Schwere Vorwürfe gegen Bolsonaro
Brasiliens Staatschef soll wegen seiner „verheerenden“Corona-Politik vor Gericht
- Jetzt könnte es doch eng werden für Präsident Jair Bolsonaro wegen seiner verheerenden CoronaPolitik. Eine Untersuchungskommission des brasilianischen Senats empfahl am Mittwoch, den radikal rechten Machthaber wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verletzung der Gesundheitsvorschriften, dem Vorschubleisten für die Verbreitung einer Pandemie und sechs weiteren Vergehen und Verbrechen vor Gericht zu bringen. Insgesamt werden ihm neun Delikte zur Last gelegt.
In der eintausend Seiten schweren Untersuchung wird Bolsonaro „eine makabre Strategie“im Umgang mit den Gefahren durch das SarsCoV-2-Virus vorgeworfen. Und es wird das Bild einer Regierung gezeichnet, die in geradezu gespenstischer Weise die Gefahren des Virus verkannt, kleingeredet und dann auch verfehlte Maßnahmen ergriffen hat. Das Dokument ist das Ergebnis einer mehr als sechs Monate dauernden Untersuchung, während der Hunderte von Zeugen befragt und Tausende Dokumente gesichtet wurden. Die zum Teil im Fernsehen übertragenen Debatten waren ein wahrer Quotenrenner und endeten bisweilen beinahe in Faustkämpfen.
Die Empfehlung der Senatskommission lautet nun: Man sollte dem Staatschef wegen der verheerenden, verneinenden und verweigernden Corona-Politik den Prozess machen. Brasilien beklagt mit 604 000 Opfern nach den USA die meisten CoronaToten weltweit. Die Politik Bolsonaros
habe die Auswirkungen der Pandemie in Brasilien drastisch verschlimmert, befand die Kommission. Neben dem Staatschef sollten noch vier seiner Minister und weitere 61 Beamte juristisch belangt werden. „Es ist unmöglich, die Verantwortung des Präsidenten für Unterlassungen und Verfehlungen im Umgang mit der Pandemie zu leugnen“, sagte Senator Renan Calheiros, Hauptautor des Berichts. „Das Verhalten des Staatschefs hat die dramatischen Folgen von Covid-19 in unserer Bevölkerung verschlimmert“.
In einer ersten Reaktion wehrte sich der bedrängte Präsident gegen den Vorwurf. Er sei sich „absolut keiner Schuld“bewusst. „Wir haben von Anfang an die richtigen Dinge getan", behauptete Bolsonaro am Mittwoch bei einer Zeremonie zur Verbesserung der sanitären Infrastruktur in der Gemeinde Russas im Nordosten Brasiliens. Am Dienstag wird die Senatskommission über den Antrag abstimmen. Die Delikte, derer Bolsonaro angeklagt werden soll, sind mit mehr als hundert Jahren Haft bewährt. Zudem wollen die Senatoren mit dem Untersuchungsbericht gegen den Machthaber ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anstrengen.
Von Beginn der Pandemie an hat der Staatschef die Gefahren des Virus minimiert. Er bezeichnete die Infektionskrankheit
als eine „Gripezinha“eine kleine Grippe, und wehrt sich bis heute mit Händen und Füßen gegen die Impfung, die das Oberste Gericht vor mehr als einem halben Jahr faktisch für jeden Brasilianer verpflichtend gemacht hat. Bolsonaro verhöhnte die Corona-Opfer und warf den Gouverneuren Knüppel in den Weg, wenn diese Lockdowns verhängen wollten. Wo er konnte, setzte er alles daran, die Immunisierung der Menschen zu boykottieren. Stattdessen pocht Bolsonaro bis heute auf das Malariamittel Chloroquin, dessen Wirkung gegen Sars-CoV-2 nicht nachgewiesen ist.
Die Bevölkerung des größten Lands Lateinamerikas hört jedoch immer weniger auf Bolsonaro. 107 Millionen Brasilianer (50,4 Prozent) sind komplett immunisiert. Nur die kleinen Länder Uruguay (75,1 Prozent) und Chile (75,4 Prozent) haben in Südamerika bessere Impfquoten. Auch Kuba hat fast zwei Drittel seiner Bevölkerung gegen Corona durchgeimpft. Der Untersuchungsbericht und die massiven Vorwürfe kommen in einem schlechten Moment für Bolsonaro.
Seine Popularität ist auch wegen der wirtschaftlichen Folgen der Pandemie im Sinkflug, und es ist keineswegs sicher, dass er die Präsidentenwahl in einem Jahr gewinnt, wie er behauptet. Sein linker Gegenspieler Lula da Silva hat sich noch nicht bekannt, ob er kandidieren will. In den jüngsten Umfragen würde der ehemalige Staatschef der Arbeiterpartei Bolsonaro aber wohl schlagen können.