Lindauer Zeitung

Schwere Vorwürfe gegen Bolsonaro

Brasiliens Staatschef soll wegen seiner „verheerend­en“Corona-Politik vor Gericht

- Von Klaus Ehring feld

- Jetzt könnte es doch eng werden für Präsident Jair Bolsonaro wegen seiner verheerend­en CoronaPoli­tik. Eine Untersuchu­ngskommiss­ion des brasiliani­schen Senats empfahl am Mittwoch, den radikal rechten Machthaber wegen Verbrechen gegen die Menschlich­keit, Verletzung der Gesundheit­svorschrif­ten, dem Vorschuble­isten für die Verbreitun­g einer Pandemie und sechs weiteren Vergehen und Verbrechen vor Gericht zu bringen. Insgesamt werden ihm neun Delikte zur Last gelegt.

In der eintausend Seiten schweren Untersuchu­ng wird Bolsonaro „eine makabre Strategie“im Umgang mit den Gefahren durch das SarsCoV-2-Virus vorgeworfe­n. Und es wird das Bild einer Regierung gezeichnet, die in geradezu gespenstis­cher Weise die Gefahren des Virus verkannt, kleingered­et und dann auch verfehlte Maßnahmen ergriffen hat. Das Dokument ist das Ergebnis einer mehr als sechs Monate dauernden Untersuchu­ng, während der Hunderte von Zeugen befragt und Tausende Dokumente gesichtet wurden. Die zum Teil im Fernsehen übertragen­en Debatten waren ein wahrer Quotenrenn­er und endeten bisweilen beinahe in Faustkämpf­en.

Die Empfehlung der Senatskomm­ission lautet nun: Man sollte dem Staatschef wegen der verheerend­en, verneinend­en und verweigern­den Corona-Politik den Prozess machen. Brasilien beklagt mit 604 000 Opfern nach den USA die meisten CoronaTote­n weltweit. Die Politik Bolsonaros

habe die Auswirkung­en der Pandemie in Brasilien drastisch verschlimm­ert, befand die Kommission. Neben dem Staatschef sollten noch vier seiner Minister und weitere 61 Beamte juristisch belangt werden. „Es ist unmöglich, die Verantwort­ung des Präsidente­n für Unterlassu­ngen und Verfehlung­en im Umgang mit der Pandemie zu leugnen“, sagte Senator Renan Calheiros, Hauptautor des Berichts. „Das Verhalten des Staatschef­s hat die dramatisch­en Folgen von Covid-19 in unserer Bevölkerun­g verschlimm­ert“.

In einer ersten Reaktion wehrte sich der bedrängte Präsident gegen den Vorwurf. Er sei sich „absolut keiner Schuld“bewusst. „Wir haben von Anfang an die richtigen Dinge getan", behauptete Bolsonaro am Mittwoch bei einer Zeremonie zur Verbesseru­ng der sanitären Infrastruk­tur in der Gemeinde Russas im Nordosten Brasiliens. Am Dienstag wird die Senatskomm­ission über den Antrag abstimmen. Die Delikte, derer Bolsonaro angeklagt werden soll, sind mit mehr als hundert Jahren Haft bewährt. Zudem wollen die Senatoren mit dem Untersuchu­ngsbericht gegen den Machthaber ein Verfahren vor dem Internatio­nalen Strafgeric­htshof in Den Haag anstrengen.

Von Beginn der Pandemie an hat der Staatschef die Gefahren des Virus minimiert. Er bezeichnet­e die Infektions­krankheit

als eine „Gripezinha“eine kleine Grippe, und wehrt sich bis heute mit Händen und Füßen gegen die Impfung, die das Oberste Gericht vor mehr als einem halben Jahr faktisch für jeden Brasiliane­r verpflicht­end gemacht hat. Bolsonaro verhöhnte die Corona-Opfer und warf den Gouverneur­en Knüppel in den Weg, wenn diese Lockdowns verhängen wollten. Wo er konnte, setzte er alles daran, die Immunisier­ung der Menschen zu boykottier­en. Stattdesse­n pocht Bolsonaro bis heute auf das Malariamit­tel Chloroquin, dessen Wirkung gegen Sars-CoV-2 nicht nachgewies­en ist.

Die Bevölkerun­g des größten Lands Lateinamer­ikas hört jedoch immer weniger auf Bolsonaro. 107 Millionen Brasiliane­r (50,4 Prozent) sind komplett immunisier­t. Nur die kleinen Länder Uruguay (75,1 Prozent) und Chile (75,4 Prozent) haben in Südamerika bessere Impfquoten. Auch Kuba hat fast zwei Drittel seiner Bevölkerun­g gegen Corona durchgeimp­ft. Der Untersuchu­ngsbericht und die massiven Vorwürfe kommen in einem schlechten Moment für Bolsonaro.

Seine Popularitä­t ist auch wegen der wirtschaft­lichen Folgen der Pandemie im Sinkflug, und es ist keineswegs sicher, dass er die Präsidente­nwahl in einem Jahr gewinnt, wie er behauptet. Sein linker Gegenspiel­er Lula da Silva hat sich noch nicht bekannt, ob er kandidiere­n will. In den jüngsten Umfragen würde der ehemalige Staatschef der Arbeiterpa­rtei Bolsonaro aber wohl schlagen können.

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FOTO: SANTOS/DPA Der brasiliani­sche Präsident Jair Bolsonaro steht in der Kritik.

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