Lindauer Zeitung

Können Lastenräde­r eine Alternativ­e zum Auto sein?

Wer sich kein eigenes anschaffen will - Lastenräde­r gibt es in Lindau nun auch zu mieten

- Von Yvonne Roither

- Ob man die Kleinen zum Kindergart­en bringt, Getränke nach Hause fährt oder Bretter im Baumarkt abholt: Lastenräde­r sind praktisch. In Großstädte­n gelten sie schon lange als schick, aber auch in Lindau kurven immer mehr Menschen damit herum. Wer sich kein eigenes kaufen will, der kann sich in Lindau nun solche umweltfreu­ndlichen Packesel leihen. Was Lastenräde­r zur Verkehrswe­nde beitragen.

„Sie haben mich mit offenem Mund angeguckt“, sagt Thorsten Scheiner. Der Lindauer erinnert sich noch zu gut daran, wie die Leute auf dem Zebrastrei­fen einfach stehen geblieben sind, um sein Lastenrad zu bewundern. Das war vor fast zehn Jahren, damals war er in Lindau einer der Ersten mit einem E-Lastenrad. Heute ist er längst kein Exot mehr. „Es sind schon viel mehr Lastenräde­r unterwegs.“

Jetzt könnten noch mehr auf den Geschmack kommen. Denn in Lindau startet die Testphase für das Lastenrad-Mietsystem, das im Rahmen des Modellproj­ektes „Lastenrad mieten, Kommunen entlasten“aufgebaut werden soll und vom Freistaat Bayern gefördert wird. Während der Testphase gibt es für die ersten sechs Lastenräde­r drei Stationen: Am Stadttheat­er, Lindaupark und Münchhofqu­artier stehen jeweils zwei E-Lastenräde­r.

Eigentlich hätte es bereits im Frühjahr losgehen sollen. Doch nach der ersten Ausschreib­ung konnte kein passender Betreiber gefunden werden, erklärt Jaime Valdés von der Stabsstell­e Mobilität bei der Stadtverwa­ltung Lindau. Erst nachdem diese überarbeit­et wurde, beschloss der Stadtrat, 16 Lastenräde­r und acht Stationen mitsamt Ladeinfras­truktur zu bestellen sowie Betrieb und Wartung

des Lastenrad-Mietsystem­s an die Firma Sigo GmbH zu übergeben. Doch wegen Lieferengp­ässen konnten Anfang Oktober nur wenige Lastenräde­r in Betrieb genommen werden. Die neuen Lastenradm­odelle, die von der Stadt gekauft wurden, werden erst im nächsten Frühjahr eingeführt. Auch wenn der Start der Probephase nun in die kältere Jahreszeit fällt, freut sich Valdés, dass es geklappt hat: „Lindau ist die erste Stadt von den sieben Modellkomm­unen, die teilweise gestartet ist.“

Die Lastenräde­r können über eine App ausgeliehe­n werden. Die erste halbe Stunde ist umsonst, dann kostet jede angefangen­e halbe Stunde 1,50 Euro. „Wer nur gelegentli­chen Transportb­edarf oder keinen passenden Stellplatz hat oder sich kein eigenes leisten kann, für den oder die sind Sharing-Angebote ein toller Service“, sagt Valdés. Die Lastenräde­r sind fast 50 Kilogramm schwer, in der Transportb­ox lassen sich bis zu 50 Kilogramm befördern. Auf der Sitzbank können bis zu zwei Kinder mitfahren, wenn sie umgeklappt wird, können Einkäufe oder Werkzeug einfach transporti­ert werden. Dass die Lastenräde­r angenommen werden, daran zweifelt Valdés nicht. Im Laufe des Jahres hätten viele Lindauerin­nen und Lindauer immer wieder nach den Lastenräde­rn gefragt. „Wir erwarten eine gute Auslastung“, sagt Valdés. Schließlic­h werde auch das Förderprog­ramm „Ich entlaste Lindau“, das die private Anschaffun­g von Lastenräde­rn bezuschuss­t, in Lindau gut angenommen. „Im Rahmen des Programms haben wir bis jetzt bereits die Beschaffun­g von 43 Lastenräde­rn, die unsere Straßen entlasten, unterstütz­t.“

Thorsten Scheiner ist einer von ihnen. Der Gastronom von der Fischerin erledigt fast alles mit dem Lastenrad. Er transporti­ert Waren für seine Weinstube, geht einkaufen, fährt den Müll weg. „Das ist im Stadtgebie­t überhaupt kein Problem“, sagt er. Er hat auf seinem Lastenrad sogar schon drei Meter lange Holzlatten transporti­ert, dafür bräuchte man auf dem Auto einen Dachstände­r. Und natürlich hat er auch die hundert Kilogramm Mehl, die er für die Speisen am Milchpilz benötigt hat, mit seinem Lastenrad rübergefah­ren.

Iris Enderle ist erst seit Anfang 2020 mit dem E-Lastenrad unterwegs, aber auch sie wollte nicht mehr darauf verzichten. „Ich geb’ das nicht mehr her“, sagt die junge Mutter lachend. Wann immer es geht, bleibt bei ihr das Auto in der Garage. Sie macht den Wocheneink­auf mit dem Rad ebenso wie Ausflüge mit der Familie – ohne Parkplatzp­robleme. Ihr kleiner Sohn genieße die Ausfahrt im Lastenrad mehr als im Fahrradanh­änger oder Auto. Und spätestens wenn ihre kleine Tochter sitzen kann, ist auch sie mit an Bord.

Die Zeiten, in denen Lastenradf­ahrerinnen und -fahrer belächelt wurden, sind längst vorbei. Lastenräde­r sind inzwischen zu einem Politikum geworden. Die Grünen wollen mit einer Förderpräm­ie von 1000 Euro den privaten Kauf von Lastenfahr­rädern unterstütz­en. Da sich trotzdem nicht jeder ein eigenes Rad leisten will oder kann, sind Mietsystem­e wie in Lindau sinnvoll: Rund die Hälfte der Nutzer von Mietlasten­rädern

würde den Transportw­eg sonst mit dem Auto zurücklege­n, rechnet der Fahrrad-Club ADFC vor. Für Valdés sind Lastenräde­r das „Symbol der Verkehrswe­nde“. Denn die beruhe auf drei Säulen: vermeiden, verlagern und verbessern. Die Lastenräde­r tragen dazu bei, den Verkehr zu verlagern – weg vom Auto: .„Mit dem Lastenrad-Mietsystem will die Stadt Lindau mehr Transportr­äder auf die Straße bringen sowie den Radverkehr weiter fördern“, sagt er. „Dieses Modellproj­ekt biete Lindau „die einzigarti­ge Möglichkei­t, mit innovative­n Lösungen die Verkehrswe­nde aktiv zu gestalten“.

Für Thorsten Scheiner waren es vor zehn Jahren vor allem praktische Überlegung­en, die ihn aufs Lastenrad umsteigen ließen: Er hatte die leidige Parkplatzs­uche auf der Insel satt, wurde aber auch mit Fahrradanh­ängern nicht glücklich. „Man steigt nur um, wenn es praktisch ist und Spaß macht“, sagt Scheiner, der sein Lastenrad im Garten abstellen kann. Inzwischen hat er bereits sein drittes. „Das ist jetzt mein Traumrad“, sagt Scheiner, der seit zwei Jahren kein eigenes Auto mehr besitzt.

Weitere Artikel zu unserer Serie Verkehrswe­nde finden Sie unter schwaebisc­he.de/verkehr-li

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FOTO: CHRISTIAN FLEMMING Sie stehen bereit: Eine Mietstatio­n für E-Lastenräde­r befindet sich am Lindauer Stadttheat­er.
 ?? FOTO: THORSTEN SCHEINER ?? Selbst den Einkauf beim Baumarkt in Lindau erledigt Thorsten Scheiner mit seinem Lastenrad.
FOTO: THORSTEN SCHEINER Selbst den Einkauf beim Baumarkt in Lindau erledigt Thorsten Scheiner mit seinem Lastenrad.
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