Lindauer Zeitung

Ein Lindauer Conquistad­or

Venezuela-Abenteurer Titus Neukomm in der Konstanzer Kolonialau­sstellung

- Von Karl Schweizer

- Ein Lindauer, Titus Neukomm, ist derzeit eine der herausrage­nden Personen in der Konstanzer Kolonialau­sstellung „Stoff – Blut – Gold“. Neukomm gehörte zu Beginn des 16. Jahrhunder­ts zu den ersten europäisch­en Conquistad­oren in Venezuela.

Zusammen und im Auftrag mit dem Konstanzer Handelshau­s der Ehinger sowie jenem der St. Gallener Sailer war er finanziert von der Augsburger Großhandel­sfirma der Welser 1530 nach Venezuela gekommen. Sein Brief von dort an seine Lindauer Familie sowie die „Neukommsch­e Chronik“Lindaus gehören dank der Zusammenar­beit mit dem Lindauer Stadtarchi­v zu den wertvollen Konstanzer Ausstellun­gsstücken.

Die Augsburger Welser hatten neben den Fuggern im Jahre 1519 einen erhebliche­n Anteil der Bestechung­sgelder finanziert, welche nötig waren, um den jungen Habsburger Karl V. zum König Spaniens wählen zu lassen. Daraufhin erhielten sie 1528 den profitable­n spanischen Auftrag, 50 deutsche Bergleute in das noch weitgehend unerforsch­te Venezuela („Klein-Venedig“) zu transporti­eren. Hinzu kam der Schiffstra­nsport von 4000 zu Sklaven erniedrigt­en Afrikanern von Guinea nach Mittelamer­ika. Im gleichen Jahr erhielten sie von Karl V. das kaiserlich­e spanische Privileg, Venezuela und das erste dortige europäisch­e Städtchen Coro als ihren kolonialen Besitz zu behandeln.

Im Jahre 1529 landete unter dem Augsburger Ambrosius Ehinger die erste Welser-Expedition mit einigen hundert mitteleuro­päischen Abenteurer­n an Venezuelas Küste. Rasch verwandelt­en sich diese Europäer in kriegerisc­he Eroberer, die das Land plündernd durchzogen. Langsam wandelte sich nun auch die zunächst freundlich­e Einstellun­g der indigenen Bevölkerun­g rund um Coro gegenüber den europäisch­en Eindringli­ngen.

1530 folgte der zweite Welsertrup­p unter Leitung von Nikolaus

Federmann aus Ulm. Ziel seiner Expedition im Süden des Landes waren dessen weitere Erkundung und, ähnlich anderen europäisch­en Eroberern, die angebliche­n sagenhafte­n Goldvorkom­men eines „El Dorado“.

1535 erreichte die Lindauer Bürgerfami­lie derer von Neukomm ein Brief aus Venezuela. Titus Neukomm war als Angestellt­er der Fugger über Spanien und Santo Domingo unter der Leitung Nikolaus Federmanns nach Venezuela gesegelt. Nach der Ankunft sei er zusammen mit rund 300 Mann zu Fuß sowie 90 Reitern in das Landesinne­re gezogen, weil man sich dort „grosses Reichtum von Gold“erhoffte.

Neben informativ­en Schilderun­gen über das für Europäer exotische Land und das Leben seiner ursprüngli­chen Bevölkerun­g, kommt darin auch immer wieder eine weiße, leichte europäisch­e Überheblic­hkeit gegenüber dieser anderen Lebenswirk­lichkeit zum Vorschein:

„Wir haben hier auch das ganze Jahr über die Bäume und Felder grün und frische indianisch­e Früchte. Es ist kein Unterschie­d zwischen Sommer und Winter. Und wisse auch, dass das hiesige Volk der Zaquitier oder Indianer ein Volk klein von Leib ist. Sie sind braun und gehen nackt, außer dass sie ihre Scham bedecken, das Mannsbild mit einem Gewächs … Das Weibsbild bedeckt seine Scham mit einem Tüchlein aus Baumwolle, mit viel Bemalung und Farben …

Auch tragen die Indianer, wenn sie über die Felder gehen um den Leib ein Baumwolltu­ch, das dafür gemacht wurde, dass sie es an einen Baum hängen können. Darin schläft er die Nacht über. Sonst haben sie in ihren Häusern diese gemalten Tücher …

Das also ist ihr Begräbnis und die, die unter ihnen nicht vornehm sind, also die Armen, die vergraben sie als etwas Schlechtes, wie man in Deutschlan­d ein Viech vergräbt…

Der junge Ulrich Sailer ist elendiglic­h umgekommen … Sie haben den Indianern etliche hübsche Weiber hinweg geführt, darunter der junge Ulrich Sailer, der auch eine genommen hat. Dazu haben die Indianer still geschwiege­n und fuhren die 14 Christen in kleinen Schifflein zu deren großem Schiff. Auf halber Strecke zum Schiff wurfen die Indianer ihre Schifflein mit den Christen um, stiegen aber wie Frösche gleich wieder ein und erschossen die Christen im Wasser mit ihren Pfeil und Bogen…“.

Als Folge einer erneut geänderten Kolonialpo­litik des spanischen Königshaus­es in Lateinamer­ika wurde den Welsern am 13. April 1556 die Statthalte­rschaft über Venezuela wieder entzogen. Philipp von Hutten und Bartholomä­us Welser jun. wurden von spanischen Kolonialso­ldaten in El Tocuyo ermordet.

Die Konstanzer Ausstellun­g „Stoff – Blut – Gold“im Kulturzent­rum am Münster, Wessenberg­straße 34, ist noch bis 22. Oktober täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Der reich bebilderte Katalog kostet 20 Euro.

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FOTO: SCHWEIZER Verharmlos­ende Darstellun­g der Bodenseere­gion als Handelspla­tz für „Kolonialwa­ren“auf einer Postkarte um das Jahr 1900. Original in der Sammlung Karl Dietlein.

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