Waldkraut mit großer Wirkung
Vierblättrige Einbeere zur „Pflanze des Jahres“gewählt – Einst hieß sie „Kreuz Christi“
(KNA) Endlich steht sie mal im Mittelpunkt: Normalerweise ist die Vierblättrige Einbeere nämlich immer ganz hinten zu finden, in PflanzenBestimmungsbüchern jedenfalls. Denn diese sind meist nach Blütenfarben sortiert, und dabei landet die Einbeere dann in der „Ferner liefen“Kategorie „Grün/Braun“, die den Unscheinbaren unter den Gewächsen gewidmet ist. Nun aber rückt die Art in den Fokus: Die Hamburger Loki-Schmidt-Stiftung hat sie am Donnerstag zur Blume des Jahres 2022 erkoren.
Die Stiftung ruft damit „zum Schutz dieser Pflanzenart und ihres artenreichen Lebensraumes, der alten, wilden und naturnahen Wälder, auf“. Die Einbeere komme in Deutschland zwar noch häufig vor, aber in sechs Bundesländern stehe sie bereits auf der Roten Liste der gefährdeten Pflanzen.
„Die Einbeere ist eine sehr eigentümliche Pflanze, deren Schönheit sich manchen vielleicht erst auf den zweiten Blick erschließt“, heißt es von der Stiftung weiter. Sie bringt demnach pro Pflanzentrieb nur eine einzige Blüte hervor und daraus dann eine blauschwarze Beere. Blüte beziehungsweise Beere werden von einem Quirl aus meist vier einander kreuzweise gegenüberstehenden Blättern eingefasst. Weil es sich wegen der geringen Beerenzahl über Samen nur begrenzt ausbreiten kann, bildet das Kraut zusätzlich unterirdische Erdsprosse.
Die Einbeere braucht den Naturschützern zufolge alte, wilde Wälder zum Überleben. Diese gehörten zu den artenreichsten Lebensräumen der heimischen Landschaft. Auch für den Menschen seien solche Wälder sehr wertvoll: Sie filterten die Luft, wandelten Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff um, speicherten und reinigten Wasser. „In ihren Böden und in ihrer Biomasse binden Wälder Kohlenstoff und wirken so dem Klimawandel entgegen.“
Doch Wälder ohne forstwirtschaftliche Nutzung machten nur noch drei Prozent der deutschen Waldfläche aus. Das habe gravierende ökologische Folgen: „Das Befahren mit schweren Forstmaschinen
führt zu Bodenschäden.“Darunter leide die Einbeere ebenso wie unter Stickstoffeinträgen aus Landwirtschaft, Verkehr und Industrie. Denn diese förderten starkwüchsige Arten wie die Brombeere, die zartere Gewächse einfach überwuchere.
Vom Wald in die Welt der Mythologie. Woher der lateinische Artname der Einbeere (Paris quadrifolia) kommt, ist nicht ganz klar. Der zweite Teil heißt vierblättrig, so viel steht fest. Der erste erinnert angeblich an eine griechische Sage, nach der der Jüngling Paris einst den Zank um den Erisapfel entscheiden musste. Demnach warf die nicht zur Hochzeit der Thetis geladene Eris einen Apfel mit der Aufschrift „der Schönsten“unter die Gäste, worauf es zum Streit zwischen Hera, Athene und Aphrodite kam. Entschieden wurde der Zwist schließlich von Paris, indem er für letztere votierte.
Paris plus drei Göttinnen macht vier Gestalten, die sich mit einer kugeligen Frucht in ihrer Mitte beschäftigen. Daran soll man sich bei der Benennung der Einbeere erinnert haben, deren Blüte und Frucht ja von vier Blättern eingefasst werden.
Auf Deutsch bezeichnete man das Kraut laut Tobias Niedenthal von der Würzburger Forschergruppe Klostermedizin früher auch als „Kreuz Christi“, wohl ebenfalls wegen seines markanten Wuchses. „Dieser Titel findet sich zum Beispiel im 1479 erschienenen Kräuterbuch des Mönches Vitus Auslasser aus der oberbayerischen Benediktinerabtei Ebersberg“, sagt Niedenthal. „Der entsprechende Eintrag gilt als die erste gesicherte Abbildung einer Einbeere.“
Niedenthal fügt hinzu: „Die religiöse Konnotation mag dazu beigetragen haben, dass die Einbeere einst auch gegen ,Zauberei’ eingesetzt wurde.“Ebenso habe man sie unter dem Namen „Pestbeere“als Mittel gegen ansteckende Krankheiten verwandt. „Das sollte man heute aber trotz Pandemie nicht wiederholen“, warnt der Experte. „Denn die Pflanze enthält Saponine, die zu Übelkeit führen und die Nieren und das Zentralnervensystem schädigen können.“Eine Renaissance als Seuchenkraut wird die Einbeere also nicht erleben. Aber der Titel Jahresblume ist ja eh viel schöner.