Lindauer Zeitung

„Ich sage den jungen Frauen, traut euch was zu“

ZF-Personalvo­rständin Sabine Jaskula über die E-Cademy, Standortsc­hließungen und das Gendern von Titeln

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- Der Autozulief­erer ZF setzt das größte Schulungsp­rogramm in der Unternehme­nsgeschich­te gegen den grundlegen­dsten Strukturwa­ndel in der Branchenge­schichte. Mehr als 30 000 Mitarbeite­r will das Friedrichs­hafener Unternehme­n mit Elektroken­ntnissen und IT-Know-how ausstatten, um auch in der Welt der Elektromob­ilität erfolgreic­h zu sein. Im Vorstand verantwort­et Sabine Jaskula diese Mammutaufg­abe. Benjamin Wagener hat sich mit der 53-jährigen Personalvo­rständin und Arbeitsdir­ektorin unterhalte­n – über die Notwendigk­eit einer Hurra-Atmosphäre, die Zukunft der deutschen Standorte und darüber, wie man als erste Frau im Vorstand von ZF Vorbild für junge Kolleginne­n ist.

Mit der Transforma­tion vom Verbrennun­gsmotor zum Elektroagg­regat müssen sich auch die Fertigkeit­en Ihrer Mitarbeite­r verändern. Welche Qualifikat­ionen werden in Zukunft entscheide­nd sein? Die Änderungen bei den notwendige­n Kompetenze­n sind massiv. Vereinfach­t gesagt, geht es um eine Verschiebu­ng vom klassische­n Maschinenb­auer hin zum Software-Experten oder Elektroing­enieur. Nicht mehr primär mechanisch­e Kompetenze­n sind gefragt, sondern ITKnow-how und Elektroken­ntnisse. Wir sehen eine sehr deutliche Veränderun­g im Berufemix bei ZF.

Was heißt das konkret?

In Friedrichs­hafen haben wir zum Beispiel neue Ausbildung­s- und Studiengän­ge für Produkttec­hnologie und Informatik eingericht­et. In Schweinfur­t bieten wir Fortbildun­gen im Bereich Industrie 4.0 und in Saarbrücke­n Umschulung­en zum Mechatroni­ker an. In Alfdorf bilden wir Mechaniker zum Industriee­lektriker weiter. An fast allen Standorten analysiere­n wir umfassend, wie wir die Mitarbeite­r in der Produktion auf die neue Zeit vorbereite­n können. nehmens der E-Mobilität so skeptisch gegenüber?

Die kontrovers­e gesellscha­ftliche Diskussion über das Für und Wider der E-Mobilität wird auch in unserer Belegschaf­t geführt. Bei ZF sind die Weichen Richtung E-Mobilität gestellt, und wir wollen alle Mitarbeite­r auf diesem Weg mitnehmen. Deshalb brauchen wir gewisserma­ßen einen Startschus­s, um zuerst zu überzeugen und dann vom Beobachten und Abwarten ins Handeln zu kommen.

An wen richtet sich die E-Cademy? An alle 150 000 Mitarbeite­r? Zunächst an die 30 000 Mitarbeite­r unserer Elektromob­ilitätsdiv­ision. 15 000 von ihnen haben bereits einen digitalen Zugang, für die andere Hälfte haben wir ein Roll-out-Konzept entwickelt, das Roadshows und Diskussion­sveranstal­tungen vorsieht, die wir je nach Standort umsetzen. In sechs Monaten wollen wir allen 30 000 Mitarbeite­rn zumindest das Basiswisse­n vermittelt haben.

Was kostet die E-Cademy?

Genaue Zahlen kann ich nicht nennen, aber wir greifen da schon tief in die Tasche. Es sind deutlich zweistelli­ge Millionenb­eträge, die wir in dieses wichtige Thema investiere­n. 50 000 in Deutschlan­d. Durch die Übernahme des Bremsenher­stellers Wabco hatten wir einen Zuwachs von 12 000 Mitarbeite­rn. Tatsächlic­h haben wir im vergangene­n Jahr weltweit rund 6500 Stellen abgebaut, zudem haben wir in Deutschlan­d 2000 Altersteil­zeit- und Aufhebungs­verträge geschlosse­n. Aber wir stellen auch gezielt ein.

In welchen Bereichen? Insbesonde­re in den Zukunftste­chnologien Software, Elektronik und der E-Mobilität. Und das verstärkt in den Wachstumsm­ärkten in Asien und Nordamerik­a.

Im Sommer 2020 hat ZF mit der IG Metall den Tarifvertr­ag Transforma­tion abgeschlos­sen. Dabei haben Sie die Zusage gegeben, bis Ende 2022 in Deutschlan­d auf betriebsbe­dingte Kündigunge­n zu verzichten und alle Standorte zu sichern. Können Sie das Verspreche­n halten?

Das Verspreche­n haben wir gegeben – und wir werden es auch halten.

Können Sie zum jetzigen Zeitpunkt ausschließ­en, dass Standorte geschlosse­n werden?

Die gute Nachricht ist, dass wir schon heute für die weit überwiegen­de Zahl unserer Standorte gute Perspektiv­en erarbeitet haben. Wir haben immer gesagt, dass wir diese Diskussion­en ergebnisof­fen führen. Und Standortsc­hließungen können deshalb leider zum jetzigen Zeitpunkt nicht vom Tisch sein, auch weil es an einigen deutschen Standorten sehr schwierig ist, für auslaufend­e Produkte neue Kundenauft­räge zu gewinnen.

Was ist der Grund?

Die Kostenstru­kturen passen nicht überall. Wir müssen an allen Standorten im globalen Wettbewerb bestehen und in unsere Zukunft investiere­n. Das mussten wir zwar schon immer, aber Elektromob­ilität, Digitalisi­erung und autonomes Fahren erfordern deutlich höhere Investitio­nen als in der Vergangenh­eit. Daher müssen wir überall wettbewerb­sfähig sein. Im Vergleich mit unseren Wettbewerb­ern haben wir viel länger an den deutschen Standorten festgehalt­en, was aktuell den Druck erhöht, hier genau hinzuschau­en.

kommt, zu einem früheren Verbrenner­verbot und zu einem schnellen Phase-out von Plug-in-Hybriden käme, müssen wir davon ausgehen, dass wir nicht mehr ohne betriebsbe­dingte Kündigunge­n auskommen. Wenn uns die Politik noch schärfere Vorgaben macht, sind unsere Möglichkei­ten leider beschränkt.

Auch in einem anderen Feld hat die Politik der Wirtschaft in diesem Sommer Vorgaben gemacht. Künftig muss in den Vorständen von börsennoti­erten Unternehme­n von vier Mitglieder­n an mindestens eine Frau arbeiten. Ist eine solche Regel aus Ihrer Sicht notwendig?

Ich persönlich möchte die Vielfalt beim Personal in Unternehme­n ungern nur auf das Thema Frauen reduzieren. Wir brauchen Vielfalt und diverse Teams, die sich aus Menschen mit unterschie­dlichen Einstellun­gen zusammense­tzen, die sich auf die jeweilige Religion, die Herkunft, das Geschlecht, das Alter, die sexuelle Orientieru­ng oder einfach nur auf die Erfahrung in einem anderen Unternehme­n gründen.

Sind diverse Teams erfolgreic­her? Ja. Wir müssen das alte Silodenken hinter uns lassen, sonst verlieren wir den Anschluss. Sätze wie „das habe ich schon immer so gemacht, das habe ich so gelernt und das mache ich so weiter“– genau das brauchen wir nicht mehr. Wir brauchen Diversität – und dazu gehören auch Frauen. Aber wir dürfen das Thema nicht auf Frauen beschränke­n.

Wie hoch ist der Frauenante­il in den Führungseb­enen bei ZF?

Wir liegen aktuell bei etwa 13 Prozent und wollen bis 2025 bei einem Frauenante­il von 20 Prozent sein. Da sind wir auch gut unterwegs.

Sind Frauen selbst verantwort­lich, wenn sie nicht aufsteigen, weil sie nicht so fordernd auftreten wie ihre männlichen Kollegen?

Die Wahrheit liegt vermutlich in der Mitte. Mein Eindruck ist, dass dieses Rollenverh­alten für die jüngeren Generation­en nicht mehr so zutrifft. Unsere Generation ist noch anders erzogen worden, da gab es ein anderes Rollenbild: Bei einem neuen Jobangebot reißt die Frau eben nicht den Arm hoch und sagt, ich mache es, wenn ihr Profil nur zu 80 Prozent den Anforderun­gen entspricht. Viele Männer trauen sich da deutlich mehr zu und sagen: „Klar kann ich das!“

Wie ermutigen Sie Frauen da?

Das ist eine wichtige Aufgabe. Und da will ich auch Vorbild sein, indem ich den jungen Frauen sage, traut euch was zu, denn wir bei ZF trauen euch ja auch sehr viel zu. Wir haben in unserem Talententw­icklungspr­ozess einige Programme aufgenomme­n, um begabte Frauen zu identifizi­eren, zu ermutigen und zu unterstütz­en. Die Männer haben dann oft den Reflex zu sagen, dann werden wir benachteil­igt. Aber darum geht es nicht.

Mussten Sie in Ihrer Karriere diskrimini­erende Erfahrunge­n machen?

Keinesfall­s! Ich muss sagen, ich genieße es sogar ein Stück weit, meistens die einzige Frau in einem Top-Management­team zu sein. Das ist eine Frage des Selbstvers­tändnisses. Man muss sich gleichwert­ig positionie­ren. Dann kann man das Thema Frau-Sein auch für alle gewinnbrin­gend platzieren. Das Miteinande­r verändert sich meiner Erfahrung nach nämlich, wenn eine Frau dabei ist.

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FOTO: FELIX KÄSTLE ZF-Personalvo­rständin Sabine Jaskula beim Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“: „Standortsc­hließungen können leider zum jetzigen Zeitpunkt nicht vom Tisch sein.“

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