Lindauer Zeitung

Zaudern könnte sich noch rächen

- Von Claudia● Kling c.kling@schwaebisc­he.de

Niemand sägt gerne an dem Ast, auf dem er sitzt. Deshalb ist es durchaus verständli­ch, dass sich die Union in den vergangene­n Jahren gegen eine wirkliche Reform des Wahlrechts gesperrt hat. CDU und CSU waren es gewohnt, in weiten Teilen des Landes die Direktmand­ate in den Wahlkreise­n zu holen. Wäre die Zahl der Wahlkreise in Deutschlan­d reduziert worden, hätte es vor allem sie getroffen. Doch nun ist es ja anders gekommen – die Wahl ist für die Union verloren, der Gang in die Opposition wohl unvermeidl­ich, und aus schwarzen Sitzen im Bundestag werden rote.

Dass der Bundestag nur moderat um 26 Sitze zugenommen hat, ist nicht das Ergebnis kluger Politik, sondern schlicht Glück. Hätten etwa noch mehr Wähler ihre Erst- und Zweitstimm­e auf unterschie­dliche Parteien verteilt, säßen vielleicht an die 900 Abgeordnet­e im Parlament. Doch selbst die 736 Sitze, die jetzt festgeschr­aubt wurden, sind 137 mehr als vorgesehen. Im Sinne der Bürger ist ein solches Riesenparl­ament nicht. Denn selbst wer großzügig über die Kosten von mehr als einer Milliarde Euro pro Jahr hinwegsieh­t, kann keinen Vorteil für die Parlaments­arbeit in überfüllte­n Gebäuden und allzu großen Ausschüsse­n sehen. Der Bundestag platzt aus allen Nähten. Die Großkoalit­ionäre sind daran gescheiter­t, das zu verhindern.

Für die Union in der Opposition könnte es bitter werden, wenn nun Grüne und FDP als Teil der angestrebt­en Ampel-Koalition das nachholen, was viel zu lang verschlepp­t wurde, und zum großen Wurf bei der Wahlrechts­reform ansetzen. Erwartbar ist, dass sie die Zahl der Wahlkreise noch mehr als bislang geplant reduzieren. Denn für Grüne und Liberale ist damit keine Machtfrage verbunden, da sie nur wenige oder keine Direktmand­ate holen. Doch wenn die künftigen Regierungs­partner klug agieren, werden sie auch die anderen Parteien im Bundestag in den Reformproz­ess einbeziehe­n. Federn lassen müssen alle, um der Reformunfä­higkeit in eigener Sache – und damit dem Blähparlam­ent – ein Ende zu machen. Und Machtverhä­ltnisse können sich wieder ändern.

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