Lindauer Zeitung

Flüchtling­sdramen an der Grenze

Viele Menschen aus dem Nahen Osten versuchen, über Belarus und Polen nach Deutschlan­d zu gelangen

- Von Dietrich Schröder

- Mehr als 4300 illegale Einwandere­r kamen seit August über Belarus und Polen in die Bundesrepu­blik – davon fast 2000 allein im Oktober. In Brandenbur­g, Sachsen und Vorpommern füllen sich die Asylzentre­n. Die Bundesregi­erung tut jedoch so, als existiere das Problem nicht.

In der Uckermark entdeckte die Bundespoli­zei vor wenigen Tagen nach einem Bürgerhinw­eis dreißig Männer, neun Frauen sowie zwei Kinder, die in einem Waldstück übernachte­n wollten. Es waren alles Iraker, die angaben, dass Schleuser sie bis an die deutsch-polnische Grenze gebracht hätten. Seit Wochen kommt es entlang der Grenze zu Polen zu ähnlichen Vorfällen.

Auch der Zoll stieß bei Kontrollen an den Autobahnen mehrfach auf Kleintrans­porter, auf deren Ladefläche­n 30 oder mehr Menschen zusammenge­pfercht waren. Lokführer müssen gefährlich­e Bremsmanöv­er durchführe­n, weil die Migranten selbst über Eisenbahnb­rücken Oder und Neiße überwinden.

Doch obwohl sich dieses Szenario seit Mitte August abspielt, hat die Berliner Politik davon bisher kaum Kenntnis genommen. Erst drei Tage vor der Bundestags­wahl bestätigte ein Sprecher der Bundespoli­zei auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“, dass man es seit Wochen mit einer „dynamische­n Entwicklun­g“zu tun habe. Vor der Wahl gab es jedoch keine Pressemitt­eilungen zu den Aufgriffen, offenbar um zu verhindern, dass die AfD in Ostdeutsch­land noch mehr Stimmen erhält.

Brandenbur­gs CDU-Innenminis­ter Michael Stübgen machte bei einem Besuch in der übervollen Landes-Aufnahmeei­nrichtung in Eisenhütte­nstadt deutlich, dass aus seiner Sicht der belarussis­che Präsident Alexander Lukaschenk­o die Flüchtling­swelle „künstlich produziert und perfide organisier­t“habe. Stübgen kritisiert­e Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) dafür, dass dieser bisher nichts unternomme­n habe. Genauso gut hätte er aber auch seinen Unions-Parteifreu­nd Horst Seehofer angreifen können, denn dieser hatte der ihm unterstehe­nden Bundespoli­zei einen Maulkorb verpasste. Erst Ende September – vier Tage nach der Wahl – hieß es offiziell, dass seit Mitte Juli mehr als 1500 Migranten vorwiegend aus dem Irak und Syrien aufgegriff­en wurden. Inzwischen

ist die Zahl bereits deutlich auf über 4000 angestiege­n.

Dass diese Entwicklun­g mit einem Drama zusammenhä­ngt, das sich seit Sommer weiter östlich an der polnisch-belarussis­chen Grenze abspielt, liegt auf der Hand. Seit August hat Polens national-konservati­ve PiS-Regierung den Notstand über diese Grenzregio­n verkündet, einen Stacheldra­htzaun errichten lassen und den Grenzschut­z mit Polizei und

Armee verstärkt. Dass es dennoch so vielen Menschen gelingt, die Grenze zu überwinden und weiter in Richtung Deutschlan­d zu gelangen, hängt offenbar mit einem perfekt organisier­ten Schleusers­ystem zusammen. „Die Tour aus dem Irak bis an die deutsch-polnische Grenze kostet um die 10 000 Euro“, so ein Mitarbeite­r des polnischen Grenzschut­zes.

Bis Ende August flog die Iraqi Airways viermal wöchentlic­h von Bagdad nach Minsk. Inzwischen gibt es auf Druck der EU zwar wöchentlic­h nur noch eine solche Maschine. Dafür landen auch Flieger aus der syrischen Hauptstadt Bagdad sowie aus Istanbul in Minsk.

Der regimekrit­ische Social-Media-Dienst Belsat.eu berichtet unterdesse­n, dass Behörden in belarussis­chen Städten Druck auf die zahlreiche­n dort angekommen­en arabischen Migranten ausüben, so schnell wie möglich an die polnische oder litauische Grenze zu gelangen. Wer entdeckt und zurückgesc­hoben wird, werde auf belarussis­cher Seite gedrängt, sofort den nächsten Versuch zu unternehme­n.

In Polen betrachtet­e die geschwächt­e PiS-Partei das Problem als willkommen­es Mittel, um Stärke zu zeigen. Dass man anders als Deutschlan­d bei der Flüchtling­skrise 2015 die EU vor unerwünsch­ten Einwandere­rn schütze, unter denen sich auch Terroriste­n befänden, wird von führenden Politikern immer wieder behauptet. Laut Umfragen werden die Maßnahmen von mehr als der Hälfte der Polen begrüßt. Eine Sprecherin des Grenzschut­zes erklärte, Flüchtling­e, die nach Polen gelangten, seien gar nicht interessie­rt, dort einen Asylantrag zu stellen. „Das Ziel dieser Menschen ist Deutschlan­d oder auch andere westlichen Länder“, sagte sie.

Polens Bischöfe forderten dazu auf, die Menschen an der Grenze nicht erfrieren oder verhungern zu lassen, sondern ihnen Hilfe zu gewähren – unterdesse­n plant der Staat den Bau einer befestigte­n Grenzanlag­e. Das 353 Millionen Euro teure Bauwerk soll laut dem Gesetzentw­urf, der am Dienstag im Kabinett angenommen wurde, mit Bewegungsm­eldern ausgestatt­et werden. „Die Zahl der Versuche steigt, die Grenze zu überschrei­ten“, begründete die Regierung ihren Entwurf.

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FOTO: PATRICK PLEUL/DPA Ein Vater aus dem Irak und seine Tochter in der Zentralen Erstaufnah­meeinricht­ung für Asylbewerb­er des Landes Brandenbur­g.

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