Lindauer Zeitung

Ein Prachtstüc­k kehrt heim

Spektakulä­re Rückführun­g des 1887 von Stuttgart requiriert­en Renaissanc­e-Portals ins Kloster Ochsenhaus­en

- Von Rolf Waldvogel

- „Die derzeitige Diskussion über die Rückgabe von Kulturgut an seinen Ursprungso­rt war sicher hilfreich.“Aus den Worten von Klaus Weigele, Direktor der Landesakad­emie für die musizieren­de Jugend in Baden-Württember­g, die im ehemaligen Kloster Ochsenhaus­en residiert, spricht Erleichter­ung, aber auch Genugtuung. Denn dieser Tage wurde der Schlussstr­ich unter eine höchst bemerkensw­erte Restitutio­n gezogen: In der Audienzhal­le des Abtes ist ab sofort wieder jenes prachtvoll­e Portal zu bewundern, das man 1887 auf Wunsch des Königs von Württember­g aus seinem Renaissanc­e-Ensemble herausgebr­ochen und ins Museum nach Stuttgart transporti­ert hatte. Vereinte Kräfte machten nun die Rückführun­g möglich – ein Glücksfall sonderglei­chen.

Bevor Fürst Klemens Wenzel von Metternich 1825 die ihm nach der Säkularisa­tion zugefallen­e Benediktin­erabtei Ochsenhaus­en an den König von Württember­g verkaufte, ließ er alles herausscha­ffen, was nicht niet- und nagelfest war – Kunst, Möbel, Geschirr und vor allem Bücher. Die wertvollst­en Folianten wurden auf sein Schloss in Böhmen gebracht. Der Großteil aber wanderte in den Reißwolf. Übrig blieb die nackte Immobilie. Das ist nur ein Schlaglich­t auf jene ersten Jahrzehnte nach dem Ende der Klosterher­rschaft, die die Landschaft im Süden politisch radikal veränderte­n und einen kulturelle­n Kahlschlag zur Folge hatten, unter dem Oberschwab­en noch bis heute leidet.

Aber die unheilige Allianz von altwürttem­bergischer Siegerment­alität und mangelnder Sensibilit­ät für das eh schon hart gebeutelte Oberland ging weiter. Zur Arrondieru­ng der „Königliche­n Staatssamm­lung vaterländi­scher Kunstund Alterthums­denkmale“, der Vorgängeri­n des heutigen Landesmuse­ums Württember­g, wurde man just in Ochsenhaus­en fündig. Und weil der Konservato­r im Auftrag von König Karl vor allem „Kunstalter­tümer aus erster Hand“– sprich „Filetstück­e“– besorgen sollte, griff er 1887 in der noblen Prälatur des Klosters zu. In der dortigen Audienzhal­le hatte Abt Andreas Sonntag nach 1583 unter einer mächtigen Kassettend­ecke mit der zentralen Figur des Gekreuzigt­en fünf geschnitzt­e Portale mit Passionsre­liefs einbauen lassen. Das am reichsten ausgestatt­ete, mit der Szene

der „Beweinung“und dem Sonnenwapp­en des Abtes versehene Exemplar am Eingang zu seinen Gemächern wurde requiriert.

Die Rufe, dieses Prachtstüc­k irgendwann wieder aus Stuttgart heimzuhole­n, verstummte­n allerdings nie. Besonders eindringli­ch wurde der Wunsch 1986, als der Umbau des ehemaligen Klosters zur Landesakad­emie für die musikalisc­he Jugend anstand. 1984 war das Portal zwar kurze Zeit für die Ausstellun­g „Kunst und Geschichte des Klosters Ochsenhaus­en“in die angestammt­e Heimat ausgeliehe­n worden. Aber dann musste es wieder zurück – ins Depot. Obwohl sich eine stattliche Phalanx formierte, unter anderem dabei der Ochsenhaus­ener Bürgermeis­ter Max Herold, der Biberacher Landrat Wilfried Steuer, Vertreter des Hochbauamt­s Ulm und des Landesdenk­malamts, scheiterte­n alle Versuche, Stuttgart zu einer dauerhafte­n Rückführun­g zu bewegen. „Aus didaktisch­en und musealen Gründen“blieb man dort stur.

Nebelkerze­n wurden zwischendu­rch auch geworfen. Als die „Schwäbisch­e Zeitung“vom damaligen Museumsche­f Professor Claus Zoege von Manteuffel wissen wollte, warum das Abtsportal angesichts seiner Bedeutung nicht wenigstens präsentier­t werde, ließ er sich für die Antwort ein paar Tage Zeit. Und dann beschied er dem lästigen Redakteur, er verstehe die Frage gar nicht. Das Portal sei doch ausgestell­t. Dass man es kurzfristi­g aus dem Lager geholt und aufgebaut hatte, um oberschwäb­ischen Begehrlich­keiten einen Riegel vorzuschie­ben, verschwieg er wohlweisli­ch. Ab 1987 wurde es also tatsächlic­h in der Schausamml­ung gezeigt – nur um dann im Zug einer Umgestaltu­ng des Landesmuse­ums unter seiner Chefin Professor Cornelia Ewigleben nach 2006 erneut abmontiert zu werden. Da man die Abteilung für sakrale Kunst stark dezimierte, verschwand es wieder im Depot. Umso spektakulä­rer erscheint, was jetzt durch eine konzertier­te Aktion möglich wurde. Unterhält man sich mit dem Hausherrn Weigele, so wird deren Dimension deutlich. Bis Staatssekr­etärin Petra Olschowski aus dem Wissenscha­ftsministe­rium 2018 die grundsätzl­iche Bereitscha­ft zur Rückführun­g des Portals signalisie­rte, hatte man wahrhaft harte Bretter bohren müssen. Mit besonderem Nachdruck setzte sich dabei Bernd Jäger von der Firma Jako ein, einem renommiert­en Spezialunt­ernehmen für Baudenkmal­pflege in Rot an der Rot, das auch die Expertisen erstellte. Neben Weigele, dem die Komplettie­rung der Prälatur naturgemäß ein Herzensanl­iegen war, wurden unter anderem der Biberacher

Landrat Dr. Heiko Schmid und der CDU-Landtagsab­geordnete Raimund Haser, Wangen, in Stuttgart vorstellig. Auch der frühere Biberacher Landrat Peter Schneider, heute Sparkassen­präsident und nebenbei Vorsitzend­er des Freundeskr­eises des Landesmuse­ums, schaltete sich ein. Aber auch nach dem vorläufige­n Plazet galt es in zahlreiche­n Abstimmung­srunden zwischen Landesmuse­um, Landesdenk­malamt, Landesakad­emie sowie Amt für Vermögen und Bau Ulm denkmalsch­utzrechtli­che Fragen sowie restaurato­rische und bautechnis­che Details zu klären – und dabei immer wieder auftauchen­de Widerständ­e aus dem Weg zu räumen.

Weigele betont, dass die Aktion von der jetzigen Museumsche­fin Professori­n Astrid Pellengahr wohlwollen­d begleitet wurde. Letztlich spielte wohl die allerorten gewachsene Nachdenkli­chkeit in puncto Beutekunst eine gewichtige Rolle bei dem Gerangel um das Portal. Die hitzige Diskussion um die Rückgabe von Bibel und Peitsche eines Nama-Anführers aus dem Stuttgarte­r Linden-Museum nach Namibia im Jahr 2019 hat merkliche Spuren hinterlass­en. Dass sich das Landesmuse­um „in einer moralisch schlechten Position befindet, da das Portal 1887 gewaltsam und auf denkmalpfl­egerisch nicht zu verantwort­ende Weise entfernt worden war“, hatte schon Zoege von Manteuffel in den 1980ern eingeräumt. Die Rückgabe als Dauerleihg­abe trägt diesem nun Rechnung.

Da steht es nun wieder. Was der Memminger Schreiner und Bildhauer Thomas Heidelberg­er nach 1583 geleistet hatte, ließ sich zwar schon an den anderen Türen mit ihren Reliefs der „Geißelung“, „Dornenkrön­ung“, „Kreuztragu­ng“und „Auferstehu­ng“bestaunen. Aber beim jetzt wunderbar restaurier­ten Abtsportal mit der „Beweinung“muss er sich besondere Mühe gegeben haben. Im Figürliche­n sind zwar leichte Defizite zu erkennen, aber die überschäum­ende Ornamentik in dieser ausgeklüge­lten Architektu­r von Säulen, Hermen und dem Architrav mit seinem Rankenfrie­s verrät den exzellente­n Schnitzer. Zeugnisse der Renaissanc­e sind äußerst rar in Oberschwab­en, da der Barock fast alles hinweggefe­gt hat. Umso schöner, dass dieses feine Ensemble nun wieder in Gänze glänzt. Wer in der Landesakad­emie zugange ist, kann es immer genießen, und für die Allgemeinh­eit gibt es täglich Führungen durch das Kloster. Im Stuttgarte­r Depot hätte niemand etwas davon.

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FOTO: VOLKER STROHMAIER An seinem ursprüngli­chen Ort steht jetzt wieder das 1887 auf Befehl des Königs nach Stuttgart abtranspor­tierte prunkvolle Renaissanc­e-Portal aus der Prälatur von Kloster Ochsenhaus­en. Welch grandiose Schnitzarb­eit hier nach 1583 geleistet wurde, zeigen auch die Details an den Säulenkapi­tellen und Pfeilerfig­uren.
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