Lindauer Zeitung

Zen-Meister und Friedensak­tivist

Thich Nhat Hanh erfand das Konzept der Achtsamkei­t – Buddhistis­cher Lehrer wird 95

- Von Carola Frentzen

(dpa) - An seinem 95. Geburtstag ist Thich Nhat Hanh genau da, wohin er lange zurück wollte: Hue in Zentralvie­tnam, in jenem Kloster, in dem er einst zum Mönch ordiniert wurde. Weil er sich in den 1960er-Jahren vehement gegen den Vietnamkri­eg eingesetzt hatte, musste er vier Jahrzehnte im Exil verbringen. Erst 2018 kehrte der weltbekann­te Achtsamkei­tslehrer und Friedensak­tivist endgültig in das Land am Mekong zurück.

„Es war ihm wichtig, seine letzten Lebensjahr­e in jenem Tempel zu verbringen, in dem seine Wurzeln liegen“, sagt Thay Phap An, der Leiter des von Thich Nhat Hanh in Waldbröl (Nordrhein-Westfalen) gegründete­n „Europäisch­en Instituts für Angewandte­n Buddhismus“(EIAB). Seit einem Schlaganfa­ll 2014 kann Thich Nhat Hanh nicht mehr sprechen, seine rechte Körperseit­e ist gelähmt. Aber wenn er am Montag seinen Ehrentag begeht, wird er von Mitglieder­n seines Ordens umgeben sein, die ihn lieben und verehren – so wie Millionen Menschen in allen Teilen der Welt.

„Thay“nennen sie ihn, vietnamesi­sch für „Lehrer“. „Thay ist schwach, doch das ist ja normal in seinem Alter“, sagt Schwester Dinh Ngiem, die sich in Hue um ihn kümmert, der Deutschen Presse-Agentur am Telefon. „Aber er spricht mit seinen Augen – und wir alle genießen seine Nähe, seine Präsenz.“

Die Kunst eben jener Präsenz, aber auch Mitgefühl für alles Lebende und ein glückliche­s Leben im gegenwärti­gen Augenblick – das sind Thich Nhat Hanhs Themen, über die er bis zu seinem Schlaganfa­ll regelmäßig mit sanfter Stimme und verschmitz­tem Lächeln dozierte. Mit inspiriere­nden Worten erklärte er, dass Meditation immer und überall möglich ist. Auch beim Essen, beim Spaziereng­ehen, ja beim Putzen.

„Wenn wir wirklich lebendig sind, ist alles, was wir tun oder spüren, ein Wunder. Achtsamkei­t zu üben bedeutet, zum Leben im gegenwärti­gen Augenblick zurückzuke­hren“, sagte er einmal. Und: „Unsere Verabredun­g mit dem Leben findet immer im gegenwärti­gen Augenblick statt. Und der Treffpunkt unserer Verabredun­g ist genau da, wo wir uns gerade befinden.“So einfach und doch so komplizier­t, wie seine Anhänger wissen. Einer seiner poetischst­en Sätze bringt es auf den Punkt: „Gehe so, als würdest Du die Erde mit deinen Füßen küssen.“

Die „New York Times“beschrieb ihn einmal als „kleinen, schlanken Mann, der eine Aura der Stille und einen Fokus besitzt, die Aufmerksam­keit erregen“. Praxisnah erläuterte Thich Nhat Hanh, wie ein glückliche­s Leben gelingen kann, setzte sich aber auch mit der Tatsache des menschlich­en Leidens und Gefühlen wie Wut und Angst auseinande­r. „Wer keinen Frieden in sich selbst gefunden hat, kann nicht zum Friedenswe­rkzeug werden“, so sein Credo.

Thich Nhat Hanh selbst hat derweil versucht, mit seinem politische­n Engagement genau das zu sein: ein Werkzeug des Friedens. Bei Papst Paul VI. und amerikanis­chen Spitzenpol­itikern machte er sich in den 1960er-Jahren für ein Ende der Kriegshand­lungen in Vietnam stark und hinterließ viel Eindruck. In Chicago traf er den US-Bürgerrech­tler Martin Luther King Jr., der den Mönch später als „Apostel des Friedens und der Gewaltfrei­heit“würdigte.

Kings Bewunderun­g ging so weit, dass er Thich Nhat Hanh in einem Brief für den Friedensno­belpreis 1967 vorschlug. Aber dazu sollte es nicht kommen: Sowohl 1966 als auch 1967 wurde die renommiert­e Auszeichnu­ng letztlich nicht vergeben. Stattdesse­n erklärte Vietnam den Buddhisten Ende der 1960er-Jahre zur unerwünsch­ten Person. Seine

Bücher wurden verboten, Thich Nhat Hanh musste ins Exil. Aber sein lebenslang­er Einsatz für gewaltfrei­e Konfliktlö­sungen ging weiter.

Mehr als 100 Bücher hat er in englischer Sprache veröffentl­icht, die in 22 Sprachen übersetzt wurden. Rund 30 sind auch auf Deutsch erschienen. Es gibt kaum eine Buchhandlu­ng, von Hugendubel in München bis zum kleinen Straßensho­p in Thailand, wo keine Werke des Vietnamese­n im Regal stehen. 2017 kam eine gefeierte Dokumentat­ion mit dem Titel „Walk with me“über seine friedliche Welt und die Kunst der Achtsamkei­t heraus. Erzähler ist der britische Schauspiel­er Benedict Cumberbatc­h („Sherlock“, „12 Years a Slave“). Die Filmemache­r hatten die Gemeinscha­ft des Mönchs zuvor mehrere Jahre begleitet.

Während seines Exils verbrachte Thich Nhat Hanh viel Zeit in Frankreich, wo er 1982 in der Nähe von Bordeaux das berühmte Meditation­szentrum „Plum Village“gründete. Tausende Menschen aus aller Welt reisen jedes Jahr an. Dort, so wie auch im EIAB in Waldbröl und anderen Gemeinscha­ften des Mönchs, wollen die Menschen seinen Geburtstag unter anderem mit Meditation­en feiern – über Themen wie Geschwiste­rlichkeit und Menschenli­ebe. „Denn Liebe, das ist letztlich seine Botschaft“, sagt Thay Phap An.

In Hue werden die Brüder und Schwestern hingegen – wie jeden Tag – Thich Nhat Hanhs Hütte mit Blumen dekorieren und sich hingebungs­voll um ihn kümmern. „Sie werden ihm wie so oft Briefe seiner Anhänger aus aller Welt vorlesen“erzählt Schwester Dinh Ngiem. „Und es wird ihm sicher jemand einen Apfelkuche­n backen. Denn Thay liebt Apfelkuche­n.“

 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Thich Nhat Hanh beim Besuch der Thien Mu Pagode: Im Januar 2005 kehrte er erstmals nach 39 Jahren Exil wieder in seine Heimat zurück.
FOTO: IMAGO IMAGES Thich Nhat Hanh beim Besuch der Thien Mu Pagode: Im Januar 2005 kehrte er erstmals nach 39 Jahren Exil wieder in seine Heimat zurück.
 ?? FOTO: IMAGO IMAGES ?? Thich Nhat Hanh (Bild rechts) im Jahr 1966 zusammen mit Martin Luther King Jr. bei einer Pressekonf­erenz zum Vietnamkri­eg.
FOTO: IMAGO IMAGES Thich Nhat Hanh (Bild rechts) im Jahr 1966 zusammen mit Martin Luther King Jr. bei einer Pressekonf­erenz zum Vietnamkri­eg.

Newspapers in German

Newspapers from Germany