Die Studentin und der alte weiße Mann
Die unterhaltsame Komödie „Contra“lebt von den beiden Hauptdarstellern Christoph Maria Herbst und Nilam Farooq
Manche Entwicklungen scheinen sich zu widersprechen: Zum einen sind die Sehgewohnheiten im Streaming-Zeitalter deutlich globalisierter geworden, auch spanische, südkoreanische oder deutsche Stoffe können zu weltweiten Erfolgen werden. Zum anderen erfreuen sich aber auch Remakes, also Adaptionen ausländischer Kinoerfolge für den heimischen Markt, wachsender Beliebtheit.
Bislang waren diese vor allem eine US-amerikanische Spezialität. So wollte man Synchronisation oder gar Untertitel den Zuschauern nicht zumuten. Darüber hinaus bot die komplette Neuverfilmung neben der Sprache noch einige weitere Vorteile: Für die Besetzung konnte man auf für das heimische Publikum bekanntere Darsteller zurückgreifen und die Geschichte zudem den kulturellen Eigenheiten anpassen.
Diese Gründe haben wohl dazu geführt, dass in Deutschland ebenfalls Filme Erfolge feierten, die auf ausländischen Produktionen beruhen. So lockte vor mehr als drei Jahren Regisseur Sönke Wortmann mit „Der Vorname“mehr als eine Million Zuschauer in die Kinos. Bei seiner Neuverfilmung eines gleichnamigen („Le Prénom“) französischen Films spielte Christoph Maria Herbst die Hauptrolle, bekannt geworden durch „Stromberg“, eine von vielen Variationen der englischen Sitcom „The Office“.
Wortmann und Herbst haben sich nun erneut zusammengetan, um einen Film für den deutschen Markt aufzubereiten: Die französisch-belgische Tragikomödie „Le brio“lief hierzulande unter dem Titel „Die brillante Mademoiselle Neïla“in den Kinos. Im Mittelpunkt steht ein Duund ell zwischen dem Professor Richard Pohl (Christoph Maria Herbst) und der Jura-Erstsemesterstudentin Naima (Nilam Farooq). Diese entstammt einer marokkanischen Familie, die in Deutschland nur geduldet wird, solange sie ihren Lebensunterhalt bestreiten kann. Dafür sind allerlei Gelegenheitsjobs notwendig.
Naima träumt aber davon, Anwältin zu werden, um ihrer Familie juristisch und finanziell unter die Arme zu greifen. Zu der zählen ihre Mutter (Meriam Abbas) und der jüngere Bruder Junis (Mohamed Issa), der allerdings auf die schiefe Bahn abzurutschen droht. Auch an Naimas erstem Tag an der Universität schert er aus und passt nicht auf den jüngsten Bruder Abu (Cristiano Papasimos) auf, weshalb Naima aufgehalten wird.
All diese Hintergründe kennt Pohl nicht, als die junge Frau mit einigen Minuten Verspätung in seine Vorlesung an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main hineinplatzt. Mit Arroganz lässt er die Störerin auflaufen und versteigt sich darüber hinaus zu einigen rassistischen
islamfeindlichen Bemerkungen. Dabei hätte er sich denken können, dass so ein Verhalten heutzutage schnell den Weg an die Öffentlichkeit findet: Mehrere Studierende filmen mit, teilen das Video online und schnell zieht ein Shitstorm in den sozialen Medien auf.
Da Pohl Wiederholungstäter ist, kann ihn auch sein Kollege und Präsident der Universität, Professor Alexander Lambrecht (Erich Stötzner). kaum vor einer Suspendierung retten. So schnell verliert man im wahren Leben als Beamter an einer deutschen Universität allerdings nicht seinen Job. Und auch die vorgeschlagene Lösung entspricht eher der Kinologik: Pohl soll Naima für einen Debattierwettbewerb coachen, um vor der Disziplinarkommission bessere Karten zu haben.
Die etwas weit hergeholte Prämisse ist aber notwendig, um zum Kern des Films vorzustoßen: Zwei absolut gegensätzliche Charaktere müssen zusammenarbeiten und entwickeln mit der Zeit zunehmend Respekt füreinander. Das ist ein ganz klassisches Kino-Motiv, entfaltet mit den passenden Darstellern aber zuverlässig seinen Reiz. Hier kommt Herbst ins Spiel: Das Publikum kennt ihn als „Stromberg“, ein Hanswurst mit grandioser Selbstüberschätzung, gleichzeitig kleinkariert, und dennoch nicht gänzlich unsympathisch. So gelingt ihm auch hier, der in der Vorlage durchgehend widerwärtigen Figur einige zusätzliche Facetten zu entlocken.
Nilam Farooq, Schauspielerin mit pakistanisch-polnischen Wurzeln und bekannt durch Serien wie „SOKO Leipzig“, erweist sich als ebenbürtige Sparringpartnerin: Ihre Filmfigur will zunächst nichts mit dem bösen alten weißen Mann zu tun haben, ergreift dann aber doch die seltene Chance, die sich ihr bietet. Die Filmemacher ziehen bei ihrer Entwicklung Parallelen zu „My Fair Lady“. Ein ganz so ungeschliffener Diamant wie Eliza Doolittle ist Naima allerdings nicht.
Neben der Auseinandersetzung der beiden Figuren wird auch Naimas Hintergrund beleuchtet, etwa wenn der charmante Taxifahrer Mo (Hassan Akkouch) befürchtet, dass sich seine Freundin durch den möglichen gesellschaftlichen Aufstieg von der Clique und besonders von ihm entfernen könnte. Hier wird, wie auch an anderer Stelle, bisweilen mit recht groben Strichen gezeichnet. Dennoch bietet der Film mehr als nur gute Unterhaltung und ein bestens aufgelegtes Ensemble, wenn er appelliert, beim Gegenüber unter die Oberfläche zu schauen – egal, wie fremd man sich zunächst zu sein scheint.
Contra. Regie: Sönke Wortmann. Mit Nilam Farooq, Christoph Maria Herbst, Hassan Akkouch. Deutschland 2020. 103 Minuten. FSK ab 12.