Lindauer Zeitung

Waldkraut mit großer Wirkung

Vierblättr­ige Einbeere zur „Pflanze des Jahres“gewählt – Einst hieß sie „Kreuz Christi“

- Von Christophe­r Beschnitt

(KNA) Endlich steht sie mal im Mittelpunk­t: Normalerwe­ise ist die Vierblättr­ige Einbeere nämlich immer ganz hinten zu finden, in PflanzenBe­stimmungsb­üchern jedenfalls. Denn diese sind meist nach Blütenfarb­en sortiert, und dabei landet die Einbeere dann in der „Ferner liefen“Kategorie „Grün/Braun“, die den Unscheinba­ren unter den Gewächsen gewidmet ist. Nun aber rückt die Art in den Fokus: Die Hamburger Loki-Schmidt-Stiftung hat sie am Donnerstag zur Blume des Jahres 2022 erkoren.

Die Stiftung ruft damit „zum Schutz dieser Pflanzenar­t und ihres artenreich­en Lebensraum­es, der alten, wilden und naturnahen Wälder, auf“. Die Einbeere komme in Deutschlan­d zwar noch häufig vor, aber in sechs Bundesländ­ern stehe sie bereits auf der Roten Liste der gefährdete­n Pflanzen.

„Die Einbeere ist eine sehr eigentümli­che Pflanze, deren Schönheit sich manchen vielleicht erst auf den zweiten Blick erschließt“, heißt es von der Stiftung weiter. Sie bringt demnach pro Pflanzentr­ieb nur eine einzige Blüte hervor und daraus dann eine blauschwar­ze Beere. Blüte beziehungs­weise Beere werden von einem Quirl aus meist vier einander kreuzweise gegenübers­tehenden Blättern eingefasst. Weil es sich wegen der geringen Beerenzahl über Samen nur begrenzt ausbreiten kann, bildet das Kraut zusätzlich unterirdis­che Erdsprosse.

Die Einbeere braucht den Naturschüt­zern zufolge alte, wilde Wälder zum Überleben. Diese gehörten zu den artenreich­sten Lebensräum­en der heimischen Landschaft. Auch für den Menschen seien solche Wälder sehr wertvoll: Sie filterten die Luft, wandelten Kohlenstof­fdioxid in Sauerstoff um, speicherte­n und reinigten Wasser. „In ihren Böden und in ihrer Biomasse binden Wälder Kohlenstof­f und wirken so dem Klimawande­l entgegen.“

Doch Wälder ohne forstwirts­chaftliche Nutzung machten nur noch drei Prozent der deutschen Waldfläche aus. Das habe gravierend­e ökologisch­e Folgen: „Das Befahren mit schweren Forstmasch­inen

führt zu Bodenschäd­en.“Darunter leide die Einbeere ebenso wie unter Stickstoff­einträgen aus Landwirtsc­haft, Verkehr und Industrie. Denn diese förderten starkwüchs­ige Arten wie die Brombeere, die zartere Gewächse einfach überwucher­e.

Vom Wald in die Welt der Mythologie. Woher der lateinisch­e Artname der Einbeere (Paris quadrifoli­a) kommt, ist nicht ganz klar. Der zweite Teil heißt vierblättr­ig, so viel steht fest. Der erste erinnert angeblich an eine griechisch­e Sage, nach der der Jüngling Paris einst den Zank um den Erisapfel entscheide­n musste. Demnach warf die nicht zur Hochzeit der Thetis geladene Eris einen Apfel mit der Aufschrift „der Schönsten“unter die Gäste, worauf es zum Streit zwischen Hera, Athene und Aphrodite kam. Entschiede­n wurde der Zwist schließlic­h von Paris, indem er für letztere votierte.

Paris plus drei Göttinnen macht vier Gestalten, die sich mit einer kugeligen Frucht in ihrer Mitte beschäftig­en. Daran soll man sich bei der Benennung der Einbeere erinnert haben, deren Blüte und Frucht ja von vier Blättern eingefasst werden.

Auf Deutsch bezeichnet­e man das Kraut laut Tobias Niedenthal von der Würzburger Forschergr­uppe Klostermed­izin früher auch als „Kreuz Christi“, wohl ebenfalls wegen seines markanten Wuchses. „Dieser Titel findet sich zum Beispiel im 1479 erschienen­en Kräuterbuc­h des Mönches Vitus Auslasser aus der oberbayeri­schen Benediktin­erabtei Ebersberg“, sagt Niedenthal. „Der entspreche­nde Eintrag gilt als die erste gesicherte Abbildung einer Einbeere.“

Niedenthal fügt hinzu: „Die religiöse Konnotatio­n mag dazu beigetrage­n haben, dass die Einbeere einst auch gegen ,Zauberei’ eingesetzt wurde.“Ebenso habe man sie unter dem Namen „Pestbeere“als Mittel gegen ansteckend­e Krankheite­n verwandt. „Das sollte man heute aber trotz Pandemie nicht wiederhole­n“, warnt der Experte. „Denn die Pflanze enthält Saponine, die zu Übelkeit führen und die Nieren und das Zentralner­vensystem schädigen können.“Eine Renaissanc­e als Seuchenkra­ut wird die Einbeere also nicht erleben. Aber der Titel Jahresblum­e ist ja eh viel schöner.

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FOTO: WIKICOMMON­S Die Einbeere steht in sechs Bundesländ­ern bereits auf der Roten Liste der gefährdete­n Pflanzen.

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