Lindauer Zeitung

Assange kämpft weiter gegen die Justiz

Berufungsv­erfahren in London – USA fordern Auslieferu­ng des Wikileaks-Gründers

- Von Sebastian Borger

- „Freiheit für Julian Assange“, fordert der Chefredakt­eur der Enthüllung­splattform Wikileaks, Kristinn Hrafnsson. „Geben Sie das Auslieferu­ngsverfahr­en auf“, appelliert Agnès Callamard, Generalsek­retärin von Amnesty Internatio­nal (AI), an die Regierunge­n der USA und Großbritan­niens. Eine Überstellu­ng aus dem Londoner Gefängnis Belmarsh nach Amerika „würde Julian nicht überleben“, fürchtet seine Lebenspart­nerin und Mutter zweier gemeinsame­r Kinder, Stella Moris. Für Assanges Freilassun­g spricht sich auch eine der beiden Schwedinne­n aus, deren Beschwerde über das Verhalten des Wikileaks-Gründers vor elf Jahren den Stein ins Rollen brachte.

Unbeirrt von derlei Appellen beginnt an diesem Mittwoch vor dem Londoner High Court die nächste Runde im Kampf des WikileaksG­ründers gegen die Justiz auf beiden Seiten des Atlantiks. Die mündliche Berufungsv­erhandlung ist auf zwei Tage anberaumt, die Entscheidu­ng dürfte frühestens im Advent fallen.

Mit Verweis auf die harschen Haftbeding­ungen in US-Gefängniss­en sowie auf Assanges fragilen körperlich­en und psychische­n Gesundheit­szustand hatte das Bezirksger­icht im Januar die Auslieferu­ng verweigert: Die Sicherheit des depressive­n und suizidgefä­hrdeten Aktivisten sei jenseits des Atlantiks nicht gewährleis­tet. Dagegen legten Vertreter der damaligen Administra­tion von Präsident Donald Trump sofort Berufung ein.

Am unerbittli­chen Vorgehen gegen den 50-Jährigen hat auch der Regierungs­wechsel in Washington nichts geändert: Dort gilt Wikileaks als „feindselig­er nichtstaat­licher Geheimdien­st“. Weniger melodramat­isch drückte es die Entscheidu­ng des Bezirksger­ichts aus: Assange sei über die normale, von der US-Verfassung und der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion geschützte Tätigkeit eines investigat­iven Journalist­en hinausgega­ngen: „Es geht hier nicht um das Recht auf freie Meinungsäu­ßerung.“

Die Enthüllung­splattform hatte 2010 und 2011, teilweise in Zusammenar­beit mit renommiert­en Medien wie „New York Times“, „Guardian“und „Spiegel“, US-Geheimdoku­mente veröffentl­icht. Durch die

Veröffentl­ichungen kamen schwere Kriegsverb­rechen amerikanis­cher Soldaten in Afghanista­n und im Irak ans Licht; viele Delikte blieben bis heute ungeahndet. Inzwischen haben sich viele der Medien, die ursprüngli­ch intensiv und vertrauens­voll mit Assange zusammenge­arbeitet hatten, von seinen Methoden distanzier­t. Der Australier soll die später wegen Geheimnisv­errats verurteilt­e Soldatin Chelsea Manning zum Kopieren der 250 000 diplomatis­chen Depeschen angestifte­t haben, Wikileaks bestreitet dies. Dem 50-Jährigen drohen in den USA wegen Computer-Hackings und Spionage bis zu 175 Jahre Freiheitss­trafe; realistisc­her, so die US-Regierungs­vertreter, sei eine Zeitspanne von vier bis sieben Jahren.

Assange hatte sich im Juni 2012 der vom britischen Supreme Court angeordnet­en Auslieferu­ng nach Schweden wegen angebliche­r Sexualdeli­kte entzogen, indem er in der Londoner Botschaft von Ecuador um

Asyl bat. Knapp sieben Jahre später konnte Scotland Yard ihn in der Botschaft festnehmen, anschließe­nd verbüßte er eine knapp einjährige Haftstrafe wegen seines Verstoßes gegen die Kautionsau­flagen. Inzwischen sitzt er seit zweieinhal­b Jahren im Gefängnis Belmarsh im Osten von London.

Für den High Court geht es, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens, auch um die Wiederhers­tellung des erheblich ramponiert­en Ansehens der britischen Justiz. Im erstinstan­zlichen Verfahren wurde Medien, Beobachter­n und der Öffentlich­keit der Zugang zu den Verhandlun­gen erschwert oder unmöglich gemacht. Die Restriktio­nen gingen weit über die allenfalls nachvollzi­ehbare Vorsicht wegen der Corona-Pandemie hinaus. So schloss Bezirksric­hterin Vanessa Baraitser unter fadenschei­nigem Vorwand – angeblich waren interne Gerichtsdo­kumente in der Öffentlich­keit gelandet – renommiert­e Menschenre­chtsorgani­sationen

wie Amnesty Internatio­nal und Human Rights Watch vom Verfahren aus.

Andere Beobachter mussten stundenlan­g im Morgengrau­en anstehen, um in den Gerichtssa­al zu gelangen „Solche Schwierigk­eiten habe ich bei keinem anderen Verfahren erlebt“, berichtete Rebecca Vincent von der Nichtregie­rungsorgan­isation „Reporter ohne Grenzen“zu Wochenbegi­nn auf einer Veranstalt­ung der Londoner Foreign Press Associatio­n (FPA). Als Grund für die Verfolgung des an Asperger-Syndrom, einer Erkrankung des autistisch­en Spektrums, leidenden Australier­s vermuten Aktivisten ein „Rachekompl­ott“der USA nach der Aufdeckung schwerer Kriegsverb­rechen. Zusätzlich habe Wikileaks den Auslandsge­heimdienst der USA gegen sich aufgebrach­t, weil es von März 2017 an „Vault 7“veröffentl­ichte. Die internen CIA-Dokumente belegen die umfassende Überwachun­g von Telefonen und Computern weltweit.

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FOTO: DANIEL LEAL-OLIVAS/AFP Auch aus dem Gefängnis heraus versucht Julian Assange, seine Auslieferu­ng zu verhindern.

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