Lindauer Zeitung

Vom Staat in die Nachdenkli­chkeit getrieben

Heinz Eggert erhält den 13. Scheidegge­r Friedenspr­eis

- Von Olaf Winkler

- Der frühere sächsische Innenminis­ter und stellvertr­etende CDU-Vorsitzend­e Heinz Eggert hat den 13. Scheidegge­r Friedenspr­eis erhalten. In seiner Festrede setzte er einen besonderen Schwerpunk­t. So schilderte der 75-Jährige vor allem seinen persönlich­en Werdegang vom mehr oder minder an das DDR-System angepasste­n Bahnarbeit­er zum kritischen Theologen, der noch lange das „System verändern, aber nicht abschaffen“wollte.

Der Scheidegge­r Friedenspr­eis soll an die friedliche Wiedervere­inigung 1990 erinnern. Die bisherigen Preisträge­r haben in ihren Reden höchst unterschie­dlich dazu Stellung genommen. Theo Waigel beschrieb 2015 aus der Sicht des damaligen Finanzmini­sters im Detail die Schritte von der Mauereröff­nung im November 1989 bis zur staatliche­n Wiedervere­inigung elf Monate später. Arnold Vaatz nutzte 2018 die Gelegenhei­t, auf die Situation der Ostdeutsch­en nach der Wende und die Auswirkung­en auf die heutige politische Situation in den ostdeutsch­en Bundesländ­ern einzugehen.

Heinz Eggert blickte aus einer anderen, besonderen Perspektiv­e zurück. Er beschrieb seinen persönlich­en Werdegang. In Rostock sei er bei „nicht besonders systemkrit­ischen Eltern“aufgewachs­en. Er bekannte auch, dass er den Prager Frühling 1968 „intellektu­ell nicht verstanden“habe. Die dortigen Reformbemü­hungen rund um Reise-, Streik- und Pressefrei­heit hätten ihn nicht besonders bewegt, denn: „Ich habe vieles nicht vermisst.“Das änderte sich, als Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 in die Tschechosl­owakei einmarschi­erten und dem Prager Frühling ein gewaltsame­s Ende setzten. „In dieser Nacht bröckelten meine sozialisti­schen Überzeugun­gen ab“, berichtete Egger den rund 80 Besucherin­nen und Besuchern im Scheidegge­r Kurhaus.

Er weigerte sich, den Einmarsch per Unterschri­ft gutzuheiße­n, kam kurzzeitig in Haft und trat „aus Protest und Trotz“aus allen Organisati­onen der DDR aus. „Ich wurde staatliche­rseits in eine von mir nicht gewollte Nachdenkli­chkeit getrieben“, beschrieb Eggert diese Situation. Er lernte seine heutige

Frau Ulrike kennen, die durch ein christlich­es Elternhaus geprägt war, ließ sich mit 23 Jahren konfirmier­en und studierte Theologie, nachdem er in seinem Beruf bei der Bahn nicht mehr arbeiten konnte, da er am Grenzbahnh­of in Warnemünde eingesetzt worden war.

Auch in den Folgejahre­n sah sich Eggert nie als Staatsfein­d, wurde vom DDR-Regime aber so behandelt. Heute weiß er, dass über 60 Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit auf ihn angesetzt waren. 1986 konnte er erstmals in die Bundesrepu­blik reisen: „Mein Heimatbegr­iff vergrößert­e sich.“Im Mai 1989 erlebte er die Fälschung der Kommunalwa­hlen in der DDR – und verstand die Empörung nicht: „Die Wahlen waren doch immer gefälscht.“

Nach der Wende sei er entschloss­en gewesen, kein politische­s Amt zu übernehmen. Es kam anders: Eggert wurde kurzzeitig Landrat in Zittau und erlebte dort „die Wendigkeit mancher Zeitgenoss­en“. Vielen Mitarbeite­rn habe er „gekündigt wegen politische­r Unmoral im öffentlich­en Dienst“. Und er sei 1990 erstaunt gewesen, „unter wie vielen Widerstand­skämpfern ich gelebt hatte“. Größten Respekt hat Eggert vor jenen, die in den Wendetagen 1989 tatsächlic­h auf die Straße gingen: „Den Friedenspr­eis habe ich auch wegen dieser Mutigen angenommen.“

Später berief ihn der sächsische Ministerpr­äsident Kurt Biedenkopf zum Innenminis­ter – und ab 1992 war er Stellvertr­eter von Helmut Kohl in der CDU („Obwohl er keine Stellvertr­eter brauchte.“).

Den „unbeugsame­n Willen und freiheitli­chen Drang“von Eggert beschrieb Günther Oettinger zu Beginn in seiner Laudatio. Die sollte der frühere Ministerpr­äsident von Baden-Württember­g eigentlich vor Ort halten. Kurzfristi­g habe er wegen Terminüber­schneidung­en absagen müssen, entschuldi­gte ihn Scheideggs Bürgermeis­ter Ulrich Pfanner. So sahen die Besucher eine aufgezeich­nete Rede von Oettinger, der sich in Rom aufhielt. Markant dabei waren die Hintergrun­dgeräusche. Sie kommentier­te der Preisträge­r so: „Ich werde Günther Oettinger fragen, warum er sein Mikrofon zwischen zwei Güterzügen aufgebaut hat.“

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FOTO: OLAF WINKLER Stehend Applaus bekam Heinz Eggert, der den 13. Scheidegge­r Friedenspr­eis erhalten hat. Mit im Bild Ehefrau Ulrike.

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