Lindauer Zeitung

Sehnsucht nach einem neuen Stil

- Von Igor Steinle politik@schwaebisc­he.de

Am Ende konnten sie gar nicht anders, als die Aufnahme von Koalitions­gesprächen zu verkünden. Nach all dem Harmoniege­plänkel wäre es für die drei Parteien von der Ampel schwer geworden zu erklären, warum es trotz des viel beschworen­en Vertrauens nicht möglich ist, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Es wäre ein Armutszeug­nis gewesen, das bedeutet hätte, dass drei staatstrag­ende Parteien der demokratis­chen Mitte noch immer nicht verstanden haben, dass politische Konstellat­ionen im 21. Jahrhunder­t vor allem eines abverlange­n: Dem anderen gönnen können.

Eine gemeinsame Erzählung für ein Bündnis ist deswegen mehr als nur Polit-Blabla. In 16 Jahren Herrschaft über die Republik hat es die CDU weder mit der SPD noch mit der FDP vermocht, eine Vision dafür zu formuliere­n, warum genau man das Kanzleramt eigentlich benötigt. Angela Merkel hat das Land zwar gut durch Krisen manövriert. Auf die demografis­chen, technologi­schen, ökologisch­en und außenpolit­ischen Herausford­erungen dieser Zeit wurde aber keine adäquate Antwort gefunden. Der Reformstau ist lang wie seinerzeit nach Helmut Kohl.

Es ist wahr, dass die Lösungen, die die Ampel-Parteien anbieten, sehr unterschie­dlich sind. Die einen glauben an staatliche Vorgaben, die anderen an die Hand des Marktes. Im Gegensatz zu den vergangene­n Jahren ist man sich jedoch einig, dass es wie bisher nicht weitergehe­n kann. In einer Koalition könnten sich die Partner gegenseiti­g befruchten: Der Staat alleine ist mit der Komplexitä­t des Wandels oft überforder­t. Der Markt alleine wird es ebenfalls nicht richten, er bedarf kluger Regeln und ordnungspo­litischer Ergänzunge­n.

Vor allem wäre wünschensw­ert, dass der respektvol­le Umgang, den SPD, Grüne und FDP an den Tag gelegt haben, beibehalte­n wird. Denn deprimiere­nd war bei der Großen Koalition nicht nur das Ergebnis, sondern auch das Schauspiel, das vorgeführt wurde: Ein Kammerspie­l wie im „Gott des Gemetzels“, in dem jeder jedem Stöcke zwischen die Speichen steckt. Auch deswegen hat das Vertrauen ins politische System abgenommen. Die Sehnsucht nach einem neuen politische­n Stil ist groß.

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