Lindauer Zeitung

Wie eine Tettnanger­in bei der Lebensgesc­hichte hilft

Die Heilerzieh­ungspflege­rin und Autorin Carolin Schaaf hat ein Buch verfasst, das jeder selbst schreiben kann

- Von Mark Hildebrand­t

- Wenn am Ende nur noch ein Foto bleibt, über das niemand mehr etwas weiß, dann verschwind­et der Mensch dahinter mit seinen Träumen, Wünschen und Erfahrunge­n. Die Tettnanger­in Carolin Schaaf will etwas dagegen setzen. Sie hat als Heilerzieh­ungspflege­rin ein Schlüssele­rlebnis gehabt, aus dem ein Buch geworden ist. Darin kann jeder Mensch die eigene Lebensgesc­hichte für andere oder auch für sich selbst aufschreib­en. „Mein Lebensbuch“heißt das Werk, das im Hospizverl­ag erschienen ist.

Im Grunde hat sie den Bedarf dafür in ihrem profession­ellen Umfeld erkannt. In einer Wohngruppe, in der sie gearbeitet hatte, fragte eine 67jährige Bewohnerin mit Down-Syndrom nach den Geschichte­n von Verstorben­en, deren Bilder an einem Traueralta­r platziert waren. Bei einem Foto musste Schaaf passen, weil dieser Mensch gestorben war, bevor sie in der Gruppe angefangen hatte. Da sagte sie sich, dass das doch nicht

TRAUERANZE­IGEN sein könne: „Es muss mehr von einem Menschen zurückblei­ben als ein Foto.“Das ließ ihr keine Ruhe.

In Nachtstund­en ist daraufhin das Buch entstanden, in dem nun entweder die Menschen selbst, Angehörige oder Wegbegleit­er das Leben festhalten können. Es gliedert sich in die vier Kapitel Kindheit, Erwachsenw­erden, Älterwerde­n sowie das Lebensende und darüber hinaus. Auf 70 Seiten sind Fragen gestellt oder Stichworte gedruckt wie: „Meine Haustiere, Kuscheltie­re und was mir sonst in meiner Kindheit wichtig war“, über das Kennenlern­en des Partners und welche schönen Erlebnisse es mit den eigenen Kindern gab bis hin zu dem Punkt, welche Lebenserfa­hrungen einen heute noch beschäftig­en oder wie man in Erinnerung bleiben möchte.

Das können natürlich auch Eltern jeweils für ihre Kinder oder Ehepartner untereinan­der ausfüllen und erzählen. Das Werk geht also über den ursprüngli­chen Entstehung­sgrund hinaus. Carolin Schaaf etwa will selbst drei Bücher schreiben. Weil das, was sie ihrem Mann hinterlass­en möchte, doch etwas anderes ist als das, was sie ihren Töchtern sagen möchte. Und, sagt sie: „Es besteht ja auch keine Pflicht, alle Felder auszufülle­n.“

Im Bereich der Betreuung oder der Pflege indes kann das Werk auch einen profession­ellen Zweck haben, wenn die Autorin oder der Autor des eigenen Lebensbuch­s das möchte und zulässt. Das können einfache

Dinge sein. Etwa, dass man kein Käsebrot mag. Aber es können auch Erklärunge­n sein, dass etwa bestimmte Berührunge­n gar nicht gehen, weil es vielleicht mal eine traumatisc­he Erfahrung gab. Weil eben auch private Sachen darin stünden, sei es wichtig, von vornherein zu klären, wer das Buch lesen dürfe und auch, was später damit passieren solle, sagt Carolin Schaaf. Dabei habe sie festgestel­lt, dass über das gemeinsame Gespräch oft ein besseres Verständni­s füreinande­r entstehe – das Buch könne in diesem Sinne auch als Stichwortg­eber dienen, um beispielsw­eise den eigenen Kindern den Lebensweg und seine Auswirkung­en besser erklären zu können.

Und das Buch könne auch eine wichtige Hilfestell­ung für die Zukunft geben. „Was möchtest Du mal“, sagt Schaaf, das sei eine wichtige Frage auch gerade mit Blick aufs Lebensende. Sie selbst habe es bei ihrer eigenen Patientenv­erfügung erlebt, „dass man sich selbst dann erst mal richtig kennenlern­t“. Bei Menschen mit Behinderun­g bekomme sie immer wieder mit, dass diese beispielsw­eise oft nicht im Krankenhau­s sterben wollten. Auch der Glaube oder Nicht-Glaube spiele bei vielen Fragen eine große Rolle.

Im profession­ellen pflegerisc­hen Umfeld ist die sogenannte Biografiea­rbeit ein wichtiges Instrument, um Menschen angemessen versorgen zu können. Das Wissen um eine traumatisc­he Erfahrung, die in bestimmten Situatione­n zu Angst führt, hilft, Auslöser

zu vermeiden. Umgekehrt gilt das natürlich auch für die Kenntnis angenehmer Situatione­n, in denen Bewohner sich gern bewegen. Das ist etwas sehr Individuel­les. Doch Angehörige oder Freunde bekommen davon teils nichts mit. Auch daran soll das Buch etwas ändern können.

Was das Werk helfen kann, sieht Schaaf gerade in einem Fall, bei dem eine Frau ihre Zimmernach­barin verloren hat, die zugleich auch ihre beste Freundin war. „Wir sprechen miteinande­r und füllen das Buch gemeinsam aus“, sagt Schaaf. Das sei in diesem Fall ein wichtiges Element der Trauerbegl­eitung geworden. Anwendungs­möglichkei­ten sieht sie auch im Bereich der Hospizdien­ste oder auch bei allen anderen Ehrenamtli­chen, die begleitend tätig sind. Damit am Ende etwas übrig bleibt, was über ein Foto hinausgeht.

Das Buch „Mein Lebensbuch“ist beim Hospizverl­ag unter der ISBN 978-3-9465274-0-4 erschienen und kostet 24,99 Euro.

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FOTO: MARK HILDEBRAND­T Die Tettnanger­in Carolin Schaaf hat ein Buch geschriebe­n, das jeder für sich selbst schreiben muss.

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