Bewegungsfreiheit sieht anders aus
In 100 Tagen werden die Winterspiele in Peking eröffnet – Die Vorfreude hält sich in Grenzen
(SID/dpa) - Neue CoronaSorgen, Impfpflicht durch die Hintertür und Angst vor Technik-Spionage: 100 Tage vor Beginn der Olympischen Winterspiele in Peking herrscht im deutschen Team nicht gerade Euphorie. Die Vorfreude „hält sich im Augenblick in Grenzen“, sagte Alpin-Chef Wolfgang Maier der ARD. Wie so viele Sportler können Stefan Luitz und Co. vor Olympia ja nicht nach Peking, zudem sei viel von „Einschränkungen“und „negativen Themen“zu hören. Man habe nur „ganz wenige Informationen aus China“, sagte Maier, der sich zudem um die sensiblen Daten seiner Skirennläufer sorgt.
„Jeder weiß, dass seine Daten abgegriffen werden, das ist ein extrem unangenehmes Gefühl“, sagte Maier, deshalb habe der Deutsche Skiverband (DSV) auch Kontakt mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) aufgenommen: „Damit wir nicht, wenn wir nach China reinkommen, schon durch die erste Spy-Version ausgeliefert sind.“
Zumindest beim Thema Corona sind die Athleten seit Montag etwas schlauer, das IOC hat die erste Version des sogenannten Playbooks veröffentlicht. Wichtigste Erkenntnis: Nur wer vollständig geimpft ist, muss nach der Einreise in China nicht für 21 Tage in Quarantäne. „Der überwiegende Teil des Teams ist bereits geimpft“, hatte DOSB-Vorstand Leistungssport Dirk Schimmelpfennig zuletzt gesagt, das medizinische Team gebe zudem „eine dringende Impfempfehlung ab“. Kaum vorstellbar, dass Athleten ungeimpft nach Peking fliegen und dann drei Wochen in ihren Zimmern hocken – ohne richtiges Training.
Doch auch während der Spiele wird es wenig Bewegungsfreiheit für Sportler, Trainer, Helfer und Journalisten geben. Alle Teilnehmer werden sich nur in „geschlossenen Kreisläufen“bewegen dürfen: Von der Ankunft bis zur Abreise, vom Bett bis zu den Wettkampfstätten – alles in hermetisch abgesperrten Transportsystemen. Regelmäßig wird auf Corona getestet werden.
Die Spiele vom 4. bis 20. Februar, gefolgt von den paralympischen Wettbewerben vom 4. bis 13. März werden auch ganz anders als die Spiele im Sommer in Japan. War es in Tokio eher eine „Blase mit vielen Löchern“, durch die Teilnehmer auch mal ins Land schlüpfen konnten, wie vereinzelt geschildert wurde, zieht China vielmehr „doppelte Wände“hoch. Es soll verhindert werden, dass auch nur eine einzige Infektion unkontrolliert ins Land gebracht wird.
Das strenge Regime ist die Konsequenz aus der strikten Corona-Politik, mit der das bevölkerungsreichste Land die Pandemie besser in den Griff bekommen hat als andere. Gab es anfangs Kritik an der langsamen Reaktion auf die ersten Infektionsfälle im Dezember 2019 in Zentralchina, reagieren die Behörden seither scharf und schnell mit Ausgangssperren, Quarantäne, Massentests und Kontaktverfolgung. Seit Sommer 2020 hat es in China nur noch kleinere Ausbrüche gegeben.
Allerdings hat sich das Milliardenreich auch gegenüber dem Ausland abgeschottet. Von den wenigen, die einreisen dürfen, werden bis zu drei Wochen in einer QuarantäneEinrichtung verlangt. Dazu passt eigentlich kein internationales Sportereignis von der Größe Olympischer Spiele: Rund 2900 Athleten reisen an, zusätzlich mit Tausenden Sportfunktionären und Medienvertretern.
Nach Olympia 2008 ist Peking die einzige Metropole, die sowohl Sommer
als auch Winterspiele abhält. Die Sportstätten sind längst fertig. Es laufen gerade internationale Testwettkämpfe, zu denen auch schon 460 Sportler eingereist sind. Helfer in Schutzanzügen empfingen sie am Flughafen. So werden auch die „geschlossenen Kreisläufe“und Transportsysteme erstmals getestet.
„Internationale Testwettkämpfe mit Ausländern stattfinden zu lassen, erhöht das Covid-19-Risiko, aber wir haben einen weitgehenden Plan zur Eingrenzung und eine Überwachung eingeführt, um die Sicherheit aller Teilnehmer und besonders die Bewohner der gastgebenden Orte zu schützen“, sagte Huang Chun, der für die Vorbeugung gegen die Pandemie zuständige Vizedirektor des Organisationskomitees.
„Die Wettkampfstätte ist großartig und prachtvoll“, rühmt die Niederländerin Isabel Grevelt das neu gebaute Eislaufstadion. „Die Vorbeugungsmaßnahmen gegen die Pandemie geben mir ein sicheres Gefühl“, zitieren sie Staatsmedien und geben damit auch die gewünschte Botschaft
der Organisatoren wieder. Das chinesische Eiskunstlaufpaar Sui Wenjing und Han Cong will seinem Land, das selbst keine große Wintersportnation ist, alle Ehre machen: „Unser Ziel für Peking 2022 ist es, die Nationalhymne auf dem Medaillenplatz zu hören und die Nationalflagge gehisst zu sehen.“
Wie bei den Sommerspielen vor 14 Jahren in Peking rufen Menschenrechtsgruppen auch diesmal wieder zu einem Boykott der Spiele auf. Die Kritiker prangern Verfolgung der Tibeter und Uiguren an, die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong und die schlechte Menschenrechtslage. Die Aufrufe bleiben aber folgenlos. Zuletzt wurde meist nur noch ein politischer Boykott gefordert. Aber ausländische Politiker reisen ohnehin wegen der Pandemie nicht nach Peking. Überhaupt sind keine internationalen Zuschauer erlaubt. Nur Publikum aus China darf teilnehmen – nach strengen CoronaTests. Immerhin, denn in Tokio fanden die Spiele weitgehend vor leeren Rängen statt.