Corona-Zahlen steigen und steigen
Kabinett berät mit den Landräten aus den Hotspots in Bayern – doch ohne Folgen
(dpa) - Die Lage hat sich in Wahrheit keineswegs verbessert – im Gegenteil: Seit Tagen explodieren die Inzidenzzahlen, besonders in Südbayern. Landkreise wie Mühldorf am Inn oder Berchtesgadener Land sind unrühmliche Corona-Spitzenreiter in Deutschland. Unter den weitgehend ungeimpften, aber regelmäßig getesteten Schulkindern stieg die Sieben-Tage-Inzidenz im Freistaat zuletzt auf Rekordwerte. In einigen Gegenden werden bereits die Intensivbetten knapp. Die Situation bringt auch Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zunehmend in Erklärungsnot. Am Dienstag hat das Kabinett mit Landräten aus den heftigsten Corona-Hotspots über die Lage beraten – doch (noch) ohne konkrete Folgen. Die wichtigsten Fragen und Antworten:
Weshalb explodieren die Zahlen? Die Zahl der Corona-Neuinfektionen in Bayern ist zuletzt stark gestiegen. Binnen knapp zwei Wochen hat sich die Sieben-Tage-Inzidenz mehr als verdoppelt, am Dienstag lag sie laut Robert-Koch-Institut (RKI) bei 186,7 – nur in Thüringen und Sachsen sind die Werte noch höher als in Bayern. Ein Treiber der Inzidenz in Bayern sind die hohen Zahlen unter Kindern und Jugendlichen. Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) meldete am Dienstag die Inzidenzrekorde von 431 für die Altersgruppe sechs bis elf Jahre und 409 für die Gruppe 12 bis 15. Auch in Bayern spielt sich die Pandemie derzeit vor allem bei den Ungeimpften ab: Sie machen nur ein gutes Drittel der Bevölkerung aus, die Inzidenz bei ihnen war jüngst aber fast neunmal so hoch wie bei den Geimpften.
Die Krankenhaus-Ampel ist weiter auf Grün?
Die sogenannte Krankenhaus-Ampel steht dennoch weiter klar auf Grün: Der Schwellenwert für Gelb (1200 Klinikeinweisungen binnen einer Woche) wird mit 426 ebenso wenig erreicht wie der Wert für Rot: 352 Patienten liegen mit Corona auf Intensivstationen, der Schwellenwert liegt bei 600. Allerdings: Beide Werte steigen aktuell stark an. Zuletzt waren 1449 Krankenhausbetten mit Covid-19-Fällen belegt – 40 Prozent mehr als eine Woche zuvor. Viele fürchten, dass die Ampel in einigen
Wochen auf Gelb oder direkt auf Rot springen könnte, dann müsste die Staatsregierung handeln.
Warum steht Bayern im Vergleich so schlecht da?
Darauf gibt es, so die Staatsregierung, keine einfache Antwort. „Es gibt jetzt nicht die eine Erklärung“, sagt Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) nach der Kabinettssitzung und spricht von einer „Vielzahl von Einzelaspekten und Parametern“. Genannt werden immer wieder regional niedrige Impfquoten, teilweise auch die Grenznähe zu Österreich oder Tschechien. Fakt ist: Insgesamt sind in Bayern laut RKI „nur“64,1 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft – das ist der niedrigste Wert der „alten“Bundesländer. Bundesweit sind es 66,3 Prozent. Jedenfalls handle es sich eher um diffuse Ausbruchsgeschehen, sagt Herrmann, manchmal nach einer Party oder einer Hochzeit.
Und was sagen die Hotspot-Landkreise?
Auch dort gibt es keine einheitliche Antwort. Aus Miesbach heißt es: „,Schuld’ sind die Lockerungen. Es ist ja quasi alles wieder erlaubt, daher kommen die Menschen einfach mehr ,physisch’ zusammen.“In den Landkreisen Straubing-Bogen und im Berchtesgadener Land wird auf ein verstärktes Infektionsgeschehen in Schulen und Kitas verwiesen, in Berchtesgaden zudem auf Reiserückkehrer aus den Balkanstaaten zum Ende der Sommerferienzeit. Und auch im Landkreis Mühldorf am Inn, der Region mit der aktuell höchsten Inzidenz in Deutschland, sieht man eine Mischung: Lockerungen und Reiserückkehrer spielten etwa eine Rolle. Die Impfquote allein scheint dagegen nicht als Begründung für die hohen Zahlen in diesen Landkreisen zu taugen. Zwar gibt es unter ihnen auch solche mit Quoten weit unter dem bayerischen Durchschnitt – andere kommen dem Landesschnitt aber nahe oder übertreffen ihn sogar.
Wie reagiert die Staatsregierung? Zunächst einmal nicht, jedenfalls nicht mit einer Verschärfung irgendwelcher Maßnahmen. Die aktuelle Corona-Verordnung wird lediglich unverändert verlängert, bis zum 24. November – bis dahin fordert Bayern vom Bund eine tragfähige
Rechtsgrundlage, um weiterhin Corona-Maßnahmen beschließen zu können.
Welche Möglichkeiten gäbe es? Die Staatsregierung befindet sich in einer Zwickmühle: Einen neuen Lockdown will sie nicht, auch nicht für Menschen ohne Impfschutz, wie Staatskanzleichef Herrmann betont. Ausgangsbeschränkungen für Ungeimpfte seien kaum zu überwachen, erklärt er. Aber was dann? Tatsächlich gehen die Erwartungen in der Bevölkerung inzwischen weit auseinander: Die einen fordern ein Ende aller Maßnahmen, andere kritisieren zu schnelle Lockerungen der vergangenen Monate. Viel Spielraum hat die Staatsregierung auch gar nicht: Regeln wie 3G und 3G plus stärker überwachen? 2G ausweiten? Wieder bestimmte Personenobergrenzen etwa bei Veranstaltungen einführen? Die Impfquote weiter erhöhen? Aber was, wenn Menschen einfach nicht wollen? Am Wahrscheinlichsten scheint eine neuerliche Maskenpflicht für Schülerinnen und Schüler auch am Platz nach den Herbstferien. Doch auch dazu ist am Dienstag im Kabinett nichts Konkretes in Sicht.