Lindauer Zeitung

Entzaubert­es Wunderkind

- Von Adelheid Wölfl politik@schwaebisc­he.de

Als am Samstagabe­nd die verfolgte Unschuld namens Sebastian Kurz vor das Mikrofon trat und bekannt gab, dass er „Platz macht“, trauten viele ihren Ohren nicht. Es war kein Wort der Entschuldi­gung zu hören. Dabei existiert ein riesiges Aktenkonvo­lut. Darin haben Ermittler Beweise gesammelt, dass der damals 30-Jährige im Jahr 2016 mit moralisch miesen und möglicherw­eise strafrecht­lich relevanten Methoden seine Machtübern­ahme orchestrie­ren ließ. Obwohl bei dem Projekt, so der Vorwurf der Staatsanwa­ltschaft, Umfragen mit Steuergeld frisiert, Medien mit Steuergeld gekauft und Bürger massiv manipulier­t wurden, schämt sich der ÖVP-Chef überhaupt nicht. Er zeigte keinerlei Reue oder Selbstrefl­exion.

Der ehemalige Traumkandi­dat aller Schwiegerm­ütter, das konservati­ve Wunderkind, das auch in Deutschlan­d vielen als neues Politiker-Model galt, ist entzaubert. Mehr noch, man konnte ihm ins Innerste schauen. Und da erblickte man nicht viel, außer einem ziemlich schnöden und erbarmungs­losen Machthunge­r. Viele Kurz-Wähler hatten sich von dem smarten, sehr begabten Mann manipulier­en lassen. Sie wollten an jemanden glauben, den es so nie gegeben hatte. Die Ernüchteru­ng ist groß. Aber sie ist gut für das Land und seine Gesellscha­ft.

Denn sie eröffnet die Möglichkei­t, nun auch jenes System kritisch zu beleuchten, mit dem Kurz zum Kanzler wurde. In Österreich werden Millionen von Euro von Ministerie­n oder anderen Regierungs­stellen für Inserate in Medien ausgegeben. Diese Inseratenk­orruption wurde lange für normal gehalten. Doch sie lädt zu Manipulati­onen aller Seiten ein, ist Gift für Demokratie und Rechtsstaa­t.

Die Grünen haben in den vergangene­n Tagen als Regierungs­partei enorm gepunktet. Wenn sie jetzt darauf bestehen, dass Medienförd­erung und Inseratenv­ergabe von unabhängig­en Institutio­nen geprüft und budgetär begrenzt werden, dann könnte die Affäre sogar wichtige positive Konsequenz­en für Österreich nach sich ziehen. Es ist genau die richtige Zeit, um diese Korruption­seinladung abzuschaff­en.

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