Klinik am See kämpft um Christoph 45
Medizin-Campus in Friedrichshafen erhebt schwere Vorwürfe gegen Innenministerium
- Im Kampf um den künftigen Standort des Rettungshubschraubers Christoph 45 übt das Klinikum Friedrichshafen massive Kritik am baden-württembergischen Innenministerium. Chefarzt und Zentrumsdirektor Volker Wenzel wirft vor allem Staatssekretär Wilfried Klenk (CDU) vor, eine sachliche Diskussion zu verweigern. Wenzel greift ein Gutachten massiv an, das die Verlegung von Christoph 45 von Friedrichshafen nach Norden ins Gebiet der Oberschwabenklinik vorschlägt. Er stellt die Unabhängigkeit des Gutachters infrage. Derweil läuft längst die Suche nach einem neuen Standort.
„Es besteht eindeutig ein Interessenkonflikt“, sagt Wenzel, Leitender Notarzt beim Medizin-Campus-Bodensee (MCB). Der Mediziner unterstellt eine Abhängigkeit zwischen dem Innenministerium des Landes als Auftrag- und Geldgeber sowie den Gutachtern vom Institut für Notfallmedizin und Medizinmanagement München (INM). Das Innenministerium verteidigt das Verfahren: Die Einholung von Gutachterexpertise entspreche allgemeiner Behördenpraxis, selbstverständlich werde diese Arbeit auch bezahlt. „Wieso ein Interessenkonflikt bestehen soll, erschließt sich nicht“, heißt es auf Anfrage.
Das Gutachten wurde im Mai 2020 veröffentlicht. Darin empfehlen die Autoren Christoph 45 nach Norden zu verlegen und schlagen Bavendorf (Kreis Ravensburg) als alternativen Standort vor. Als Grund nennen sie unter anderem eine Versorgungslücke im Landkreis Sigmaringen, die durch die Verlegung des Hubschraubers nach Norden aus ihrer Sicht besser abgedeckt wäre. Aufgrund von Nebel könne der Helikopter außerdem zu häufig nicht von Friedrichshafen aus starten, heißt es im Gutachten. „Dieses enthält aber gravierende methodische Fehler“, sagt Wenzel dazu, „unsere Argumente werden ignoriert.“Wenzel führt viele Kritikpunkte an, er bezweifelt dessen Aussagen zu Fluggeschwindigkeiten von Hubschraubern, zur Art der Alarmierung, Wetterdaten und vieles mehr.
Im Innenministerium in Stuttgart stößt er damit laut eigener Aussage auf Granit: „Man verweigert jede Diskussion und inhaltliche Bewertung“, sagt Wenzel, „man besteht darauf, dass man recht hat, da ist was faul.“Der Facharzt fordert jetzt eine unabhängige Bewertung des Gutachtens. Das lehne das Haus von Thomas Strobl (CDU) aber kategorisch ab. „Bei jeder Ortsumgehung gibt es Mediationsverfahren, aber in einem zentralen Punkt der öffentlichen Daseinsfürsorge wie der Luftrettung lehnt man das ab.“Öffentlichkeitsbeteiligung bedeute für das Innenministerium, einfach mitzuteilen, was man mache, ohne an konstruktiver Kritik interessiert zu sein. „Eine Sichtweise von vorgestern“, sagt Wenzel. Das Innenministerium plane aufgrund eines Staatssekretärs und eines bayerischen Gutachters die Luftrettung in Baden-Württemberg signifikant zu verändern. Zwei Personen würden für elf Millionen Menschen entscheiden.
Die Fronten sind also verhärtet. Das wird auch in einem Antwortschreiben des zuständigen Staatssekretärs Wilfried Klenk ans Klinikum deutlich. Es liegt der „Schwäbischen Zeitung“vor: „Obwohl die von Ihnen betriebene Kampagne bei mir persönlich alles andere als einen positiven Eindruck hinterlassen hat, kann ich den Menschen in der Region versichern, dass die anstehenden Entscheidungen allein fachlich basiert sein werden (...)“, schreibt Klenk. Das Innenministerium habe umfassend Stellung genommen, schreibt ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage. Dabei sei es gerade auch um die fachlichen Details des Gutachtens gegangen, „wobei die Einlassungen des Klinikums Friedrichshafen weder vonseiten des Innenministeriums
noch vonseiten der Münchener Gutachter geteilt werden.“
Das Ministerium bestätigt weiter, dass das Gutachten „vollständig umgesetzt werden soll“. Das heißt, Christoph 45 wird Stand heute nach Norden verlegt. Das Regierungspräsidium Tübingen sei beauftragt worden, „standortbezogene Umsetzungsbewertungen zu erstellen“. Ziel sei es, die Entscheidung des Innenministeriums für einen neuen Abflugplatz anhand eines einheitlichen Rankings vorzubereiten.
Dass sich der Landtag doch noch mit dem Thema befassen muss, haben Wenzel und das Klinikum mit der Petition „Christoph 45 bleibt hier!“erreicht, die über 30 000 Menschen unterzeichnet haben. Auch in Leonberg (Kreis Böblingen) läuft eine Petition gegen das Gutachten und für den Verbleib des dortigen Helikopters Christoph 41. Dass es in der Sache auch für den MCB um viel geht, ist klar: „Wir haben 43 engagierte Notärzte beim Medizin-Campus-Bodensee, 15 davon fliegen mit dem Hubschrauber“, hatte Wenzel Ende 2020 der „Schwäbischen Zeitung“gesagt. Viele von denen seien auch wegen des Hubschraubers hier. Und: „Das ist ganz klar ein Alleinstellungsmerkmal für das Klinikum Friedrichshafen. Der Abzug des Hubschraubers wäre für uns eine fundamentale Veränderung.“Nach längerem Schweigen in der Sache hat man sich bei der Oberschwabenklinik (OSK) in Ravensburg klar positioniert: „Wir halten die Annahmen im Gutachten für zutreffend“, sagte Geschäftsführer Oliver Adolph im August. Die OSK sei auf eine Verlegung des Rettungshubschraubers vorbereitet. Laut Ministerium könnten künftig die Klinikverbünde in Ravensburg und Friedrichshafen vom Rettungshubschrauber profitieren. So werde der künftige Standort an einen geeigneten Luftrettungsbetreiber vergeben, dafür werde es eine Ausschreibung geben. Die Frage der ärztlichen Besetzung sei hiervon aber getrennt zu sehen und hänge ausschließlich von fachlichen Gesichtspunkten und dem künftigen Standort ab. „Grundsätzlich kann der Standort auch von mehreren Kliniken notärztlich besetzt werden“, heißt es. Eine Entscheidung sei hierzu noch nicht gefallen.
„Verlieren geht nur, wenn die Argumente der anderen besser sind“, sagt Wenzel. Im aktuellen Fall seien Staatssekretär und Gutachter Staatsanwalt und Richter in Personalunion, meint er. „Und Argumente der Verteidigung sind nicht zugelassen. Wann wird das Innenministerium begreifen, dass es für die Bürger da ist und nicht umgekehrt?“