Freude und Erschöpfung beim Zieleinlauf
Elf unterschiedlich lange Kilometer, Glockengebimmel und Restendorphine – LZ-Volontär schafft es ins Ziel
- Geschafft! Das ist mein erster Gedanke. Nach nur drei Monaten Vorbereitung bin ich nach elf Kilometern Viertelmarathon tatsächlich im Ziel. Und – auch das keine Selbstverständlichkeit – ich gehe noch aufrecht. Irgendein junger Mensch hängt mir eine Teilnehmermedaille um, ich hechele zwar, fühle mich aber nicht so, als müsste ich bald vornüberkippen. Mit den Restendorphinen des Zieleinlaufs tapse ich zu den Ständen, schnappe mir eine Cola und ein paar Apfelschnitze. Ich, der absolute Laufmuffel, stehe trotz monatelangen Lockdowns ohne Sport im Bregenzer Stadion.
Dabei fängt der Tag eher gräulich an. Lindau spielt vor dem Laufstart die Insel im Nebel, von Sonnenschein keine Spur. Es ist kühl und ich bin nicht gerade mit der perfekten Läuferausrüstung unterwegs. Zwar sind meine Schuhe das Ergebnis der Laufschuhberatung von Laufsport Gralki in Wangen, aber ab den Laufsocken hört es auf. Mein Shirt ist das langärmelige Trainingsshirt von meinem Ulmer Schwertfechtverein, meine Hose Badeshorts. Die ganz kurze Hose war mir irgendwie zu kalt, und die andere nach dem panischen Waschgang am Vortag noch nicht trocken. Es ist aber nicht das erste Mal, dass ich in weiß-grauen Badeshorts laufe. Die kennen auch die Mädels und Jungs von Liane Enders Lauftreff schon.
Der Anfang verläuft schleppend. Ich habe mich zwar in halbweiser Voraussicht nicht in die erste Reihe gestellt, sondern starte in Block fünf, aber so ganz komme ich anfangs nicht in den Rhythmus. Die ersten beiden Kilometer mühe ich mich ab, spüre jede Unebenheit im Boden, jede leichte Steigung. Aber egal:nun bin ich schon losgelaufen und das Wort „aufgeben“kennt mein Sturkopf eh nicht. Was ich Anfange, das bringe ich auch zu Ende. Irgendwann nach dem dritten Kilometer komme ich dann in meinen Lauffluss – oder ich bin einfach schon körperlich ein bisschen taub. Das Ergebnis ist dasselbe: Von nun an läuft es sich wunderbar flüssig.
Mit gefühlter Leichtigkeit überquere ich die Ländergrenze nach Österreich und komme gut voran – es zieht sich halt etwas. Doch als ich die Hälfte der Strecke hinter mir habe, ist die Freude nur von kurzer Dauer. Erst bin ich begeistert, dass ich es schon zur Hälfte hinter mir habe, doch dann meldet sich die Stimme im Kopf, die mir sagt, dass ich noch mal so viel laufen muss. Auf den ersten gefühlten Erfolg folgt ein kurzer Moment der Erschöpfung: Die letzten zweihundert Meter bis Kilometer sieben gehe ich statt zu laufen. Danach läuft es aber wieder. Ab Kilometer neun schwächle ich noch mal, doch die vielen anfeuernden Zuschauer lassen nicht zu, dass ich mir die Blöße gebe, noch mal zu gehen. Inmitten von begeisterten Kindern, Menschen, die mir Mut zurufen und dem Gebimmel der Kuhglocken merke ich sogar, dass ich noch mal etwas schneller werde.
Dann ist plötzlich auch schon das Stadion in Sicht, wir Viertelmarathonläufer werden dorthin geleitet. Der versprochene Sonnenschein bleibt allerdings aus: Auch beim Zieleinlauf herrscht Nebelwetter. Aber das stört vermutlich weder mich, noch sonst einen der Menschen, die heute durchs Ziel laufen. Über die Ziellinie schleppen – wie anfangs von mir befürchtet – muss mich aber niemand.
Meine Zeit beim Zieleinlauf? Für mich beinahe eine Nebensache. 1:19:irgendwas. Sicherlich bin ich damit nun kein Weltklasse-Läufer, aber es ist auch nicht die schlechtestmögliche Zeit. Mir war das Ankommen wichtig. Und das hab ich nun tatsächlich geschafft. Wie, das kann ich selber nicht so genau sagen. Ich bin einfach in Lindau losgelaufen und habe in Bregenz wieder damit aufgehört. Was ich am Ende spüre, ist vor allem mein rechtes Knie, später meldet auch meine Lunge an, dass sie das Geschehene als eher ungewohnt empfand. Aber da muss sie – und ich auch – nun durch. Ich habe sogar noch immer gute Laune. Aber da sind Endorphine auch eine gute Ausrede.
Meine persönlichen Highlights: die Menschen an den Seitenlinien. Von den kleinen Mädchen, die zum Einklatschen aufgefordert haben, über die vielen Kuhglockenmusikanten hin zu der Mutter mit Kind, die einen PowerUp-Pilz aus dem Spiel Super Mario hochhielten, auf das wir Läufer mit der Hand tappen sollten – und den beiden Lindauern, die die Läufer mit der geladenen Rockmusik von AC/
DC beschallt haben. Nur die noch immer hängenden Plakate der Wahlverlierer demotivieren eher ein bisschen. Aber am Ende ist die gute Laune doch deutlich stärker.
An der Dudelsackkapelle an der Strecke in Bregenz scheiden sich bestimmt die Geister, aber als ich vorbeilaufe, spielen sie gerade „Auld Lang Syne“– und mir gefällt’s. Ein großes Lob auch an meine Kolleginnen Julia Baumann, Yvonne Roither und Ronja Straub. Die standen nicht nur an der Inselbrücke und haben mich angefeuert, sondern sind sogar noch nach Bregenz hinterher und dann teils mitgerannt, um an mehreren Stellen eine lautstarke Motivationskulisse zu bieten. Dass ich es geschafft habe liegt aber nicht nur an meinem Sturkopf, sondern auch an den tollen Leuten aus Liane Enders Laufgruppe, die mich so herzlich aufgenommen und mit mir trainiert haben. Und vielleicht auch an den drei
Leuten mit den Aleasboard-T-Shirts, die ich unbekannterweise zum Tempo halten mißbraucht habe. Die sind praktischerweise ungefähr in meinem üblichen Takt gelaufen.
Und nun ist der Lauf vorbei. Meine Freundin sagt immer: „Hätte ich Dir vor vier Monaten gesagt, dass du einen Viertelmarathon laufen wirst und dafür sogar freiwillig joggen trainierst, du hättest mir einen Vogel gezeigt.“Und sie hat recht. Ich habe Laufsport immer gehasst, fand es immer langweilig und als Redaktionschefin Julia Baumann mit der Idee zu mir kam, habe ich lange überlegen müssen. Aber nun ist es geschafft. Mein Verhältnis zum Laufen? Hat sich tatsächlich verändert. Ich kann mir schon vorstellen, weiterzumachen. Auch wenn der nahende Winter da in die Quere kommen könnte. Aber schauen wir mal. Vielleicht sehe ich Lindau zum nächsten DreiLänder-Marathon wieder.