Tesla hängt sie alle ab
Hype um US-Elektroautobauer an der Börse – Deutsche Konzerne nur Leichtgewichte
- Wer den jüngsten Börsenhype um Tesla verstehen will, muss sich auf den Internetseiten des Autovermieters Hertz umsehen. Dort wird man in der Fahrzeugflotte bereits jetzt fündig – das Tesla Modell 3 ist dort aufgelistet. In Zukunft wird das in manchen Städten Europas quasi zum Standardprogramm gehören. Denn der Autovermieter hat am Montagabend bekannt gegeben, 100 000 dieser 3er-Modelle bei Tesla zu bestellen. Damit wird der Anteil an Elektrofahrzeugen bei Hertz auf rund 20 Prozent steigen. „Elektrofahrzeuge sind jetzt Mainstream“, kommentierte der geschäftsführende HertzChef Mark Fields die Großbestellung. Das Unternehmen will laut eigenem Bekunden die größte Elektrofahrzeugflotte Nordamerikas und eine der größten der Welt aufbauen.
Eine Bestellung von 100 000 Autos würde zwar auch bei einem Konzern wie Volkswagen das ein oder andere Lächeln hervorrufen. Immerhin entspricht das bei einem Verkauf von rund zehn Millionen Autos jährlich einem Prozent des Absatzes. Bei Tesla dagegen hat die Ankündigung – zumindest unter Anlegern – Jubelschreie ausgelöst. Die Aktien des Konzerns sind am Montag an der New Yorker Börse erstmals über die Schwelle von 1000 US-Dollar gestiegen. Das hat dem Unternehmen die Tür aufgestoßen zu jenem elitären Club von Konzernen, die es zu einem Börsenwwert von über einer Billion Dollar geschafft haben. In Sachen Marktkapitalisierung gehört Tesla damit zur Champions League der sechs wertvollsten Konzerne der Welt, hinter Amazon und noch vor Facebook.
Ein anderer Vergleich macht die erstaunliche Börsenkarriere vielleicht noch deutlicher: Tesla ist aktuell mehr wert als BMW, Daimler, Volkswagen, Toyota, General Motors, Ford und Stellantis (mit Marken wie Peugeot, Chrysler, Fiat und Opel) zusammengerechnet. Ist das gerechtfertigt? „Das ist überzogen“, sagt Auto-Analyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler der „Schwäbischen Zeitung“. „Es gibt zwar gute Gründe, warum die Aktie gestiegen ist. Aber dass sie diese Höhen erreicht, das ist aus meiner Sicht und mit ein bisschen Abstand betrachtet nicht ganz gesund.“
Die guten Gründe hat Tesla erst vor wenigen Tagen selbst geliefert: Im abgelaufenen Quartal hat das kalifornische Unternehmen bei Produktion, Auslieferungen, Umsätzen und Gewinnen deutlich zugelegt. So sind die Absätze im Vergleich zum Vorquartal um fast 20 Prozent auf knapp eine Viertelmillion Fahrzeuge gestiegen, der Gewinn nach Steuern kletterte auf gut 1,6 Milliarden Dollar. Im September beendete Tesla sogar die Dominanz des VW Golf: Mit 24 591 neu zugelassenen Fahrzeugen setzte sich das Model 3 in Europa an die Spitze der meistverkauften Autos. Volkswagen, mit dem Golf jahrelang Marktführer auf dem Kontinent, stürzte in der Statistik regelrecht ab. Das Modell der Wolfsburger rangierte im September mit 17 507 Neuzulassungen nur noch auf Platz vier.
„Das Unternehmen bewältigt den branchenweiten Chipmangel offensichtlich deutlich besser als die etablierten Automobilhersteller“, kommentiert der Autoexperte der NORD-LB, Frank Schwope, die Zahlen. Ein Grund dafür liegt in der Strategie von Tesla, die sich deutlich von der der deutschen Autobauer unterscheidet: Während Daimler, BMW und VW – wie viele andere Hersteller auch – in den vergangenen Jahren große Teile der Wertschöpfungskette an Zulieferer ausgelagert haben, macht Tesla vieles selbst. Vertikale Integration nennen das Betriebswirtschaftler.
Davon profitieren die Kalifornier jetzt. Während andere Automobilhersteller über Lieferengpässe, etwa bei Halbleitern, klagen. Aus diesem
Grund müssen sie ihre Produktion kräftig drosseln, Werke herunterfahren und hierzulande Beschäftigte in Kurzarbeit schicken. „Das sind im Moment zwei Welten, die weit auseinanderklaffen“, stellt Jürgen Pieper fest. Er muss es wissen. Denn seine Einschätzungen zu Tesla gab er der „Schwäbischen Zeitung“telefonisch – auf dem Rückweg von einem Treffen mit Daimler-Vorständen. „Bei Tesla scheint das eine ganz andere Welt zu sein. Da redet man nicht über Probleme, sondern über tolle Perspektiven und starkes Wachstum.“Dennoch erscheint ihm der Abstand der Börsenkurse zwischen den beiden Welten als zu groß und übertrieben. „Auf Dauer kann es diese gewaltige Differenz nicht geben.“
Das haben sich in der Vergangenheit häufig auch Leerverkäufer gedacht. Das sind Spekulanten an der Börse, die auf den fallenden Kurs eines Wertpapiers wetten. Allerdings haben sich viele von ihnen augenscheinlich die Finger verbrannt. Zwar gab es – wie bei anderen Aktien auch – ausgeprägte Schwächephasen. So hatte die Aktie zu Jahresbeginn mit über 700 Euro einen neuen Rekord aufgestellt, um bis Jahresmitte dann wieder auf rund 500 Euro zu fallen. Allerdings weist die längere und übergeordnete Tendenz nach oben – bis zum heutigen Tag. Deswegen hat sich die Anzahl der Leeverkaufspositionen im Vergleich zu vergangenen Zeiten auch drastisch verringert, was eigentlich paradox ist. Denn mit dem starken Kursanstieg der vergangenen Tage und Wochen sind Korrekturen – also Ausbrüche nach unten – umso wahrscheinlicher geworden.