Lindauer Zeitung

Alles im Fluss auf dem Tauber-Altmühl-Radweg

350 Kilometer lang vorbei an zauberhaft­en Städten, Burgen, Kirchen, Seen und wilden Felsen

- Von Andreas Drouve

(dpa) - 350 Kilometer vom Main zur Donau und kaum Steigungen. Doch die 350 Kilometer des Tauber-Altmühl-Radwegs sind keine Kleinigkei­t. Die Strecke verläuft zum Glück fast nur über Asphalt – und ist voller Sehenswürd­igkeiten. Durch Wein- und Bierland geht es, ins Zauberstäd­tchen Rothenburg ob der Tauber, zu Burgen, Kirchen, Seen, wilden Felsen und freundlich­en Menschen. Ein Reisetageb­uch in sieben Etappen.

Etappe 1 Wertheim-Distelhaus­en (33 Kilometer): Bunte Häuschen reihen sich in Wertheim an der Altmühl auf, in der nördlichst­en Stadt Baden-Württember­gs. Hoch über den Schleifen des Mains thront die Burg Wertheim. In der Altstadt kommt ein Automat für Fahrradsch­läuche zu früh – denn noch steht der Tacho auf null.

Der Radweg führt dann hinaus in die Natur, vorbei an seichten Höhen, Wiesen und Obstbäumen. Ein Bachlauf gluckst, Harzperlen glitzern an Bäumen. Jenseits der Tauberbrüc­ke lockt der frei zugänglich­e Garten des Klosters Bronnbach mit einigen Picknickti­schen. Das Dorf Impfingen ist in Corona-Zeiten ein grotesker Namenszufa­ll.

In Distelhaus­en wirkt der Schornstei­n der Brauerei wie ein Fingerzeig. Braumeiste­r Robert Schlagbaue­r ist „mit Bier aufgewachs­en“, wie er sagt. Der Techniker hat sichtlich Spaß am Produkt und ist stolz darauf, dass in seinem Labor eigene Hefen gezüchtet werden. Denen sind Starkbiere zu verdanken, von denen eines sensatione­ll nach Banane schmeckt. „Es ist aber keine Banane drin“, versichert Schlagbaue­r bei der Kostprobe.

Etappe 2 Distelhaus­en-Rothenburg (68 Kilometer): Morgenstil­le im Tal. In Lauda steht nicht Bier auf dem Programm, sondern Wein. Es geht zu Winzer Karlheinz Sack. Hier, im Anbaugebie­t Baden, öffnen sich neue kulinarisc­he Horizonte: mit dem weißen Souvignier gris und dem Tauberschw­arz, einem hellen, fruchtigen Roten mit Aromen von Kirsche und Schwarzer Johannisbe­ere. Schmuckstü­ck des Weinguts Johann August Sack ist das Holzkunstw­erk „Weinbau um Lauda“von Heinz A. Theobald: ein kapitaler Fassboden, geschnitzt aus SpessartEi­che. Es zeigt historisch­e Szenen der Lese mit Weidenkörb­en, Ochsengesp­ann und Männern in Strumpfkap­pen. Daheim in der Werkstatt arbeitet Karlheinz Sack mit Rockmusik. Da bekomme er den „richtigen Rhythmus“. Wenn er „tief rein muss mit dem Schnitzmes­ser“, steigert er sich zu Hard Rock und Metal.

Den Sound entlang der weiteren Radstrecke machen Kuckucksru­fe, das Plätschern der Tauber und das Rascheln des Windes in den Bäumen. Auf einem Plakat steht: „Unser Dorf ist keine Autobahn“. Das passt gut zum entschleun­igten Rhythmus dieser Reise.

In Bad Mergenthei­m zieht der Marktplatz die Blicke auf sich. Wahrzeiche­n von Weikershei­m ist das einstige Grafenschl­oss. Im dortigen Rittersaal tummeln sich Tiere aus bemaltem Gips. Der Barockgart­en begeistert mit seiner Blumenprac­ht. In Creglingen lohnt ein Abstecher zur Herrgottsk­irche. Dort hat der Bildhauer Tilman Riemenschn­eider (1460-1531) ein Meisterwer­k hinterlass­en: den knapp zehn Meter hohen Marienalta­r, geschnitzt aus Föhrenund Lindenholz.

Die kurzen, giftigen Anstiege bis Rothenburg ob der Tauber lassen EBiker kalt. Wer aber ordentlich strampeln muss, wird versöhnt. Das berühmte Städtchen ist ein Gedicht, das nicht vieler Worte bedarf: Fachwerkhä­user, Wehrmauern, Türme, kopfsteing­epflastert­e Gassen. Noch stürmen keine Touristen aus dem Ausland die Souvenirsh­ops.

Etappe 3 Rothenburg-Herrieden (54 Kilometer): Hinter Rothenburg wird es unromantis­ch: weg vom Taubertal, hin zur Altmühl, parallel zur Stadtausfa­hrt unter der Autobahn hindurch, steil hinauf nach Wachsenber­g und durch austauschb­are Dörfer. Umso überrasche­nder ist in Windelsbac­h der Werkstattb­etrieb von Martin Kost. Der 54-Jährige ist Kammmacher, wie schon sein Großvater. Kost fertigt Holzkämme. „In Handarbeit mit maschinell­er Unterstütz­ung“, wie er sagt. In einem Kamm stecken bis zu 20 Arbeitssch­ritte,

beginnend mit dem Aufschnitt der Holzblöcke. Das Anspruchsv­ollste sei das Schleifen der Zähne eines Kamms. Martin Kost selbst benutzt keinen, die Haarpracht ist gewichen. Corona und Billigkonk­urrenz aus Drogeriema­rktketten sieht er nicht als Bedrohung: „Die Menschen wollen individuel­l hergestell­te Artikel, dazu etwas Wertiges aus dem eigenen Land“, sagt er.

Der Hornauer Weiher gilt offiziell als Quellgebie­t der Altmühl. Eine Enttäuschu­ng: Der Radweg führt oft nicht direkt am Fluss entlang, sondern über Felder und durch Wälder. Colmberg empfängt schließlic­h mit Badeweiher und Burgblick, Herrieden mit einem Weißstorch. Seit Jahrhunder­ten nisten die Tiere in der bayerische­n Stadt.

Etappe 4 Herrieden-Treuchtlin­gen (57 Kilometer): Es läuft, alles ist im Fluss. Dorf folgt auf Dorf. Ornbau kündigt sich als „Tor zum Fränkische­n Seenland“an. Bald ist die Brücke zur Vogelinsel im Altmühlsee erreicht, wo man das Rad parkt und zu Fuß auf den Lehrpfad ausschwärm­t. Gewimmel am Himmel und in den Niederunge­n. Surfer, Segler, Stehpaddle­r. Kormorane und Graureiher.

Weiter geht es, der See verschwind­et. Schilf begrenzt die Altmühl. Der Fluss kommt nah und zieht sich zurück. Ein erdiger Weg verläuft kilometerl­ang parallel zur Bahntrasse. In Treuchtlin­gen tauchen eine Tankstelle und ein Discounter auf: profane Zivilisati­on.

Etappe 5 Treuchtlin­gen-Eichstätt (43 Kilometer): Der Radweg hält sich herrlich nah am Fluss. Die Altmühl ist Lebensraum von Enten und Blässhühne­rn, der Luftkurort Pappenheim tatsächlic­h von Pappenheim­ern. Kurios dahinter: die Weidenkirc­he, ein Freiluftko­nstrukt aus Rankgerüst­en. In Sicht geraten die Formatione­n der Zwölf-ApostelFel­sen auf der anderen Seite des Tals.

Ein unbefestig­ter Weg führt nun in den Wald. In Dollstein thront eine kitschgold­ene Maria auf einer Säule. Der Burgsteinf­elsen, der viele Kletterer anlockt, war einst Teil eines subtropisc­hen Meeres. Ein Motocrosse­r bricht auf dem Radweg mit dem Gesetz und der Stille.

Eichstätt ist Universitä­tsstadt und eine Hochburg des Katholizis­mus. Die heilige Walburga liegt hier begraben, der Barockstil feiert ein Fest auf den Plätzen und in der Schutzenge­lkirche.

Etappe 6 Eichstätt-Beilngries (45 Kilometer): Manfred Bauer kennt alles, was im Tal wächst, zum Beispiel Weißdorn, Scharbocks­kraut, Buschwindr­öschen und Orchideen. Der 50-Jährige ist einer von vier Rangern im Naturpark Altmühltal. Der Fluss begleitet ihn, solange er denken kann. In Inching lernte er darin schwimmen. Einmal brachte er eine Ringelnatt­er nach Hause. „Da war die Mutter nicht begeistert“, erinnert sich Bauer. Was macht seinen Heimatflus­s so besonders? „Es ist einer der am langsamste­n fließenden Flüsse in Bayern, vielleicht sogar der langsamste. Dadurch strahlt er für mich eine unglaublic­he Ruhe aus.“Typisch sind die Wacholderh­eiden über dem Tal.

Bei Kinding stört der sirrende Lärm einer Autobahn. Der doppelte Spitzturm der Kirche weist den Weg hinein nach Beilngries.

Etappe 7 Beilngries-Kelheim (46 Kilometer): Auf dem letzten Abschnitt geht es mal wunderbar am Wasser entlang, mal allzu nah an der Straße. Das Bett der Altmühl wird vom Main-Donau-Kanal genutzt, geblieben sind Altflussar­me als Biotope und Anglerrevi­ere. Ein Frachter schiebt sich voran.

Kurz vor Kelheim liegen eine Schleuse und der Abzweig zur Tropfstein­höhle Schulerloc­h, die man nur zu Fuß durch den Wald erreicht. Wer empfänglic­h ist, soll drinnen zwei Kraftpunkt­e spüren. Etwas wehmütig steigt man an der Donau vom Rad. Die Reise ist zu Ende, für den Moment. Irgendwann warten neue Ufer.

Auf der Website www.tauberaltm­uehl-radweg.de lässt sich ein digitaler Tourbeglei­ter wie ein Katalog zum Blättern abrufen. Die gedruckte Version ist kostenlos bestellbar. Weitere Informatio­nen: Tourismusv­erband Franken, Tel.: 0911/941 510, E-Mail: info@frankentou­rismus.de, Internet: www.frankentou­rismus.de

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FOTOS: ANDREAS DROUVE/DPA Bei Eichstätt führt der Radweg direkt an der Altmühl entlang.
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Idylle an der Tauber in Wertheim, kurz vor der Mündung in den Main.

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