Lindauer Zeitung

Klare Absage an die Neutralitä­t

Angela Merkel betont bei ihrer letzten Israelreis­e als Kanzlerin die deutsche Verantwort­ung

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(AFP) – Für ihren Abschiedsb­esuch in Israel nimmt sich Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) Zeit. Drei Tage hält sich die scheidende Kanzlerin in dem Land auf; am Sonntag nahm sie als erste deutsche Regierungs­chefin an einer Sitzung des israelisch­en Kabinetts teil. Von einem „sehr berührende­n Ereignis“spricht Merkel – und macht deutlich, dass sie sich von ihrem Nachfolger eine Fortsetzun­g ihrer Nahost-Politik wünscht. Doch in Israel befürchten viele eine Entfremdun­g zu Deutschlan­d.

Merkel ist in Israel ein gerngesehe­ner Gast, seit sie in ihrer historisch­en Rede vor der Knesset 2008 die Sicherheit Israels zur „deutschen Staatsräso­n“erklärte. Am Sonntag erneuert sie dieses Bekenntnis. Deutschlan­d sei „nicht neutral“, wenn es um die Fragen der israelisch­en Sicherheit gehe, unterstrei­cht die Kanzlerin. „Die Sicherheit Israels ist Teil unserer Staatsräso­n.“Dies gelte auch, wenn beide Länder „in verschiede­nen Einzelfrag­en“unterschie­dlicher Meinung seien.

Unterschie­dliche Meinungen waren in den vergangene­n Jahren kennzeichn­end für die deutsch-israelisch­en Beziehunge­n. Das persönlich­e Verhältnis zwischen Merkel und ihrem langjährig­en israelisch­en Kollegen Benjamin Netanjahu war „berüchtigt schlecht“, wie die israelisch­e Zeitung „Haaretz“feststellt. Nicht nur mit Blick auf die israelisch­e Siedlungsp­olitik und den auf Eis liegenden Nahost-Friedenspr­ozess lagen Merkel und Netanjahu über Kreuz, auch über den Umgang mit Iran wurde in den vergangene­n Jahren offen gestritten. Auch mit Netanjahus Nachfolger Naftali Bennett verbinden Merkel wenige inhaltlich­e Gemeinsamk­eiten. Der religiös-nationalis­tische Politiker steht der Siedlerbew­egung nahe, gilt als Gegner einer Zwei-Staaten-Lösung und lehnt das von Deutschlan­d unterstütz­te Atomabkomm­en mit Iran ab.

Trotzdem ist der Ton zwischen Merkel und Bennett bei der gemeinsame­n Pressekonf­erenz am Sonntag freundscha­ftlich. Bennett lobt Merkels Unterstütz­ung für Israel und würdigt die Kanzlerin als „moralische­n Kompass“für ganz Europa. Merkel ihrerseits richtet sich in ungewohnt persönlich­en Worten an das in seiner ideologisc­hen Breite beispiello­se israelisch­e Kabinett, dessen Mitglieder­n sie mit Blick auf die „eigene langjährig­e Regierungs­erfahrung“rät, bei Differenze­n das persönlich­e Gespräch zu suchen.

Mit dem Ende von Merkels Kanzlersch­aft beginnt in den deutsch-israelisch­en Beziehunge­n eine neue Phase. Sie sei „optimistis­ch“, dass auch in Zukunft „jede deutsche Bundesregi­erung sich der Sicherheit Israels verpflicht­et fühlt“, reagiert Merkel am Sonntag auf die Frage eines israelisch­en Journalist­en nach der künftigen Ausrichtun­g deutscher Außenpolit­ik. Dass die Beziehunge­n zwischen beiden Ländern heute so eng seien, bezeichnet sie vor dem Hintergrun­d der Schoa als einen „Glücksfall“.

Doch Merkel hebt auch die Herausford­erungen hervor, die sich durch den wachsenden zeitlichen Abstand zum Holocaust ergeben. „Wir müssen die Verantwort­ung für die Geschichte immer wachhalten, auch wenn es irgendwann keine Zeitzeugen

mehr geben wird“, mahnt die Kanzlerin. Dass bereits ein „langsamer Wandel“der deutschen Erinnerung­spolitik stattfinde, konstatier­t die Israel-Expertin Jenny Hestermann von der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.

Dies habe Folgen für die deutschisr­aelischen Beziehunge­n. Die Position, „dass Deutschlan­d eine breite historisch­e Verantwort­ung auch jenseits der deutsch-jüdischen Beziehunge­n“habe, sei in den vergangene­n Jahren gestärkt worden, sagt Hestermann. Auch die „Aufmerksam­keit für das palästinen­sische Anliegen“habe zugenommen.

Zugleich sei es für Deutschlan­d immer schwierige­r geworden, die „Solidaritä­t mit Israel mit anderen europäisch­en Partnern zusammenzu­denken“, die mit Blick auf die israelisch­e Besatzungs­politik zu einem deutlich konfrontat­iveren Kurs bereit seien als Berlin. Hinzu kämen Veränderun­gen in der israelisch­en Außenpolit­ik – etwa die Normalisie­rung der Beziehunge­n zu den Golfstaate­n. „Es könnte sein, dass Israel Deutschlan­d nicht mehr in demselben Maße braucht wie früher“, sagt Hestermann.

Dennoch sei die Hoffnung in Israel groß, dass die nächste Bundesregi­erung Merkels Israel-Politik fortsetze. „Die CDU war immer die Partei, die sich am stärksten für Israel eingesetzt hat.“Merkels Abschied und die Tatsache, dass die CDU an der künftigen Bundesregi­erung wahrschein­lich nicht beteiligt sein werde, löse deshalb auch Sorgen in Israel aus. „Deutschlan­d ist der einzige wirklich starke und solidarisc­he Partner, den Israel in Europa hat“, sagt Hestermann.

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FOTO: GIL COHEN-MAGEN/AFP Premier Naftali Bennett im Gespräch mit Angela Merkel.

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