Streit beim Wohnmobilbauer Hymer
Arbeitnehmer werfen Unternehmen Arbeitszeitverstöße vor – Betriebsrat und IG Metall schweigen – Geschäftsführung weist Vorwürfe zurück
- Beim Fahrzeughersteller Hymer, der Kernmarke von Europas größtem Wohnmobilbauer Erwin Hymer, schwelt ein Streit zwischen Geschäftsführung und Arbeitnehmern. Dabei geht es um mögliche Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz und festgefahrene Verhandlungen über die Ausweitung der Arbeitszeit in der Produktion.
Die Fälle, in denen Mitarbeiter zu lange und über die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit von zehn Stunden hinaus gearbeitet haben, sollen nach Informationen der „Schwäbischen Zeitung“aus Mitarbeiterkreisen in den Abteilungen Auftragszentrum, Kundendienst sowie Originalteile & Zubehör vorgekommen sein. Unterlagen, die der „Schwäbischen Zeitung“vorliegen, zeigen, dass einzelne Mitarbeiter vor allem im Frühjahr dieses Jahres pro Monat nur an einem Viertel der Tage weniger als neun Stunden und an den übrigen Tagen immer wieder mehr als zehn Stunden gearbeitet haben. Wie viele Mitarbeiter des Unternehmens mit Sitz im oberschwäbischen Bad Waldsee von diesen Arbeitszeitverstößen betroffen sind, ist unklar. Weder Betriebsrat noch IG Metall wollen sich zu den Vorgängen äußern. Ein Brief aus der Belegschaft an die Geschäftsführung, der nicht unterzeichnet ist und der der „Schwäbischen Zeitung“ vorliegt, legt nahe, dass die Zusatzarbeit im Zusammenhang mit der Einführung einer neuen Abrechnungssoftware entstanden sein könnte.
Das Unternehmen dementiert die Vorgänge. „Den Vorwurf, dass es bei uns im Unternehmen massive Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz geben soll, weisen wir entschieden zurück“, heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme der Hymer-Geschäftsführung. „Aus den Dokumenten, die der Geschäftsführung und dem Betriebsrat vorliegen, können diese Vorwürfe nicht abgeleitet werden.“Wenn die Zeiterfassung zu lange Arbeitszeiten erfasse, „behandeln wir die im Rahmen der vorgegebenen Unternehmensprozesse“, heißt es in dem Schreiben weiter. „Davon unabhängig liegt die zeitlich beschränkte Mehrarbeit in einem allgemein üblichen Umfang innerhalb des gesetzlichen Zeitrahmens.“
Der Streit zwischen Belegschaft und Geschäftsführung fällt in eine Zeit, in der die Stimmung zwischen Unternehmensleitung und Arbeitnehmervertretern wegen einer zweiten Auseinandersetzung angespannt ist. Nach mehrmonatigen Verhandlungen sind die Gespräche zwischen Hymer und der IG Metall über eine Ausweitung der Arbeitszeit von 35 auf 38 Stunden unterbrochen. Hymer hat nach eigenen Angaben ein Angebot
mit Lohnausgleich und Überstundenzuschlag sowie weiteren Zusatzzahlungen und Erholungstagen vorgelegt. Die Einigung sei aber an der Gewerkschaft gescheitert. „Dies liegt vor allem darin begründet, dass die Tarifkommission einen zusätzlichen Bonus beziehungsweise zusätzliche freie Tage ausschließlich für Mitglieder der IG Metall gefordert hat“, heißt es in der Stellungnahme. „Diesem Vorschlag hat die HymerGeschäftsführung nicht zugestimmt, da dies aus unserer Sicht eine Ungleichbehandlung unserer Mitarbeiter bedeutet hätte.“
Betriebsrat und IG Metall bestätigen die Verhandlungen. Nach Angaben Frederic Strieglers, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall FriedrichshafenOberschwaben, sei der Wunsch nach einem Sonderbonus für Mitglieder der IG Metall aus dem Kreis der HymerMitarbeiter selbst gekommen. „Wir haben die Belegschaft gefragt, was wir als Gegenleistung fordern sollen, wenn wir dem Unternehmen eine längere Arbeitszeit ermöglichen“, erläutert Striegler im Gespräch mit der
„Schwäbischen Zeitung“. „76 Prozent der Kollegen haben dann bei einer Umfrage für einen MitgliederBonus gestimmt.“An der Abstimmung haben nach Angaben Strieglers 60 Prozent der Belegschaft teilgenommen. Eine weitere Lösung, die die Mitarbeiter überwiegend positiv bewertet hätten, seien sogenannte Kompensationstage gewesen als Ausgleich für geleistete Zusatzarbeit. „Das stieß allerdings bei Hymer auf wenig Interesse“, sagt Striegler. Die Schaffung eines Langzeitkontos, auf dem die Arbeitszeit abgerechnet wird, wolle wiederum die Belegschaft nicht.
Probleme bereitet Hymer die Aussetzung der Gespräche zurzeit nicht. Die Nachfrage nach Wohnmobilen und Caravans ist zwar weiterhin hoch, allerdings zwingen Lieferengpässe das Unternehmen zum Runterfahren der Produktion. Vor allem Fahrgestelle fehlen dem Unternehmen. „Aktuell konzentrieren wir uns auf die Ausgestaltung der Kurzarbeit, mit der wir aufgrund der branchenweit bekannten Lieferengpässe konfrontiert sind“, schreibt die Hymer-Geschäftsführung.