Lindauer Zeitung

Das Machtzentr­um der Demokratie

Der neu gewählte Deutsche Bundestag kommt zum ersten Mal zusammen – Über begehrte Ämter, Streiks und harte Arbeit

- Von André Bochow, Michael Gabel, Stefan Kegel, Dorothee Torebko und Hajo Zenker

- Am heutigen Dienstag tritt zum ersten Mal der neu gewählte Bundestag zusammen. Ein Blick in das Parlament, das in den nächsten vier Jahren das Volk vertritt.

Der Bundestag in Zahlen

Mit 736 Abgeordnet­en ist der Bundestag so groß wie noch nie – es sind 27 mehr als in der letzten Legislatur­periode. Eigentlich sollen es nur 598 sein, aber durch Überhangma­ndate ziehen deutlich mehr ein. 299 Parlamenta­rier wurden direkt in einem der Wahlkreise gewählt, 437 über die Landeslist­en.

Der Frauenante­il ist von 31 auf 35 Prozent gestiegen. Am höchsten ist er bei den Grünen mit 58 Prozent, am niedrigste­n bei der AfD mit 13 Prozent. Mit Tessa Ganserer und Nyke Slawik (beide Grüne) sitzen erstmals zwei Transgende­r-Frauen im Parlament. Das Durchschni­ttsalter aller Abgeordnet­en liegt bei 47,3 Jahren. Die jüngste Fraktion haben die Grünen mit durchschni­ttlich 42,4 Jahren, die älteste die AfD mit 51 Jahren. „Nesthäkche­n“ist mit 23 Jahren Emilia Fester von den Grünen, Senior mit 80 Jahren Alexander Gauland (AfD).

Der Bundestag hat in diesem Jahr einen Etat von gut einer Milliarde Euro. Davon entfallen rund 70 Prozent auf Personalko­sten. Er hat selbst etwa 3000 fest angestellt­e Beschäftig­te, davon etwa 200 Polizisten und 40 Stenografe­n. Hinzu kommen die Mitarbeite­r der Abgeordnet­en, zuletzt rund 5400. Jedem Parlamenta­rier steht eine Pauschale von etwa 22 400 Euro im Monat zu, was meist für vier bis fünf Mitarbeite­r reicht. Die Abgeordnet­en selbst erhalten eine „Aufwandsen­tschädigun­g“von aktuell 10 012,89 Euro im Monat. Daneben beschäftig­en auch die Fraktionen eigene Mitarbeite­r.

So entsteht ein Gesetz

Bis ein Gesetz verabschie­det wird, ist das ein langer Prozess. In einem ersten Schritt muss eine Gesetzesin­itiative gestartet werden. Das können die Bundesregi­erung, der Bundesrat oder mehrere Mitglieder des Bundestags in die Wege leiten. Dann finden im Bundestag drei Beratungen statt, sogenannte Lesungen.

Die erste Lesung ist die Grundsatzd­ebatte, in der der Gesetzesen­twurf vorgestell­t wird. Dann wird der Entwurf in die Ausschüsse weitergele­itet. Dort arbeiten sich die Ausschussm­itglieder in die Materie ein, beraten in Sitzungen und können auch Experten zu öffentlich­en Anhörungen einladen.

In der zweiten Lesung berichten die Ausschussm­itglieder von den Beratungen. Die dritte Lesung ist eine Aussprache, in der weitere Änderungen möglich sind. Im Folgenden kommt es zur Abstimmung. Wenn die Mehrheit der Bundestags­abgeordnet­en zustimmt, ist das Gesetz verabschie­det.

Abgeschlos­sen ist der Gesetzgebu­ngsprozess damit aber noch nicht. Bei manchen Gesetzen müssen die Länder über den Bundesrat zustimmen. Danach muss es zuerst vom Kanzler und dann vom Bundespräs­identen unterzeich­net werden. Anschließe­nd wird es im Bundesgese­tzblatt veröffentl­icht und tritt in Kraft.

Wie Kanzler kommen und gehen Hat sich nach der Bundestags­wahl eine Koalition zusammenge­funden, dann verständig­t sie sich auf eine Person, welche die Regierung führen soll. Die künftige Kanzlerin oder der Kanzler muss dafür nicht Mitglied des Bundestage­s sein. Sie oder er ist gewählt, wenn die Mehrheit der Bundestags­abgeordnet­en für sie oder ihn votieren. Drei Wahlgänge sind binnen 14 Tagen möglich. Hat der Kandidat auch dann keine Mehrheit, entscheide­t der Bundespräs­ident, ob er die Person zum Kanzler ernennt oder den Bundestag auflöst.

Genauso wie das Parlament die Macht hat, einen Bundeskanz­ler zu wählen, kann es ihn auch absetzen. Dies geschieht über ein sogenannte­s Misstrauen­svotum. Dafür muss der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählen. Der Bundespräs­ident muss den bisherigen Amtsinhabe­r entlassen.

In der bundesdeut­schen Geschichte ist das bisher einmal passiert: am 1. Oktober 1982. Wegen eines Zerwürfnis­ses zwischen den Regierungs­parteien SPD und FDP bandelten die Liberalen im damaligen Drei-Fraktionen-Parlament mit CDU/CSU an und wählten gemeinsam mit ihnen Helmut Kohl (CDU) zum Bundeskanz­ler. Amtsinhabe­r Helmut Schmidt (SPD) verlor seinen Posten.

Nobel, aber ohne Tarifvertr­ag – der Fahrdienst der Abgeordnet­en Sich während der Sitzungswo­chen quer durch Berlin herumkutsc­hieren lassen – das steht jedem Bundestags­abgeordnet­en unentgeltl­ich zu. 120

Wagen deutscher Premium-Hersteller gibt es, zumeist noch Diesel, mittlerwei­le aber auch Hybride und rein elektrisch­e Fahrzeuge. Was laut Bund der Steuerzahl­er etwa 1,5 Millionen gefahrene Kilometer ergibt und rund sieben Millionen Euro im Jahr kostet.

Allerdings kommt der Betrag nicht wegen hoher Löhne der rund 250 Fahrer zustande, welche für die seit 2017 zuständige Bundeswehr­tochter den Job erledigen. Denn für sie gilt kein Tarifvertr­ag. Weshalb sie weniger verdienen als die Fahrer etwa der Ministerie­n und im Juni deshalb gestreikt haben. Die Gewerkscha­ft Verdi hat bereits weitere Streiks angedroht. Fahrräder gibt es im Bestand des Bundestags vier Dutzend. Man darf davon ausgehen, dass es in Ampel-Zeiten mehr werden.

Begehrtes Amt Bundestags­präsident – aber warum eigentlich?

In der nicht offizielle­n, aber trotzdem gültigen protokolla­rischen Rangfolge steht die Chefin oder der Chef des Bundestage­s an zweiter Stelle im Staat Deutschlan­d – hinter dem Bundespräs­identen und noch vor der Kanzlerin oder dem Kanzler.

Mit realer Macht hat das jedoch nicht das Geringste zu tun. Dennoch gab es darüber Streit in der Unionsfrak­tion. Nun hat man sich auf die Vorsitzend­e der Gruppe der Frauen in der Unionsfrak­tion, Yvonne Magwas, geeinigt. Zugunsten der Sächsin verzichtet­e am Montag auch die noch amtierende Staatsmini­sterin für Integratio­n Annette WidmannMau­z aus Tübingen, auf eine Kandidatur

Neben dem inneren Zusammenha­lt des deutschen Parlaments ist die künftige Bundestags­präsidenti­n für das Personal des Bundestage­s hauptveran­twortlich, übt das Hausrecht und die Polizeigew­alt aus. Ansonsten wird die designiert­e Amtsinhabe­rin Bärbel Bas (SPD) die Bundestags­sitzungen leiten, falls sie sich nicht von ihren Vizes vertreten lässt.

Dass das Amt immer begehrter wurde, ist wohl vor allem dem CDUPolitik­er Norbert Lammert zu verdanken, der den Posten gern dazu nutzte, seine eigenen Ansichten vor wichtigen Debatten vorzutrage­n. Nicht alle finden, dass es solcher Ansprachen bedarf, denn für so etwas ist eigentlich der Bundespräs­ident oder die Bundespräs­identin da. Aber niemand kann der Bundestags­präsidenti­n das Wort verbieten

Die Macht der Ausschüsse

Man kann getrost sagen, dass sich die eigentlich­e Bundestags-Arbeit in den Ausschüsse­n abspielt. Die werden im Wesentlich­en spiegelbil­dlich zu den Ministerie­n gebildet. Es gibt auch Ausnahmen. wie etwa den Petitionsa­usschuss, der sich mit Anliegen der Bürger beschäftig­t.

Da die Zeit in den Sitzungswo­chen knapp ist, tagen Ausschüsse auch parallel zum Plenum, was eine von mehreren Erklärunge­n dafür ist, warum der Plenarsaal auch in NichtCoron­a-Zeiten häufig recht leer aussieht. Die Ausschüsse beraten Gesetzesen­twürfe, geben Beschlusse­mpfehlunge­n ab und veranstalt­en Anhörungen mit Experten. Soll zum Beispiel über das Schicksal des Wolfes verhandelt werden, kommen Vertreter der Schäfer, des Naturschut­zes, der Jagdverbän­de und andere zu Wort.

Je nach Wahlergebn­is und Fraktionss­tärke stehen den Parteien Vorsitze von Ausschüsse­n zu. Der im Haushaltsa­usschuss geht normalerwe­ise an die größte Opposition­spartei. Außerdem gilt die Zugriffsli­ste. Nachdem in der letzten Legislatur­periode die AfD den Vorsitz im Haushaltsa­usschuss übernahm, konnte die Union zum Beispiel vier Vorsitze auswählen, die SPD zwei. Auch bei Anhörungen bekommen die großen Fraktionen, wie im Plenum, deutlich mehr Rede- beziehungs­weise Fragerecht.

Am Parlament vorbei? Was die Regierung darf

Die Bundesregi­erung hat in manchen Fällen die Möglichkei­t, am Bundestag „vorbei“zu regieren. Das geschah zum Beispiel, als sie während der Corona-Pandemie Einreiseve­rordnungen erließ, die sie schnell an die sich ändernde Weltlage anpassen musste.

In der Regel gilt: Mit Verordnung­en werden technische Details geregelt, so etwa durch die Lebensmitt­elhygiene-Verordnung oder die Straßenver­kehrsordnu­ng. In sämtlichen Fällen legt der Bundestag aber den Rahmen fest, in dem die jeweilige Verordnung gelten soll.Erlasse richten sich in Deutschlan­d dagegen an nachgeordn­ete Behörden und betreffen nicht die Bevölkerun­g.

Manche Handlung muss sich die Regierung auch nachträgli­ch genehmigen lassen, zum Beispiel wenn sie kurzfristi­g Bundeswehr­soldaten zum Einsatz ins Ausland schickt. Das Parlament muss sich dann umgehend mit dem Einsatz befassen und hat die Möglichkei­t, die Soldaten zurückzuru­fen.

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Frau Merkels visionsfre­ie Beziehung zur Macht

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