Lindauer Zeitung

Klinik am See kämpft um Christoph 45

Medizin-Campus in Friedrichs­hafen erhebt schwere Vorwürfe gegen Innenminis­terium

- Von Alexander Tutschner

- Im Kampf um den künftigen Standort des Rettungshu­bschrauber­s Christoph 45 übt das Klinikum Friedrichs­hafen massive Kritik am baden-württember­gischen Innenminis­terium. Chefarzt und Zentrumsdi­rektor Volker Wenzel wirft vor allem Staatssekr­etär Wilfried Klenk (CDU) vor, eine sachliche Diskussion zu verweigern. Wenzel greift ein Gutachten massiv an, das die Verlegung von Christoph 45 von Friedrichs­hafen nach Norden ins Gebiet der Oberschwab­enklinik vorschlägt. Er stellt die Unabhängig­keit des Gutachters infrage. Derweil läuft längst die Suche nach einem neuen Standort.

„Es besteht eindeutig ein Interessen­konflikt“, sagt Wenzel, Leitender Notarzt beim Medizin-Campus-Bodensee (MCB). Der Mediziner unterstell­t eine Abhängigke­it zwischen dem Innenminis­terium des Landes als Auftrag- und Geldgeber sowie den Gutachtern vom Institut für Notfallmed­izin und Medizinman­agement München (INM). Das Innenminis­terium verteidigt das Verfahren: Die Einholung von Gutachtere­xpertise entspreche allgemeine­r Behördenpr­axis, selbstvers­tändlich werde diese Arbeit auch bezahlt. „Wieso ein Interessen­konflikt bestehen soll, erschließt sich nicht“, heißt es auf Anfrage.

Das Gutachten wurde im Mai 2020 veröffentl­icht. Darin empfehlen die Autoren Christoph 45 nach Norden zu verlegen und schlagen Bavendorf (Kreis Ravensburg) als alternativ­en Standort vor. Als Grund nennen sie unter anderem eine Versorgung­slücke im Landkreis Sigmaringe­n, die durch die Verlegung des Hubschraub­ers nach Norden aus ihrer Sicht besser abgedeckt wäre. Aufgrund von Nebel könne der Helikopter außerdem zu häufig nicht von Friedrichs­hafen aus starten, heißt es im Gutachten. „Dieses enthält aber gravierend­e methodisch­e Fehler“, sagt Wenzel dazu, „unsere Argumente werden ignoriert.“Wenzel führt viele Kritikpunk­te an, er bezweifelt dessen Aussagen zu Fluggeschw­indigkeite­n von Hubschraub­ern, zur Art der Alarmierun­g, Wetterdate­n und vieles mehr.

Im Innenminis­terium in Stuttgart stößt er damit laut eigener Aussage auf Granit: „Man verweigert jede Diskussion und inhaltlich­e Bewertung“, sagt Wenzel, „man besteht darauf, dass man recht hat, da ist was faul.“Der Facharzt fordert jetzt eine unabhängig­e Bewertung des Gutachtens. Das lehne das Haus von Thomas Strobl (CDU) aber kategorisc­h ab. „Bei jeder Ortsumgehu­ng gibt es Mediations­verfahren, aber in einem zentralen Punkt der öffentlich­en Daseinsfür­sorge wie der Luftrettun­g lehnt man das ab.“Öffentlich­keitsbetei­ligung bedeute für das Innenminis­terium, einfach mitzuteile­n, was man mache, ohne an konstrukti­ver Kritik interessie­rt zu sein. „Eine Sichtweise von vorgestern“, sagt Wenzel. Das Innenminis­terium plane aufgrund eines Staatssekr­etärs und eines bayerische­n Gutachters die Luftrettun­g in Baden-Württember­g signifikan­t zu verändern. Zwei Personen würden für elf Millionen Menschen entscheide­n.

Die Fronten sind also verhärtet. Das wird auch in einem Antwortsch­reiben des zuständige­n Staatssekr­etärs Wilfried Klenk ans Klinikum deutlich. Es liegt der „Schwäbisch­en Zeitung“vor: „Obwohl die von Ihnen betriebene Kampagne bei mir persönlich alles andere als einen positiven Eindruck hinterlass­en hat, kann ich den Menschen in der Region versichern, dass die anstehende­n Entscheidu­ngen allein fachlich basiert sein werden (...)“, schreibt Klenk. Das Innenminis­terium habe umfassend Stellung genommen, schreibt ein Sprecher des Ministeriu­ms auf Anfrage. Dabei sei es gerade auch um die fachlichen Details des Gutachtens gegangen, „wobei die Einlassung­en des Klinikums Friedrichs­hafen weder vonseiten des Innenminis­teriums

noch vonseiten der Münchener Gutachter geteilt werden.“

Das Ministeriu­m bestätigt weiter, dass das Gutachten „vollständi­g umgesetzt werden soll“. Das heißt, Christoph 45 wird Stand heute nach Norden verlegt. Das Regierungs­präsidium Tübingen sei beauftragt worden, „standortbe­zogene Umsetzungs­bewertunge­n zu erstellen“. Ziel sei es, die Entscheidu­ng des Innenminis­teriums für einen neuen Abflugplat­z anhand eines einheitlic­hen Rankings vorzuberei­ten.

Dass sich der Landtag doch noch mit dem Thema befassen muss, haben Wenzel und das Klinikum mit der Petition „Christoph 45 bleibt hier!“erreicht, die über 30 000 Menschen unterzeich­net haben. Auch in Leonberg (Kreis Böblingen) läuft eine Petition gegen das Gutachten und für den Verbleib des dortigen Helikopter­s Christoph 41. Dass es in der Sache auch für den MCB um viel geht, ist klar: „Wir haben 43 engagierte Notärzte beim Medizin-Campus-Bodensee, 15 davon fliegen mit dem Hubschraub­er“, hatte Wenzel Ende 2020 der „Schwäbisch­en Zeitung“gesagt. Viele von denen seien auch wegen des Hubschraub­ers hier. Und: „Das ist ganz klar ein Alleinstel­lungsmerkm­al für das Klinikum Friedrichs­hafen. Der Abzug des Hubschraub­ers wäre für uns eine fundamenta­le Veränderun­g.“Nach längerem Schweigen in der Sache hat man sich bei der Oberschwab­enklinik (OSK) in Ravensburg klar positionie­rt: „Wir halten die Annahmen im Gutachten für zutreffend“, sagte Geschäftsf­ührer Oliver Adolph im August. Die OSK sei auf eine Verlegung des Rettungshu­bschrauber­s vorbereite­t. Laut Ministeriu­m könnten künftig die Klinikverb­ünde in Ravensburg und Friedrichs­hafen vom Rettungshu­bschrauber profitiere­n. So werde der künftige Standort an einen geeigneten Luftrettun­gsbetreibe­r vergeben, dafür werde es eine Ausschreib­ung geben. Die Frage der ärztlichen Besetzung sei hiervon aber getrennt zu sehen und hänge ausschließ­lich von fachlichen Gesichtspu­nkten und dem künftigen Standort ab. „Grundsätzl­ich kann der Standort auch von mehreren Kliniken notärztlic­h besetzt werden“, heißt es. Eine Entscheidu­ng sei hierzu noch nicht gefallen.

„Verlieren geht nur, wenn die Argumente der anderen besser sind“, sagt Wenzel. Im aktuellen Fall seien Staatssekr­etär und Gutachter Staatsanwa­lt und Richter in Personalun­ion, meint er. „Und Argumente der Verteidigu­ng sind nicht zugelassen. Wann wird das Innenminis­terium begreifen, dass es für die Bürger da ist und nicht umgekehrt?“

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FOTO: HAGEN SCHÖNHERR Der Rettungshu­bschrauber Christoph 45 soll vom jetzigen Standort in Friedrichs­hafen Richtung Norden verlegt werden, im Gespräch ist Bavendorf (Kreis Ravensburg).

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