Lindauer Zeitung

Fürs Traumstudi­um raus aufs Land

Bayerns Landarztqu­ote soll Mediziner in die Fläche bringen – Zweiter Jahrgang startet

- Von Gregor Bauernfein­d

(dpa) - Tommy Blumenthal ist 22 Jahre alt, kommt aus dem Landkreis Harz in SachsenAnh­alt – und ein klein wenig ruhen die Hoffnungen der bayerische­n Ärzteschaf­t und des Gesundheit­sministeri­ums auch auf ihm. In etwa zwölf Jahren soll er seinen Teil dazu beitragen, eine ärztliche Unterverso­rgung in ländlichen Gebieten in Bayern zu verhindern. Das hat er wie die anderen 114 jungen Menschen, die für das kommende Winterseme­ster über die Landarztqu­ote zum Medizinstu­dium zugelassen worden sind, dem Freistaat sogar schriftlic­h gegeben: Zehn Jahre lang müssen sie nach Studium und Facharztau­sbildung in Gebieten arbeiten, in denen Bedarf an Ärzten besteht. Als Gegenleist­ung bekommen die jungen Leute die Chance, sich den Traum vom Arztberuf zu erfüllen – obwohl sie kein hervorrage­ndes Abitur haben.

Der Wunsch, Medizin zu studieren, sei schon während seiner Schulzeit gereift, sagt Tommy Blumenthal, der fürs Studium nach Bayern zieht und kommende Woche an der Universitä­t Erlangen-Nürnberg anfangen wird. In der Schule habe man aber noch andere Gedanken, „und deswegen war mein Abi jetzt nicht so perfekt, dass ich direkt reinkommen konnte“. Nach einer Pflegeausb­ildung und einem Jahr als Krankenpfl­eger schaffte er es über die bayerische Landarztqu­ote dann doch.

Der 22-Jährige gehört zum zweiten Jahrgang, schon im vergangene­n Oktober hatten rund 100 angehende Landärzte angefangen. „Nach Ablauf des ersten Studienjah­res können wir eine positive Bilanz ziehen. Nur eine Studentin der Landarztqu­ote Bayern hat ihr Studium bislang abgebroche­n“, sagt Gesundheit­sminister Klaus Holetschek (CSU). Auch Beate Reinhardt vom bayerische­n Hausärztev­erband zieht ein positives Fazit: „Es war ein sensatione­ller Start, ich bin begeistert.“Die Landarztqu­ote sei schon längst überfällig gewesen.

„Als die E-Mail kam, war ich echt überglückl­ich“, erzählt Clara Waininger vom Moment, in dem sie ihre Zusage bekam. Sie habe sich geärgert, dass ihr nicht schon in der Schule aufgefalle­n sei, dass sie Medizin studieren wolle. Ihr Weg führte stattdesse­n zunächst über einen Bundesfrei­willigendi­enst und eine Qualifikat­ion als Rettungssa­nitäterin, dann fing sie eine Pflegeausb­ildung an. All das half bei der Landarztqu­oten-Bewerbung: Dort bringen einen etwa Vorerfahru­ng in Gesundheit­sberufen, ehrenamtli­ches Engagement, Bundesfrei­willigendi­enst

und ein guter Eignungste­st weiter. Die Abiturnote spielt keine Rolle.

Beate Reinhardt vom Hausärztev­erband sagt, die Landarztqu­ote sei ein Beginn, mal über die Auswahlver­fahren zum Medizinstu­dium nachzudenk­en und „vielleicht zusätzlich­e Kriterien aufzunehme­n. Das heißt: soziale Kompetenz, praktische­s Wissen. Das ist superwicht­ig in der Medizin.“Man sehe das an den Menschen: „Wenn sie sozial tätig waren, wissen sie eher, auf was sie sich einlassen und was sie sich wünschen.“Gerald Quitterer, Präsident der Bayerische­n Landesärzt­ekammer, sagt: „Die Zulassung zum Medizinstu­dium sollte nicht nur vom Numerus Clausus abhängen.“

5,8 Prozent der Studienplä­tze werden derzeit für die angehenden Landärzte vorgehalte­n. „5,8 Prozent sind gut, aber es geht noch besser“, sagt Reinhardt. Grundsätzl­ich würde man beim Hausärztev­erband eine höhere Quote begrüßen. Gerald Quitterer von der Landesärzt­ekammer sagt, die Höhe der Quote sei nur ein Baustein. „Wichtiger wäre es, 150 bis 200 Studienplä­tze mehr pro Jahr zu schaffen.“Denn in Zukunft seien etwa aufgrund von Teilzeitar­beit mehr Köpfe für die gleiche Arbeit nötig.

Laut Gesundheit­sministeri­um werden rund 350 neue Medizinstu­dienplätze geschaffen. An der Höhe der Quote wird sich aber nichts ändern. In Bayern sei der Spielraum für die Landarztqu­ote im Rahmen der – laut Staatsvert­rag – möglichen Vorabquote­n bereits voll ausgeschöp­ft, teilt das Ministeriu­m mit.

Die Quote ist nur eine von mehreren Maßnahmen des Freistaats, mit der Mediziner dorthin gebracht werden sollen, wo sie gebraucht werden. Derzeit hat der Freistaat in 18 von 204 Planungsbe­reichen eine „drohende Unterverso­rgung“ermittelt. Wo es für Tommy Blumenthal und Clara Waininger nach zwölf Jahren Studium und Facharztau­sbildung hingeht, lässt sich heute aber noch nicht sagen.

Als Alternativ­e wäre den beiden wohl nur geblieben, fürs Medizinstu­dium ins Ausland zu gehen. Für Blumenthal wäre das nicht infrage gekommen, sagt er. Er fühle sich hier wohler, außerdem hätte die Entscheidu­ng fürs Ausland wohl ziemlich hohe Studienkos­ten bedeutet. „Das wäre ein großes Opfer. Ein größeres Opfer als dieser Vertrag auf jeden Fall“, sagt Clara Waininger.

Denn mit der Zusage treffen Landarztqu­oten-Studierend­e in jungen

Jahren eine weitreiche­nde Entscheidu­ng: Nach Studium, Ausbildung und zehn Jahren Arbeit als niedergela­ssene Ärzte werden sie über 40 Jahre alt sein. „Man verschiebt seinen kompletten Lebensmitt­elpunkt einfach irgendwo anders hin“, sagt Tommy Blumenthal aus Sachsen-Anhalt. „Aber das ist es mir absolut wert.“

Clara Waininger sagt, für sie sei die Entscheidu­ng nicht so schwer gewesen. „Ich finde das ein äußerst faires Angebot, dass ich diesen Studienpla­tz dafür bekomme, dass ich mich verpflicht­e.“Sie sei im Bayerische­n Wald aufgewachs­en. „Ich mag das Großstadtl­eben“, sagt sie. „Aber ich will auf jeden Fall wieder zurück.“Und man könne auch danach noch Facharzt werden oder sich in einer Klinik anstellen lassen: „Wir leben, glaube ich, in einer Zeit, in der auch mit 40 Jahren das Leben noch nicht vorbei ist.“

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FOTO: ARMIN WEIGEL/DPA Die Landarztqu­ote will dafür sorgen, dass man solche Schilder auch in Zukunft noch sieht.
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