„Ich habe schon Patienten hier beobachtet, die in meinen Augen überhaupt kein Suchtproblem haben.“
Christian Schulze, Patient in der Forensischen Psychiatrie Zwiefalten
Sinn, einen solchen Aufwand zu treiben, um dann in drei Jahren das Gebäude wieder zu räumen für die Universität“, argumentierte Bauer.
Dass sich zwei Minister, die auch noch derselben Partei angehören, öffentlich streiten, war für die Opposition ein gefundenes Fressen. „Luchas Vorschlag ist so schlecht, dass selbst im Kabinett Kritik laut wird“, lästerte der FDP-Gesundheitspolitiker Jochen Haußmann. An diesem Montag kam das Thema im Sozialausschuss des Landtags auf die Tagesordnung. Doch für die Änderung des Paragrafen 64 ist der Bund zuständig. Da es dieses Problem nicht nur im Südwesten gibt, arbeitet eine Arbeitsgruppe aus Bund und Ländern daran, dessen Wortlaut neu zu fassen. Danach folgt der Gesetzgebungsprozess, und wie lange der dauert, ist offen.
Zentral ist nach Ansicht von Fachleuten, dass dabei Fehlanreize der aktuellen Rechtsprechung ausgemerzt werden. Dabei geht es um das sogenannte Halbstrafenprivileg. Es besagt, dass Patienten, wenn die Therapie erfolgreich ist, schon nach der Hälfte der Zeit entlassen werden können. Bei Gefängnisinsassen ist dies erst der Fall, wenn sie zwei Drittel der Strafe abgesessen haben. Da die Therapie allerdings auf jeden Fall eine gewisse Zeit in Anspruch nimmt, lohnt sich der Versuch in den Maßregelvollzug zu kommen statt ins Gefängnis, vor allem für Menschen, die zu einer hohen Haftstrafe verurteilt wurden. „Bis zu zwei Jahren Haftstrafe will keiner den 64er, über zwei Jahren Haft wollen ihn viele“, erklärt Forensik-Chef Udo Frank die Faustregel unter Angeklagten.
Inzwischen gibt es auf der Videoplattform YouTube regelrechte Tutorials, die Angeklagte darin schulen, wie man den Richter am besten davon überzeugt, alkohol- oder drogenabhängig zu sein. Auch Strafverteidiger raten ihren Klienten diesen Weg zu gehen, der allerdings nicht ohne Risiko ist. Denn bricht ein Eingewiesener später doch die Therapie ab, hat dies eine schlechte Kriminalprognose zur Folge, die auch im regulären Justizvollzug eine Entlassung nach zwei Dritteln der Haftstrafe unwahrscheinlich macht, wie Forensiker Frank erläutert. So weit würden viele Delinquenten allerdings gar nicht denken.
Das Vorgehen der Angeklagten und ihrer Anwälte wird von einer für sie günstigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mitbestimmt. Die Frage ist dabei, wie der im Gesetzestext genannte „Hang zum Übermaß“an Suchtmittelkonsum definiert wird. Laut Juristen ist dies schon dann der Fall, wenn jemand „sozial gefährdet oder sozial gefährlich“sei, zitiert die Zwiefaltener Forensik-Leiterin Zavoianu die höchstrichterliche Rechtsprechung. „Vom medizinischen Begriff der Abhängigkeit bleibt da nicht viel übrig.“
Die Zwiefaltener Forensik-Patienten Christian Schulze und Thomas Klausel dagegen sind überzeugt, dass der Maßregelvollzug ihnen eine Chance gibt, die sie im Gefängnis nicht bekommen hätten.
Schulze will bald die Erlaubnis erhalten, tagsüber allein die Klinik zu verlassen. Er möchte Arbeit finden und den Kontakt zu seinen Töchtern wieder aufbauen. Sie sind 15, fünf und zweieinhalb Jahre alt.
Thomas Klausel sagt, er wolle Abitur machen und dann etwas mit Informatik. „Ich denke, ich schaffe es, abstinent zu bleiben. Denn wenn ich rückfällig werde, bringt mich das direkt weg von diesem Ziel.“
Ein Interview mit dem Kriminologen und Psychologen Achim Ringel, therapeutischer Leiter der Aufnahmeund Krisenstation der Forensik in Zwiefalten, sehen Sie unter: www.schwaebische.de/ zwiefalten