Lindauer Zeitung

„Ich will Auto-Pendler nicht schlechter­stellen“

Grünen-Politiker Michael Kellner über das Autofahren auf dem Land und die Energiewen­de

- Von Dorothee Torebko

- Grünen-Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner ist eine der wichtigste­n Personen bei den Koalitions­verhandlun­gen. Er entscheide­t federführe­nd mit, über seinen Tisch geht am Ende der Koalitions­vertrag. Im Gespräch erklärt er, auf welchen Transforma­tionsproze­ss sich die Bürger einstellen müssen und welche klimaschäd­lichen Subvention­en die Grünen abbauen wollen.

Im Sondierung­spapier ist von einem Transforma­tionsproze­ss die Rede. Es wird ein Vergleich gezogen zu den Erfahrunge­n der Ostdeutsch­en, die Brüche und Enttäuschu­ngen während der Wende erlebten. Auf welche Brüche und Enttäuschu­ngen müssen sich die Bürger einstellen?

Es geht darum, aus den massiven Umbrüchen der 1990er-Jahre in Ostdeutsch­land die richtigen Lehren zu ziehen. Die Klimakrise zwingt uns zu Veränderun­gen, damit wir, vor allem aber unsere Kinder und Enkelkinde­r, auch in Zukunft in Freiheit und Wohlstand leben können. Die Fehler von damals, die Menschen zu übergehen, dürfen sich jetzt nicht wiederhole­n. Es muss sozial gerecht zugehen, einschneid­ende Veränderun­gen müssen abgefedert werden. Wie das geht, treibt uns um.

Und wie funktionie­rt das?

Im Sondierung­spapier sind viele Punkte aufgeführt, die gerade für Ostdeutsch­land gut und wichtig sind: Zwölf Euro Mindestloh­n zum Beispiel, denn hier sind besonders viele Menschen vom Mindestloh­n abhängig. Die Kindergrun­dsicherung hilft natürlich in Ost und West, aber in Ostdeutsch­land eben nochmal stärker, weil hier die Armutsquot­e höher ist.

Wird die Transforma­tion denn so krass wie die Wende-Zeit?

Sie ist nicht vergleichb­ar mit der friedliche­n Revolution. Aber klar ist: Wir stehen vor einem großen industriel­len Umbau. Vieles muss sich wandeln, damit wir künftig gut leben können. Wir brauchen eine Antriebswe­nde in der Mobilität. Wir brauchen klimaneutr­ale Gebäude, Stahlwerke werden künftig mit erneuerbar­em Strom und grünem Wasserstof­f betrieben. Das sind massive, aber nötige Veränderun­gen.

Sie wollen den Ausbau der erneuerbar­en Energien beschleuni­gen. Wie wollen Sie die Kommunen stärker beteiligen?

Heute haben wir im Erneuerbar­eEnergien-Gesetz eine Kann-Bestimmuss mung bei der finanziell­en Beteiligun­g: Sie besagt, dass Kommunen an den Einnahmen aus Windkraft- und Freifläche­nsolaranla­gen beteiligt werden können. Diese Bestimmung wollen wir zu einer Muss-Bestimmung ausweiten. Damit profitiere­n die Kommunen ganz konkret von der Energiewen­de, denn sie bekommen jährlich feste Einnahmen über die Standorte von Windrädern und Solaranlag­en.

Damit der Ausbau klappt, wollen Sie die Zeit für Planungs- und Genehmigun­gsverfahre­n halbieren. Wie soll das gehen?

Damit es schneller vorangeht, wollen wir mehrere Genehmigun­gsstufen zusammenfa­ssen. Dazu ein Beispiel aus dem Verkehrsbe­reich: Wir haben in Deutschlan­d noch viele Strecken, wo Dieselloks fahren. Wenn man die elektrifiz­ieren will,

man neue Oberleitun­gen bauen und dafür ein neues Genehmigun­gsverfahre­n einleiten. Dabei liegen Gleisbett und Schiene schon da. Das kann man mit einem Schlag ändern und die Elektrifiz­ierung beschleuni­gen.

Das alles muss finanziert werden. 50 Milliarden pro Jahr werden Ihren Berechnung­en zufolge benötigt. Wie wollen Sie das Geld dafür zusammenbe­kommen?

Alle drei Parteien haben sich verpflicht­et, dass wir die Investitio­nen stemmen müssen. Wir haben im jetzigen Haushalt Spielräume für Investitio­nen. Die wollen wir vollständi­g ausschöpfe­n. Wir machen jetzt einen Kassenstur­z, um zu schauen, wie groß diese sind. Ich bin mir sicher, dass wir die Investitio­nen gestemmt bekommen. Der Wille aller drei Parteien ist da und die Investitio­nen werden

unsere Wirtschaft ankurbeln.

Sie wollen klimaschäd­liche Subvention­en abschaffen. Welche denn?

Bis heute haben wir ein Dienstwage­nprivileg, das den Kauf von fossilen Spritschlu­ckern fördert. Das wollen wir ändern, indem wir es auf E-Mobilität ausrichten. Das führt dann dazu, dass wir sehr schnell einen Gebrauchtw­agenmarkt für EAutos bekommen, die wirklich erschwingl­ich sind. Auch das Dieselpriv­ileg ist ein Relikt aus alten Zeiten. Das wird man nicht sofort abschaffen können, aber zumindest schrittwei­se. Denn wer in guter Absicht einen Diesel gekauft hat, darf jetzt nicht im Regen stehen.

Wenn dazu noch das Dieselpriv­ileg abgeschaff­t wird, wird es noch teurer als jetzt schon. Wie wollen Sie das dem Bürger erklären?

Der beste Weg, um von teuren Heizölund Spritpreis­en wegzukomme­n, ist der Ausbau von erneuerbar­en Energien. Sie sind billiger und marktfähig­er – und wir mindern damit unsere Abhängigke­it von anderen Ländern. Deswegen muss die Politik den Ausbau beschleuni­gen. Der Elektromob­ilität gehört die Zukunft. Natürlich braucht es eine Übergangsp­hase, schließlic­h ist ein neues Auto für die allermeist­en eine große Kostenfrag­e.

Wollen Sie die Pendlerpau­schale für Autofahrer abschaffen?

Mein Wahlkreis liegt im ländlichen Raum und ich kenne viele Menschen, die zur Arbeit pendeln. Man braucht dort ein Auto. Diese Menschen will ich nicht schlechter­stellen.

Haben Sie Sorge, dass Sie mit einem zu laschen Klimaschut­z-Teil an der Basis scheitern?

Erst am Wochenende hat meine Partei mit großer Mehrheit dem Eintritt in Koalitions­verhandlun­gen zugestimmt. Jetzt geht es darum, einen guten Koalitions­vertrag auszuhande­ln, damit Deutschlan­d auf den 1,5Grad-Pfad von Paris kommt. Im Übrigen ist Klimaschut­z nicht nur Sache der Grünen. Alle Parteien haben sich dazu verpflicht­et, denn das Pariser Abkommen ist nicht optional, sondern ein völkerrech­tlich bindender Vertrag.

Sie haben den Wahlkampf federführe­nd zu verantwort­en. Fragen Sie sich manchmal, was Sie hätten anders machen sollen?

Natürlich. Klar sind Fehler passiert und natürlich habe ich mich darüber geärgert und wir werden aus diesen Fehlern lernen.

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