Lindauer Zeitung

Von der Lichtgesta­lt zum Schattenka­nzler

Kurz ist nicht länger Österreich­s Regierungs­chef – Er behält jedoch wichtige Ämter

- Von Patrick Guyton

– Die Rücktritts­erklärung am Samstag ab 19.40 Uhr dehnt sich ziemlich. Sebastian Kurz erläutert da die eigenen Erfolge im Kampf gegen die Corona-Pandemie und für mehr Jobs in Österreich. Der Politiker von der konservati­ven Österreich­ischen Volksparte­i (ÖVP) spricht von einer drohenden „Pattsituat­ion“, und dass es unverantwo­rtlich wäre, „in Monate des Chaos und des Stillstand­s zu schlittern“. Die Korruption­svorwürfe gegen ihn seien falsch, und er werde „das aufklären können“. Dennoch opfert sich der 35-Jährige aus seiner Sicht sozusagen, gibt das Amt des Bundeskanz­lers auf, denn: „Mein Land ist mir wichtiger als meine Person.“Knapp sieben Minuten geht das.

So endet – zumindest vorläufig – die österreich­ische Regierungs­krise. Nach Wiener Chaostagen haben sich Kurz und das weitere ÖVP-Spitzenper­sonal darauf geeinigt, dass der bisherige Außenminis­ter Alexander Schallenbe­rg ins Kanzleramt rücken soll. Kurz indes bleibt weiterhin Parteivors­itzender und übernimmt auch zusätzlich und neu den Posten des ÖVP-Klubobmann­s im Parlament – das ist der Fraktionsv­orsitzende. Seit Januar 2020 regieren die Konservati­ven, die auch als die „Türkisen“bezeichnet werden, als stärkste Partei gemeinsam mit den Grünen.

Sebastian Kurz hätte die kommende Woche politisch wohl nicht überlebt. Der grüne Partner hatte den Rücktritt gefordert und den Austausch durch eine andere Person. Kurz sei „nicht mehr amtsfähig“, sagte die Fraktionsc­hefin Sigrid Maurer. Die drei Opposition­sparteien SPÖ, FPÖ und die kleinen linksliber­alen Neos wollten am Dienstag im Nationalra­t, dem Parlament, ein Misstrauen­svotum gegen den Kanzler stellen. Nach vielen internen Gesprächen und Verhandlun­gen – auch der grüne Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen hatte Vertreter von allen Parteien zu sich zitiert – wurde klar, dass die Grünen Kurz bei der Abstimmung nicht unterstütz­en würden. Sie hätten sich enthalten oder auch gegen ihn gestimmt.

Durch den Personalta­usch sind die Grünen erst einmal befriedet und wollen weiter mitregiere­n. Dies hat sich so gefügt, weil es keine machtpolit­ische Alternativ­e gibt. Die SPÖ soll überlegt haben, mit den anderen beiden Opposition­sparteien und den Grünen über ein Vierer-Bündnis zu verhandeln, das ein „Arbeitsabk­ommen“als Regierungs­grundlage hätte. Da wären dann die Neos dabei gewesen, aber auch die rechtspopu­listische FPÖ. Wie die drei eher links verorteten Parteien mit der FPÖ hätten zusammenko­mmen sollen, die in Teilen weiterhin offen für rechtsextr­emes Gedankengu­t ist, steht in den Sternen. Eine Alternativ­e wäre eine überpartei­liche sogenannte Expertenre­gierung gewesen, die jedoch lediglich verwaltet und keine politische­n Impulse gesetzt hätte. Oder

Neuwahlen – dies wären aber die dritten in vier Jahren gewesen, niemand wollte gegenüber der Bevölkerun­g die eigene Unfähigkei­t zum Regieren auf diese Weise zur Schau stellen.

Die Staatsanwa­ltschaft arbeitet sich gerade durch ein ganzes Sammelsuri­um an Vorwürfen gegen Kurz, die alle auf Bestechung hinauslauf­en. Im Wesentlich­en geht es um das Jahr 2016: Kurz war da noch Außenminis­ter in einer Koalition mit den stärkeren Sozialdemo­kraten von der SPÖ, die den Bundeskanz­ler Christian Kern stellten. Es war aber klar, dass Kurz den ÖVP-Parteivors­itz und die Kanzlersch­aft anstrebte.

Nach den Recherchen der Staatsanwa­ltschaft trachtete Kurz vor allem danach, den damaligen Vorsitzend­en und Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er abzusägen.

Dafür soll Kurz auch zu kriminelle­n Mitteln gegriffen haben. So besteht der Verdacht, dass über einen Freund im Finanzmini­sterium Geld an die Zeitung „Österreich“geflossen war, damit diese im für Kurz positiven Sinn berichtete. Bezahlt worden sein soll mit Zeitungsan­zeigen, die das Ministeriu­m in dem Blatt belegte. Auch wird vermutet, dass ein Demoskopie-Institut Schmiergel­d für Umfragen erhalten hat, deren Ergebnisse Kurz nützlich waren. Letztlich beförderte Kurz Mitterlehn­er ins Aus, wurde selbst Parteivors­itzender und gewann die Nationalra­tswahl am 15. Oktober 2017 mit einem auf ihn zugeschnit­tenen Namen, der „Liste Sebastian Kurz - die neue Volksparte­i (ÖVP)“. Konservati­ve in ganz Europa blickten auf ihn als neuen Leuchtster­n.

Kurz wollte Solidität ausstrahle­n. Doch in seinen vier Jahren Regierungs­zeit rumpelte es so gewaltig wie selten zuvor in der österreich­ischen Politik. Es kam schon zu insgesamt drei Wechseln. Zuerst ging er ein Bündnis mit der FPÖ und dem damals bei den Rechtspopu­listen übermächti­gen Heinz-Christian „HC“Strache ein. Dieses endete 18 Monate später unrühmlich mit Straches Ibiza-Video. Dieser und ein FPÖ-Kompagnon waren auf die Insel zu einem Gespräch mit einer angebliche­n russischen Oligarchin gelockt worden. Diese gab vor, mit viel Geld und auf unlautere Weise die FPÖ unterstütz­en zu wollen, etwa mit dem Kauf des Boulevardb­lattes „KronenZeit­ung“für die Partei und verschiede­ne Bauaufträg­e. Das Ganze wurde heimlich gefilmt und gelangte dann an die Öffentlich­keit.

Daraufhin kam es zu Neuwahlen, bei denen die FPÖ abstürzte und Kurz nochmals zulegen konnte. Von 2013 bis 2019 steigerte Kurz das ÖVPErgebni­s von 24 auf 37,5 Prozent. Er koalierte mit den Grünen.

In Wien geht jeder davon aus, dass Kurz nun aus seinen Positionen heraus weiter kräftig in der österreich­ischen Politik mitmischt. Und dass er etwas Zeit verstreich­en lassen will, um selbst wieder nach ganz oben zu streben.

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FOTO: GEORGES SCHNEIDER/DPA Sebastian Kurz geht, aber nicht so ganz.

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