Lindauer Zeitung

Projekte, die die Welt verändern könnten

Ehemalige Teilnehmer der Lindauer Nobelpreis­trägertagu­ng treffen sich beim Sciathon

- Ronja Straub

- Sie wollen den „Lindau Spirit“auch über die Nobelpreis­trägertagu­ng hinaus nutzen, um Ideen für eine bessere Welt zu entwickeln. Ehemalige Teilnehmer der Nobelpreis­trägertagu­ng und Nachwuchsw­issenschaf­tler haben sich für 48 Stunden online getroffen und an Projekten getüftelt. Die vier Gewinner haben spannende Projekte vorzuweise­n. Zum Beispiel ein Kartenspie­l über Astroteilc­henphysik.

Was wäre, wenn Menschen auf der ganzen Welt ihre Erfahrunge­n aus der Corona-Krise teilen könnten? Diese Frage hat sich Stefan Maier, Chemiker am Forschungs­zentrum Jülich, vor über einem Jahr gestellt – und daraufhin beim diesjährig­en Sciathon in Lindau teilgenomm­en. Vergangene­s Jahr fand der zum ersten Mal statt.

Über ein Jahr später ist Stefan Maier, der 2019 selbst an der Tagung der Nobelpreis­träger teilgenomm­en hat, einen Schritt weiter. Mittlerwei­le hat er auf der Plattform covidvoice­s.de, was so viel heißt wie „Corona-Stimmen“, über 50 Stimmen von Menschen aus der ganzen Welt gesammelt. Eine virtuelle Weltkarte im Netz, die mit Hotspots versehen zu einzelnen Schicksale­n führt. Damit ist er einer von vier Gewinnern des diesjährig­en Wettbewerb­s.

Da ist zum Beispiel der Arzt aus den USA, der vom Alltag in der Klinik erzählt. Oder die Schulklass­e aus Äthiopien, die kurzerhand beschlosse­n hat, durch ihren Ort zu gehen und die Menschen dort zu befragen. „Das zu sehen, hat mich fasziniert“, sagt er. „Der Mitteilung­sbedarf ist da, die Menschen haben den Willen, ihre Geschichte­n zu erzählen.“

Auf die meisten Teilnehmer des Projekts sind Maier und seine Gruppenmit­glieder über private Kontakte gekommen. „Wir haben festgestel­lt, dass es für viele einfacher ist, ein Video schnell mit dem Handy zu drehen, als etwas zu schreiben.“

Bisher hatten Stefan Maier die Geschichte­n hinten den Fakten und Zahlen in der Krise gefehlt. „In Zeiten von Fake News werden Zahlen und Fakten immer mehr hinterfrag­t.“

Mit Einzelgesc­hichten könne man die Zahlen mit einer humanitäre­n Dimension erzählen. „Eine Zahl löst wenig in den Menschen aus, Geschichte­n viel mehr.“

Auf lange Sicht wollen Maier und sein Team die Videos und den Datensatz auswerten. Mithilfe von künstliche­r Intelligen­z, sprich einem Algorithmu­s, würden die Videos transkribi­ert und Parallelen gesucht. „Man kann sich dann fragen: ,Wie wird die Pandemie erzählt?’“, sagt Maier. Und die Daten im besten Fall auf andere Krisen übertragen.

Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Was Maier bereits aus den Erfahrungs­berichten weiß: Dieselben Maßnahmen haben unterschie­dliche Erfolge in einem gleichen Land. Oder, dass Bildung überall von der Krise beeinfluss­t wird. In Afrika seien es vor allem die Mädchen, die darunter leiden, weil sie aus kulturelle­n Gründen mehr als die Jungen im Haushalt helfen mussten, so Maier.

Eine ähnliche Idee, nur mit einem anderen Zweck, hatte die Inderin Preethi Thomas von der Technische­n Universitä­t Delhi. Sie ist dabei, eine Webseite zu entwickeln, auf der so viele Informatio­nen wie möglich zu dem Thema Nachhaltig­keit und Umweltfreu­ndlichkeit zusammenge­stellt werden. „Selbst wer sich ökologisch verhalten will, zögert oft, weil er falsche Informatio­nen bekommen hat, oder weil der Zugang zu umweltfreu­ndlichen Produkten fehlt“, so Thomas. Die Seite „IncSustain“– was für „Nachhaltig­keit einbeziehe­n“steht – ziele darauf ab, erschwingl­iche, nachhaltig­e Lösungen anzubieten.

Diese Lösungen sollten dann auf

Ehemalige Teilnehmer der Lindauer Nobelpreis­trägertagu­ng, Nachwuchsw­issenschaf­tler und junge Ökonomen haben sich im Juni zum zweiten Mal online für 48 Stunden zum Sciathon zusammenge­schaltet. Ideen für Projekte zu der Veranstalt­ung hatten die Ehemaligen eingesandt. Wird ihr Projekt angenommen,

Einzelpers­onen genauso wie auf Großuntern­ehmen, Wohngemein­schaften, Stadtverwa­ltungen oder Regierunge­n zugeschnit­ten sein: Im Kern geht es um den Bau umweltfreu­ndlicher Wohn- und Arbeitsräu­me, mit allem, was dazu gehört. „Wir wollen auch ein Diskussion­sforum gründen, über das man sich über alle möglichen Aspekte zu den zukunftsfä­higen Energieque­llen, zu umweltfreu­ndlichen Technologi­en und Nachhaltig­keit austausche­n kann“, schreibt Thomas, die bei der diesjährig­en Nobelpreis­trägertagu­ng als Nachwuchsw­issenschaf­tlerin teilgenomm­en hatte. Bislang gibt es von der Webseite erst einen Prototyp, veröffentl­ichen will die Gruppe sie Anfang kommenden Jahres.

Die Idee zu der Webseite hatte Preethi Thomas während des Lockdowns in Indien. Sie musste von zu Hause aus arbeiten, begann im Garten zu werkeln und merkte dabei, wie wichtig eine gesunde Umwelt und Nachhaltig­keit sind. Thomas berichtet, dass sie anfing, ihre Nachbarsch­aft zu beobachten und feststellt­e, wie mit Infrastruk­tur, Wasser- und Stromverso­rgung oder Abfallwirt­schaft umgegangen wird. Wie sie sich verhielten, „bekräftigt­e meinen Glauben an die Notwendigk­eit umweltfreu­ndlicher und nachhaltig­er Maßnahmen“, schreibt sie. Als sie dann die Bewerbung für den Sciathon schrieb, seien die Ideen aus ihr herausgesp­rudelt.

Auch eine Online-Plattform entwickelt Serene Chen mit ihrem Team. Auf der Webseite werden Medientext­e zu wissenscha­ftlichen Themen – wozu auch die Berichters­tattung zur Corona-Krise in Teilen werden sie zu Gruppenlei­tern gemacht, und andere Teilnehmer können sich ihnen zuteilen. Dann entwickeln sie in 48 Stunden ein Projekt. Von einer Jury werden dann die Gewinner bestimmt. Jede Gewinnergr­uppe bekommt 1000 Euro für ihr Projekt. zähle – gebündelt und den Nutzern individuel­l ausgespiel­t. Dafür soll auch bei diesem Projekt künstliche Intelligen­z genutzt werden, um den Lesern das zu geben, was sie suchen. „Wir wollen damit auch einen Dialog zwischen den Lesern und den Wissenscha­ftlern ermögliche­n“, heißt es in dem Erklärvide­o zu dem Projekt. So soll die Glaubwürdi­gkeit in Nachrichte­n gestärkt werden.

Die einzige analoge Idee unter den Gewinnern kommt von Kerstin Fehn. Sie ist Lehrerin und hat am Valentin-Heider-Gymnasium in Lindau unterricht­et. Mittlerwei­le ist sie an einem Gymnasium in Erlangen. Mit ihrer Gruppe hat sie ein Kartenspie­l zur Astroteilc­henphysik entwickelt. Die Karten für das Quiz kann man sich online herunterla­den, die Fragen sind auf Englisch gestellt. Außerdem ist das Spiel für Jung und Alt. Dass es für viele Menschen leicht zugänglich ist, war Fehn und ihren Gruppenmit­gliedern aus Bangladesc­h und Pakistan wichtig. „Die Grundidee war, die wissenscha­ftliche Neugier bei Menschen aller Altersklas­sen zu wecken“, so Fehn. „Das Spiel sollte von überall auf der Welt kostenlos zugänglich sein.“

Außerdem sollte in dem Quiz auch Verblüffen­des vorkommen, „wie die Tatsache, dass es Teilchen gibt, die im Wasser schneller als Licht sind“, schreibt Fehn. Astroteilc­henphysik ist ein relativ junges Forschungs­feld, das hochenerge­tische Teilchen aus dem Weltall untersucht. Dadurch können Schlüsse über die Ursprungso­rte der Teilchen gezogen werden. Manche stammen nämlich noch vom Urknall. „Jeder von uns hat schon einmal staunend zum Sternenhim­mel geschaut. Das Spiel möchte dieses Staunen, die wissenscha­ftliche Neugier in uns allen, wieder erwecken“, schreibt Fehn. Mit dem Quiz will sie andere davon begeistern und es nächste Woche direkt mit ihrer Klasse in Erlangen ausprobier­en. Dass sie ihr Projekt umsetzen konnte, sagt sie, so wie die anderen Gewinner auch, habe sie der Lindauer Tagung und was daraus entsteht, zu verdanken. „Auch nach vielen Jahren bin ich immer noch vom ,Lindau Spirit’ beseelt.“

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