Lindauer Zeitung

Spürnase und Vollstreck­er

Warum die Bayern-Profis Thomas Müller und Serge Gnabry für Hansi Flick und die Nationalel­f so wichtig sind

- Von Patrick Strasser Von Martin Deck

- Der Nationalel­f winkt das Frühbucher-Ticket für die WM 2022 in Katar. Ein eigener Sieg am Montag im WM-Qualifikat­ionsspiel gegen Nordmazedo­nien in Skopje (20.45 Uhr/RTL) und kein Dreier der Armenier im Parallelsp­iel in Rumänien würde die beiden abschließe­nden Partien im November für die DFB-Auswahl punktetech­nisch bedeutungs­los werden lassen. „Wir wollen unsere Philosophi­e durchziehe­n, den nächsten Schritt machen und uns so schnell wie möglich für die WM qualifizie­ren“, sagte Bundestrai­ner Hansi Flick entschloss­en. „Umso früher, desto besser“, meinte Serge Gnabry, „wir wollen es am Montag klarmachen.“

Gegen Nordmazedo­nien hatte man noch im März unter Flicks Vorgänger Joachim Löw mit dem 1:2 die einzige Niederlage in dieser WMQualifik­ation einstecken müssen – fühlt sich fast schon nach grauer Vorzeit an, ist aber erst sieben Monate her. Für Flick war das 1:2 von Duisburg kein Thema („Ich schaue nicht so gerne in die Vergangenh­eit“), für Bayern-Angreifer Gnabry dagegen Ansporn: „Uns alle wurmt das verlorene Hinspiel immer noch.“

Auch der mögliche Bundestrai­ner-Startrekor­d, aufgestell­t von Löw 2006, den Flick mit dem fünften Erfolg im fünften Spiel, einstellen könnte, bedeutet dem 56-Jährigen rein persönlich nichts. Seine Spieler müssten „noch mehr füreinande­r da sein“, forderte Flick vor dem Abflug in Hamburg, er wolle eine Mannschaft auf dem Platz sehen, „die begeistert“und „jeden mitzieht“. Im Grunde die perfekte Stellenbes­chreibung für das Wirken von Chef-Mitreißer und Antreiber Thomas Müller. Doch darf der 32-Jährige in Skopje von Anfang an mitwirken? Oder vertraut Flick auf der Zehner-Position erneut Marco Reus vom BVB? Flick ließ dies am Sonntag offen, betonte lediglich, er sei „froh, dass wir auf dieser Position so viel Qualität haben“. Tendenz: Müller, der Retter des 2:1 vom Freitag gegen Rumänien, beginnt.

Gnabry sowieso. Flick braucht beide: Die Spürnase Müller und Vollstreck­er Gnabry, der am Freitag den 1:1-Ausgleich erzielt hatte. Und Timo Werner, dem unglücklic­hen Mittelstür­mer, schenkt Flick weiter das Vertrauen, stärkte ihm den Rücken. Am Sonntagvor­mittag beim Abschlusst­raining legte der Bundestrai­ner dem Chelsea-Angreifer ganz demonstrat­iv und ganz väterlich seinen Arm um die Schulter und suchte das persönlich­e Gespräch. „Ich habe Timo explizit vor der Mannschaft gelobt für sein Engagement und seinen

Die Lacher sind weniger geworden – und sie sind leiser. Dennoch: Wenn es um Lothar Matthäus geht, löst das bei den meisten Fußballfan­s in Deutschlan­d nach wie vor zumindest ein kleines Schmunzeln aus. Zu amüsant sind dessen Eskapaden und Fettnäpfch­en im Privatlebe­n (nach Silvia, Lolita, Marijana und Liliana steht nun offenbar auch die Scheidung von Ehefrau Nummer 5, Anastasia, bevor), als dass der Rekordnati­onalspiele­r trotz aller sportliche­n Erfolge wahre Anerkennun­g erfahren würde. Dabei hätte er diese durchaus verdient. Matthäus ein absoluter Fußballfac­hmann. Kaum ein anderer kennt sich im aktuellen Fußball so gut aus wie der einstige Weltklasse­spieler und heutige TV-Experte. Das beweist er regelmäßig mit seinen treffenden Analysen bei Bundesliga­und Länderspie­len.

Und dennoch brauchte auch Matthäus die Hilfe eines einfachen Fans für seine neueste These – eine gewagte aber nicht uninteress­ante. Beim mühsamen 2:1-Sieg der Nationalma­nnschaft gegen Rumänien, bei dem sich die DFB-Auswahl gegen einen tiefstehen­den Gegner im Angriff einmal mehr extrem schwertat, entdeckte der TV-Experte ein Plakat auf der Tribüne im Hamburger Volksparks­tadion: „Hey, Hansi! Wo ist Terodde?“,

Nordmazedo­niens Nationaltr­ainer

Blagoja Milevski rechnet sich im WM-Qualifikat­ionsspiel gegen Deutschlan­d Chancen auf den nächsten Coup aus. „Jedes Spiel ist eine andere Geschichte“, sagte der 50-Jährige der Deutschen Welle.

„Der Fußball wäre nicht das, was er ist, wenn immer der Favorit auf dem Papier gewinnen würde. Ich wüsste nicht, warum wir nicht alles daran setzen sollten, ein positives Ergebnis zu erzielen.“Nordmazedo­nien war im Hinspiel im März mit dem 2:1 in Duisburg gegen die damals noch von Joachim

Einsatz“, berichtete Flick und betrieb damit Teil zwei der emotionale­n Aufbauarbe­it.

Lockerer ging es zwischen den Bayern-Profis zu. Nach der Partie in stand da auf der braunen Pappe. Ernsthaft? Simon Terodde – ein Zweitliga-Stürmer – als Retter der Nationalma­nnschaft? „Der Idee sollte man eine Chance geben“, meint Topexperte Matthäus. Und hat damit absolut recht. Ein Versuch wäre es auf alle Fälle wert.

In der zweiten Liga ist Terodde der beste Angreifer aller Zeiten, hat zuletzt mit seinem 153. Treffer den Rekord

Löw betreute DFB-Auswahl eine Sensation gelungen. Allerdings trete die DFB-Elf unter Löw Nachfolger Hansi Flick ganz anders auf. „Die letzten Spiele der deutschen Mannschaft haben deutlich gezeigt, dass der Stil und die Art, wie die Mannschaft auf dem Feld arbeitet, ganz anders ist als früher: viel aggressive­r, viel mehr Laufarbeit und Disziplin im Spiel“, sagte Milevski. Die deutschen Spieler seien zwar „mehr oder weniger dieselben, aber der Stil und die Philosophi­e des neuen Trainers sind anders als früher.“(dpa)

Hamburg drückte Gnabry dem sechs Jahre älteren Müller einen Spruch: „Ja, einfach nur reinschieb­en – das kann er“, so der Flügelstür­mer über den Matchwinne­r. Ein Gruß von Torschütze

von Dieter Schatzschn­eider eingestell­t. Der Schalke-Stürmer ist körperlich und im Kopfballsp­iel extrem stark – etwas was den aktuellen DFBAngreif­ern um Timo Werner trotz aller Klasse abgeht. „Wenn er gefüttert wird, macht er genauso seine Tore wie Lewandowsk­i-Backup Choupo-Moting bei Bayern“, sagte Matthäus der „Bild“. „Terodde ist für mich daher eine ernsthafte Option. Einen Spielertyp­en wie ihn braucht man einfach.“

zu Torschütze. Von einem, der beim Hamburger Kraftakt sein 20. Tor im 30. Länderspie­l erzielt hatte, zum Routinier, der seinen 40. Treffer im DFB-Trikot (im 107. Einsatz) intensiv feierte mit Jubelfäust­en und Worten („War geil“). Dass man das Spiel gedreht hat, setzt neues Selbstvert­rauen frei, dazu Glaube und Energie. Innerhalb der Mannschaft und als Wechselwir­kung zwischen Platz und Tribüne. „Wir haben viel probiert. Umso schöner war es, dass wir uns belohnen konnten. Als das 2:1 fiel, war eine Explosion da. Wir haben eine Verbindung zu den Fans gespürt“, fand Siegtorsch­ütze Müller und ergänzte: „Es ist wichtig, dass wir jetzt wissen, dass wir uns bei Rückstand weiter vertrauen können.“

So sah es auch Flick: „Wir waren sehr gierig, das Spiel zu gewinnen. Es gehört zur Entwicklun­g dazu, dass man ein Spiel, in dem es nicht so läuft, voller Begeisteru­ng erfolgreic­h beendet. Die Mannschaft hat gefightet, nie

Denn klar ist: Der deutsche Fußball steckt in einem Dilemma. Dem Land, in dem so viele Mittelstür­mer groß und berühmt wurden, gehen die Mittelstür­mer aus. Es ist nicht einmal das Problem, dass es niemanden mehr gibt, der Weltklasse verkörpert, es gibt kaum noch Profis, die überhaupt in das Anforderun­gsprofil passen: groß, kopfballst­ark, gefährlich im Abschluss, am besten mit nur einem Kontakt, mit rechts, links, der Brust, dem Hinterkopf, ganz egal. „Ihr habt was falsch gemacht. Im Moment hat Deutschlan­d nicht genügend Stürmer“, erklärte jüngst der ehemalige Arsenal-Erfolgscoa­ch Arsene Wenger, weshalb er der DFB-Auswahl kurzfristi­g keinen Titel zutraut. Und auch Jürgen Klopp übte klare Kritik: „England hat mindestens sieben klassische Mittelstür­mer, die in der Nationalma­nnschaft spielen könnten. Warum haben wir das nicht? Irgendwo müssen die Spieler ja herkommen“, sagte der Trainer des FC Liverpool.

Das Problem: Alle Topclubs in der Bundesliga haben die Torjägerpo­sition mit ausländisc­hen Spielern besetzt. Bayern mit Robert Lewandowsk­i (Polen), Dortmund mit Erling Haaland (Norwegen), Leverkusen mit Patrik Schick (Tschechien), Leipzig mit

André Silva (Portugal) und Wolfsburg

Wout Weghorst (Niederland­e). aufgesteck­t und mit Selbstvert­rauen gespielt.“Die nächste Entwicklun­gsstufe dürfte damit erreicht sein. Hart erkämpfte und am Ende mit einer Standardsi­tuation erzielte Arbeitssie­ge sind oft schöner als überlegen geführte Schützenfe­ste. In Skopje wartet ein leidenscha­ftlich kämpfender Weltrangli­sten-74. vor lautstarke­r Kulisse in der Toše-Proeski-Arena (36 000 Plätze) und ein vom Dauerregen dieser Tage aufgeweich­ter und daher schwer bespielbar­er Platz. Aber auch bei Fritz-Walter-Wetter müllert es ja gerne.

Kapitän und Torhüter Manuel Neuer, der wieder fit und bereit für seinen Einsatz in Skopje ist, denkt bereits über die Qualifikat­ion hinaus und träumt schon vom fünften Stern. „Wir wollen Weltmeiste­r werden! Das ist das Ziel unserer Mannschaft“, sagte der 35-Jährige in „Bild am Sonntag“. Und Gnabry ergänzte: „Wir haben definitiv die Qualität dazu und wollen mit neuem Schwung angreifen.“

Beim Blick auf deutsche Angreifer in der Bundesliga, bleibt eigentlich nur ein Name, der seit Jahren regelmäßig trifft: Max Kruse. Trotzdem hat der Stürmer von Union Berlin, der einst unter Jogi Löw aussortier­t wurde, keine Hoffnungen mehr auf ein Comeback im DFB-Dress. „Ich bin mir zu 99 Prozent sicher, dass ich keine Einladung mehr erhalte“, sagte Kruse im Interview mit der FAZ. „Hansi Flick gehörte ja schon zum Trainersta­b unter Jogi Löw, von daher ist seine Meinung wahrschein­lich genauso festgefahr­en wie damals bei Löw.“Bleibt also nur die Überraschu­ngslösung Terodde?

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FOTO: MARCUS BRANDT/DPA Dank Bayern-Duo der WM-Qualifikat­ion ganz nahe: Serge Gnabry (li) und Thomas Müller (re.) retten den 2:1-Erfolg über Rumänien.
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FOTO: IMAGO IMAGES Simon Terodde in die Nationalel­f? Warum nicht.
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