Umgebracht von den eigenen Eltern
Schon Kaiser Karl V. erließ für Kindsmord harte Strafen – Bis heute sind meist Frauen Täterinnen
- Die Kindstötung ist ein jahrhundertealtes Phänomen, das die Menschen erschreckt und entsetzt, und seit jeher verhandelt wird in Mythologie, Literatur und natürlich vor Gericht. Das gilt auch für den geschichtsträchtigen Fall der Susanna Margaretha Brandt, die am 14. Januar 1772 in Frankfurt zum Schafott geführt wird.
Die 24-jährige Magd, eine frühe Waise, hatte in der Herberge „Zum Einhorn“gearbeitet, als sie von einem Goldschmiedegesellen verführt wird, der Genuss von Wein soll dabei seine Wirkung nicht verfehlt haben. „Es sei ihr so seltsam zumute geworden, sie habe sich nicht mehr erwehren können, der Teufel müsse seine Hand im Spiel gehabt haben“, heißt es in den Prozessakten.
Die Magd wird in der Folge schwanger, verheimlicht dies und bringt in einer Waschküche ihr Kind zur Welt, das sie anschließend in Panik tötet. Für diese Tat wird sie vor Gericht zum Tod durch das Schwert verurteilt. Über den Vollzug der Strafe steht in den Akten: „Der Nachrichter führte die Maleficantin mit der Hand nach dem Stuhl, setzte sie darauf nieder, band sie an zweyen Ort am Stuhl fest, entblöste den Hals und Kopf, und unter beständigen Zurufen der Herren Geistlichen wurde ihr durch einen Streich der Kopf glücklich abgesetzt.“Unter den Prozessbeobachtern ist damals der junge Jurist Johann Wolfgang Goethe, der Susanna Margaretha Brandt ein literarisches Denkmal setzen wird: als „Gretchen“im Urfaust.
Der Kindsmord lässt Menschen sprach- und ratlos zurück, weil die Verbindung zwischen Eltern und ihrem Nachwuchs als von Natur aus untrennbar gilt. Und trotzdem wird diese Verbindung immer wieder brutal und tödlich gekappt, mal bei Neugeborenen (Neonatizid), mal bei Säuglingen (Infantizid) und auch bei Kindern über dem Alter von einem Jahr (Filizid).
Dies geschieht aus Armut und Verzweiflung oder aus Depression und Psychose, aus Angst vor Ausgrenzung oder aus Missgunst und Rache. Und in manchen Zeiten, weil es zu den gesellschaftlichen Gesetzmäßigkeiten gehört. So entscheidet in der Antike bis ins Mittelalter alleine der Vater über Leben oder Tod eines Kindes. Ist der Nachwuchs missgebildet, ungewollt oder weiblich, wird er im alten Rom ausgesetzt oder umgebracht.
Auch vom Mittelalter bis hinein in die Neuzeit kommt es vor, dass Eltern ihre Kinder töten, verkaufen oder einfach ihrem Schicksal überlassen, weil sie selber schon Not und Hunger leiden. Geschichten wie die Strafen sollten abschreckend wirken, was sie aber nicht taten.
Im 17. und 18. Jahrhundert steigt sogar die Zahl der Kindsmörderinnen, die den Pranger und die Schande des Dorfes durch ein uneheliches Kind fürchten. Wegen der Zunahme der Tötungen setzt ein Umdenken ein, die Perspektive der Mutter spielt jetzt ein größere Rolle, ihre Ängste und ihre Hoffnungslosigkeit werden wahrgenommen. Durch die Einführung des Paragrafen 217 des Strafgesetzbuches können der Täterin mildernde Umstände eingeräumt werden. Dieser Paragraf wird erst 1998 wieder abgeschafft, weil ein uneheliches Kind heutzutage keinen gesellschaftlichen Verstoß mehr bedeutet und weil es bei ungewollter Schwangerschaft vielfache Hilfsangebote gibt.
Heute wird Kindstötung, die in zwei Drittel bis drei Viertel der Fälle von der leiblichen Mutter verübt wird, vielfach als Totschlag angeklagt und kann mit Gefängnis bis zu 15 Jahren bestraft werden. Aber auch die Tötung aus „niederen Beweggründen“, aus Heimtücke, kann juristische Anwendung finden, die Anklage lautet dann: Mord.