Assange kämpft weiter gegen die Justiz
Berufungsverfahren in London – USA fordern Auslieferung des Wikileaks-Gründers
- „Freiheit für Julian Assange“, fordert der Chefredakteur der Enthüllungsplattform Wikileaks, Kristinn Hrafnsson. „Geben Sie das Auslieferungsverfahren auf“, appelliert Agnès Callamard, Generalsekretärin von Amnesty International (AI), an die Regierungen der USA und Großbritanniens. Eine Überstellung aus dem Londoner Gefängnis Belmarsh nach Amerika „würde Julian nicht überleben“, fürchtet seine Lebenspartnerin und Mutter zweier gemeinsamer Kinder, Stella Moris. Für Assanges Freilassung spricht sich auch eine der beiden Schwedinnen aus, deren Beschwerde über das Verhalten des Wikileaks-Gründers vor elf Jahren den Stein ins Rollen brachte.
Unbeirrt von derlei Appellen beginnt an diesem Mittwoch vor dem Londoner High Court die nächste Runde im Kampf des WikileaksGründers gegen die Justiz auf beiden Seiten des Atlantiks. Die mündliche Berufungsverhandlung ist auf zwei Tage anberaumt, die Entscheidung dürfte frühestens im Advent fallen.
Mit Verweis auf die harschen Haftbedingungen in US-Gefängnissen sowie auf Assanges fragilen körperlichen und psychischen Gesundheitszustand hatte das Bezirksgericht im Januar die Auslieferung verweigert: Die Sicherheit des depressiven und suizidgefährdeten Aktivisten sei jenseits des Atlantiks nicht gewährleistet. Dagegen legten Vertreter der damaligen Administration von Präsident Donald Trump sofort Berufung ein.
Am unerbittlichen Vorgehen gegen den 50-Jährigen hat auch der Regierungswechsel in Washington nichts geändert: Dort gilt Wikileaks als „feindseliger nichtstaatlicher Geheimdienst“. Weniger melodramatisch drückte es die Entscheidung des Bezirksgerichts aus: Assange sei über die normale, von der US-Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Tätigkeit eines investigativen Journalisten hinausgegangen: „Es geht hier nicht um das Recht auf freie Meinungsäußerung.“
Die Enthüllungsplattform hatte 2010 und 2011, teilweise in Zusammenarbeit mit renommierten Medien wie „New York Times“, „Guardian“und „Spiegel“, US-Geheimdokumente veröffentlicht. Durch die
Veröffentlichungen kamen schwere Kriegsverbrechen amerikanischer Soldaten in Afghanistan und im Irak ans Licht; viele Delikte blieben bis heute ungeahndet. Inzwischen haben sich viele der Medien, die ursprünglich intensiv und vertrauensvoll mit Assange zusammengearbeitet hatten, von seinen Methoden distanziert. Der Australier soll die später wegen Geheimnisverrats verurteilte Soldatin Chelsea Manning zum Kopieren der 250 000 diplomatischen Depeschen angestiftet haben, Wikileaks bestreitet dies. Dem 50-Jährigen drohen in den USA wegen Computer-Hackings und Spionage bis zu 175 Jahre Freiheitsstrafe; realistischer, so die US-Regierungsvertreter, sei eine Zeitspanne von vier bis sieben Jahren.
Assange hatte sich im Juni 2012 der vom britischen Supreme Court angeordneten Auslieferung nach Schweden wegen angeblicher Sexualdelikte entzogen, indem er in der Londoner Botschaft von Ecuador um
Asyl bat. Knapp sieben Jahre später konnte Scotland Yard ihn in der Botschaft festnehmen, anschließend verbüßte er eine knapp einjährige Haftstrafe wegen seines Verstoßes gegen die Kautionsauflagen. Inzwischen sitzt er seit zweieinhalb Jahren im Gefängnis Belmarsh im Osten von London.
Für den High Court geht es, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens, auch um die Wiederherstellung des erheblich ramponierten Ansehens der britischen Justiz. Im erstinstanzlichen Verfahren wurde Medien, Beobachtern und der Öffentlichkeit der Zugang zu den Verhandlungen erschwert oder unmöglich gemacht. Die Restriktionen gingen weit über die allenfalls nachvollziehbare Vorsicht wegen der Corona-Pandemie hinaus. So schloss Bezirksrichterin Vanessa Baraitser unter fadenscheinigem Vorwand – angeblich waren interne Gerichtsdokumente in der Öffentlichkeit gelandet – renommierte Menschenrechtsorganisationen
wie Amnesty International und Human Rights Watch vom Verfahren aus.
Andere Beobachter mussten stundenlang im Morgengrauen anstehen, um in den Gerichtssaal zu gelangen „Solche Schwierigkeiten habe ich bei keinem anderen Verfahren erlebt“, berichtete Rebecca Vincent von der Nichtregierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“zu Wochenbeginn auf einer Veranstaltung der Londoner Foreign Press Association (FPA). Als Grund für die Verfolgung des an Asperger-Syndrom, einer Erkrankung des autistischen Spektrums, leidenden Australiers vermuten Aktivisten ein „Rachekomplott“der USA nach der Aufdeckung schwerer Kriegsverbrechen. Zusätzlich habe Wikileaks den Auslandsgeheimdienst der USA gegen sich aufgebracht, weil es von März 2017 an „Vault 7“veröffentlichte. Die internen CIA-Dokumente belegen die umfassende Überwachung von Telefonen und Computern weltweit.