanden und wollte sich scheiden lassen“, fasst Steffen Riedel seine Erkenntnisse aus den Briefen seiner Eltern zusammen. „Meine Mutter hat erst hinterher verstanden, was sie an meinem Vater hatte.“
Als Norbert Riedel 1963 von einer Lawine mitgerissen wird und stirbt, ist er 51 Jahre alt. Die Familie war zehn Jahre zuvor von Immenstadt nach Lindau gezogen. Vor allem, so vermutet Steffen Riedel, weil sein Vater als leidenschaftlicher Skifahrer die Nähe zu Lech und Zürs suchte, den Skigebieten der High Society.
„Mein Vater ist regelmäßig gescheitert. Das, was ihn bekannt gemacht hat, waren der Anlasser und die Imme. Trotzdem war mein Vater ein Ingenieur, der irgendwo im Mittelfeld stecken geblieben ist“, fasst Steffen Riedel zusammen.
Immerhin leben einige seiner Erfindungen weiter. Wie etwa das Ziehkeilgetriebe, jenes Motorenteil, um dessen Patentanerkennung sich ein jahrelanger Rechtstreit zog. „Und da sind wir wieder bei den Frauen: Ein Ziehkeilgetriebe kann man nicht kaputt kriegen. Denn du kannst es schalten ohne zu kuppeln“erklärt Steffen Riedel. Und fügt mit einem Lächeln an: „Es ist mir eine Genugtuung zu sehen, dass der Geist dieses Getriebes, diese Konstruktion meines Vaters in nahezu allen kleinen Motorrädern steckt.“
Das 215-seitige Buch „Norbert Riedel – Ein Ingenieursleben“von Steffen Riedel ist im BoD/ Books on Demand-Verlag erschienen und im Buchhandel für
27,50 Euro zu haben.
Kontakt: Annette Daiber, Telefonnummer 07542 / 95 36 050, oder per E-Mail an
annette.daiber@rg.dystonie.de