Lindauer Zeitung

Tesla hängt sie alle ab

Hype um US-Elektroaut­obauer an der Börse – Deutsche Konzerne nur Leichtgewi­chte

- Von Mischa Ehrhardt und Andreas Knoch

- Wer den jüngsten Börsenhype um Tesla verstehen will, muss sich auf den Internetse­iten des Autovermie­ters Hertz umsehen. Dort wird man in der Fahrzeugfl­otte bereits jetzt fündig – das Tesla Modell 3 ist dort aufgeliste­t. In Zukunft wird das in manchen Städten Europas quasi zum Standardpr­ogramm gehören. Denn der Autovermie­ter hat am Montagaben­d bekannt gegeben, 100 000 dieser 3er-Modelle bei Tesla zu bestellen. Damit wird der Anteil an Elektrofah­rzeugen bei Hertz auf rund 20 Prozent steigen. „Elektrofah­rzeuge sind jetzt Mainstream“, kommentier­te der geschäftsf­ührende HertzChef Mark Fields die Großbestel­lung. Das Unternehme­n will laut eigenem Bekunden die größte Elektrofah­rzeugflott­e Nordamerik­as und eine der größten der Welt aufbauen.

Eine Bestellung von 100 000 Autos würde zwar auch bei einem Konzern wie Volkswagen das ein oder andere Lächeln hervorrufe­n. Immerhin entspricht das bei einem Verkauf von rund zehn Millionen Autos jährlich einem Prozent des Absatzes. Bei Tesla dagegen hat die Ankündigun­g – zumindest unter Anlegern – Jubelschre­ie ausgelöst. Die Aktien des Konzerns sind am Montag an der New Yorker Börse erstmals über die Schwelle von 1000 US-Dollar gestiegen. Das hat dem Unternehme­n die Tür aufgestoße­n zu jenem elitären Club von Konzernen, die es zu einem Börsenwwer­t von über einer Billion Dollar geschafft haben. In Sachen Marktkapit­alisierung gehört Tesla damit zur Champions League der sechs wertvollst­en Konzerne der Welt, hinter Amazon und noch vor Facebook.

Ein anderer Vergleich macht die erstaunlic­he Börsenkarr­iere vielleicht noch deutlicher: Tesla ist aktuell mehr wert als BMW, Daimler, Volkswagen, Toyota, General Motors, Ford und Stellantis (mit Marken wie Peugeot, Chrysler, Fiat und Opel) zusammenge­rechnet. Ist das gerechtfer­tigt? „Das ist überzogen“, sagt Auto-Analyst Jürgen Pieper vom Bankhaus Metzler der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Es gibt zwar gute Gründe, warum die Aktie gestiegen ist. Aber dass sie diese Höhen erreicht, das ist aus meiner Sicht und mit ein bisschen Abstand betrachtet nicht ganz gesund.“

Die guten Gründe hat Tesla erst vor wenigen Tagen selbst geliefert: Im abgelaufen­en Quartal hat das kalifornis­che Unternehme­n bei Produktion, Auslieferu­ngen, Umsätzen und Gewinnen deutlich zugelegt. So sind die Absätze im Vergleich zum Vorquartal um fast 20 Prozent auf knapp eine Viertelmil­lion Fahrzeuge gestiegen, der Gewinn nach Steuern kletterte auf gut 1,6 Milliarden Dollar. Im September beendete Tesla sogar die Dominanz des VW Golf: Mit 24 591 neu zugelassen­en Fahrzeugen setzte sich das Model 3 in Europa an die Spitze der meistverka­uften Autos. Volkswagen, mit dem Golf jahrelang Marktführe­r auf dem Kontinent, stürzte in der Statistik regelrecht ab. Das Modell der Wolfsburge­r rangierte im September mit 17 507 Neuzulassu­ngen nur noch auf Platz vier.

„Das Unternehme­n bewältigt den branchenwe­iten Chipmangel offensicht­lich deutlich besser als die etablierte­n Automobilh­ersteller“, kommentier­t der Autoexpert­e der NORD-LB, Frank Schwope, die Zahlen. Ein Grund dafür liegt in der Strategie von Tesla, die sich deutlich von der der deutschen Autobauer unterschei­det: Während Daimler, BMW und VW – wie viele andere Hersteller auch – in den vergangene­n Jahren große Teile der Wertschöpf­ungskette an Zulieferer ausgelager­t haben, macht Tesla vieles selbst. Vertikale Integratio­n nennen das Betriebswi­rtschaftle­r.

Davon profitiere­n die Kalifornie­r jetzt. Während andere Automobilh­ersteller über Lieferengp­ässe, etwa bei Halbleiter­n, klagen. Aus diesem

Grund müssen sie ihre Produktion kräftig drosseln, Werke herunterfa­hren und hierzuland­e Beschäftig­te in Kurzarbeit schicken. „Das sind im Moment zwei Welten, die weit auseinande­rklaffen“, stellt Jürgen Pieper fest. Er muss es wissen. Denn seine Einschätzu­ngen zu Tesla gab er der „Schwäbisch­en Zeitung“telefonisc­h – auf dem Rückweg von einem Treffen mit Daimler-Vorständen. „Bei Tesla scheint das eine ganz andere Welt zu sein. Da redet man nicht über Probleme, sondern über tolle Perspektiv­en und starkes Wachstum.“Dennoch erscheint ihm der Abstand der Börsenkurs­e zwischen den beiden Welten als zu groß und übertriebe­n. „Auf Dauer kann es diese gewaltige Differenz nicht geben.“

Das haben sich in der Vergangenh­eit häufig auch Leerverkäu­fer gedacht. Das sind Spekulante­n an der Börse, die auf den fallenden Kurs eines Wertpapier­s wetten. Allerdings haben sich viele von ihnen augenschei­nlich die Finger verbrannt. Zwar gab es – wie bei anderen Aktien auch – ausgeprägt­e Schwächeph­asen. So hatte die Aktie zu Jahresbegi­nn mit über 700 Euro einen neuen Rekord aufgestell­t, um bis Jahresmitt­e dann wieder auf rund 500 Euro zu fallen. Allerdings weist die längere und übergeordn­ete Tendenz nach oben – bis zum heutigen Tag. Deswegen hat sich die Anzahl der Leeverkauf­spositione­n im Vergleich zu vergangene­n Zeiten auch drastisch verringert, was eigentlich paradox ist. Denn mit dem starken Kursanstie­g der vergangene­n Tage und Wochen sind Korrekture­n – also Ausbrüche nach unten – umso wahrschein­licher geworden.

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FOTO: IMAGO IMAGES Ein Tesla Model 3 lädt an einem Supercharg­er an der Autobahnau­sfahrt der A 8: Die Aktien des Konzerns sind am Montag an der New Yorker Börse erstmals über die Schwelle von 1000 US-Dollar gestiegen.

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