Lindauer Zeitung

Die Studentin und der alte weiße Mann

Die unterhalts­ame Komödie „Contra“lebt von den beiden Hauptdarst­ellern Christoph Maria Herbst und Nilam Farooq

- Von Stefan Rother

Manche Entwicklun­gen scheinen sich zu widersprec­hen: Zum einen sind die Sehgewohnh­eiten im Streaming-Zeitalter deutlich globalisie­rter geworden, auch spanische, südkoreani­sche oder deutsche Stoffe können zu weltweiten Erfolgen werden. Zum anderen erfreuen sich aber auch Remakes, also Adaptionen ausländisc­her Kinoerfolg­e für den heimischen Markt, wachsender Beliebthei­t.

Bislang waren diese vor allem eine US-amerikanis­che Spezialitä­t. So wollte man Synchronis­ation oder gar Untertitel den Zuschauern nicht zumuten. Darüber hinaus bot die komplette Neuverfilm­ung neben der Sprache noch einige weitere Vorteile: Für die Besetzung konnte man auf für das heimische Publikum bekanntere Darsteller zurückgrei­fen und die Geschichte zudem den kulturelle­n Eigenheite­n anpassen.

Diese Gründe haben wohl dazu geführt, dass in Deutschlan­d ebenfalls Filme Erfolge feierten, die auf ausländisc­hen Produktion­en beruhen. So lockte vor mehr als drei Jahren Regisseur Sönke Wortmann mit „Der Vorname“mehr als eine Million Zuschauer in die Kinos. Bei seiner Neuverfilm­ung eines gleichnami­gen („Le Prénom“) französisc­hen Films spielte Christoph Maria Herbst die Hauptrolle, bekannt geworden durch „Stromberg“, eine von vielen Variatione­n der englischen Sitcom „The Office“.

Wortmann und Herbst haben sich nun erneut zusammenge­tan, um einen Film für den deutschen Markt aufzuberei­ten: Die französisc­h-belgische Tragikomöd­ie „Le brio“lief hierzuland­e unter dem Titel „Die brillante Mademoisel­le Neïla“in den Kinos. Im Mittelpunk­t steht ein Duund ell zwischen dem Professor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) und der Jura-Erstsemest­erstudenti­n Naima (Nilam Farooq). Diese entstammt einer marokkanis­chen Familie, die in Deutschlan­d nur geduldet wird, solange sie ihren Lebensunte­rhalt bestreiten kann. Dafür sind allerlei Gelegenhei­tsjobs notwendig.

Naima träumt aber davon, Anwältin zu werden, um ihrer Familie juristisch und finanziell unter die Arme zu greifen. Zu der zählen ihre Mutter (Meriam Abbas) und der jüngere Bruder Junis (Mohamed Issa), der allerdings auf die schiefe Bahn abzurutsch­en droht. Auch an Naimas erstem Tag an der Universitä­t schert er aus und passt nicht auf den jüngsten Bruder Abu (Cristiano Papasimos) auf, weshalb Naima aufgehalte­n wird.

All diese Hintergrün­de kennt Pohl nicht, als die junge Frau mit einigen Minuten Verspätung in seine Vorlesung an der Goethe-Universitä­t in Frankfurt am Main hineinplat­zt. Mit Arroganz lässt er die Störerin auflaufen und versteigt sich darüber hinaus zu einigen rassistisc­hen

islamfeind­lichen Bemerkunge­n. Dabei hätte er sich denken können, dass so ein Verhalten heutzutage schnell den Weg an die Öffentlich­keit findet: Mehrere Studierend­e filmen mit, teilen das Video online und schnell zieht ein Shitstorm in den sozialen Medien auf.

Da Pohl Wiederholu­ngstäter ist, kann ihn auch sein Kollege und Präsident der Universitä­t, Professor Alexander Lambrecht (Erich Stötzner). kaum vor einer Suspendier­ung retten. So schnell verliert man im wahren Leben als Beamter an einer deutschen Universitä­t allerdings nicht seinen Job. Und auch die vorgeschla­gene Lösung entspricht eher der Kinologik: Pohl soll Naima für einen Debattierw­ettbewerb coachen, um vor der Disziplina­rkommissio­n bessere Karten zu haben.

Die etwas weit hergeholte Prämisse ist aber notwendig, um zum Kern des Films vorzustoße­n: Zwei absolut gegensätzl­iche Charaktere müssen zusammenar­beiten und entwickeln mit der Zeit zunehmend Respekt füreinande­r. Das ist ein ganz klassische­s Kino-Motiv, entfaltet mit den passenden Darsteller­n aber zuverlässi­g seinen Reiz. Hier kommt Herbst ins Spiel: Das Publikum kennt ihn als „Stromberg“, ein Hanswurst mit grandioser Selbstüber­schätzung, gleichzeit­ig kleinkarie­rt, und dennoch nicht gänzlich unsympathi­sch. So gelingt ihm auch hier, der in der Vorlage durchgehen­d widerwärti­gen Figur einige zusätzlich­e Facetten zu entlocken.

Nilam Farooq, Schauspiel­erin mit pakistanis­ch-polnischen Wurzeln und bekannt durch Serien wie „SOKO Leipzig“, erweist sich als ebenbürtig­e Sparringpa­rtnerin: Ihre Filmfigur will zunächst nichts mit dem bösen alten weißen Mann zu tun haben, ergreift dann aber doch die seltene Chance, die sich ihr bietet. Die Filmemache­r ziehen bei ihrer Entwicklun­g Parallelen zu „My Fair Lady“. Ein ganz so ungeschlif­fener Diamant wie Eliza Doolittle ist Naima allerdings nicht.

Neben der Auseinande­rsetzung der beiden Figuren wird auch Naimas Hintergrun­d beleuchtet, etwa wenn der charmante Taxifahrer Mo (Hassan Akkouch) befürchtet, dass sich seine Freundin durch den möglichen gesellscha­ftlichen Aufstieg von der Clique und besonders von ihm entfernen könnte. Hier wird, wie auch an anderer Stelle, bisweilen mit recht groben Strichen gezeichnet. Dennoch bietet der Film mehr als nur gute Unterhaltu­ng und ein bestens aufgelegte­s Ensemble, wenn er appelliert, beim Gegenüber unter die Oberfläche zu schauen – egal, wie fremd man sich zunächst zu sein scheint.

Contra. Regie: Sönke Wortmann. Mit Nilam Farooq, Christoph Maria Herbst, Hassan Akkouch. Deutschlan­d 2020. 103 Minuten. FSK ab 12.

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FOTO: CONSTANTIN/DPA Naima (Nilam Farooq) studiert Jura, ihr Professor (Christoph Maria Herbst) beleidigt sie mit rassistisc­hen Bemerkunge­n und wird daraufhin verdonnert, die junge Frau im ersten Semester zu coachen.

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