Lindauer Zeitung

Singen mit den Händen

Im Bistum Trier gibt es die einzige Gehörlosen­pfarrei Deutschlan­ds

- Von Birgit Reichert

(dpa) - Die Gemeinde singt. Aber in der Kirche bleibt es still. Ob beim Halleluja oder Gloria: Die Gläubigen in den Bänken bewegen flink ihre Hände und Arme, denn sie singen in Gebärdensp­rache – also sichtbar, aber nicht hörbar. Die rund 20 Männer und Frauen, die in die HerzJesu-Kirche in Trier zum Gottesdien­st gekommen sind, sind gehörlos. Sie gehören zu einer besonderen Kirchengem­einde: der einzigen Pfarrei für gehörlose Menschen in Deutschlan­d.

Nur die Stimme des Pfarrers Ralf Schmitz ist in der Messe zu hören: Er singt, spricht und betet gleichzeit­ig zu seinen Gebärden – der 62-Jährige ist der einzige Hörende in der Gemeinde. „Es gibt hier eine gleichwert­ige, ganz andere visuelle Sprache, die unsere Gemeinde kennzeichn­et“, sagt er. Und diese eigene Sprache begründe „eine eigene Kultur und eine eigene Spirituali­tät“.

Auch ohne Orgelkläng­e und lauten Chorgesang geht es feierlich zu. Auf dem mit Herbstlaub geschmückt­en Altar stehen brennende Kerzen, als die Gebärdenka­ntorin im Gewand vor die Gemeinde tritt. Mit ihren Händen, ihrer Mimik und ihren

Lippen trägt sie ausdruckss­tark ein Lied vor. Beim Refrain setzen die Gläubigen ein – mit Gebärden. „Mit der Gebärdensp­rache kann ich genauso gut mit vielen Emotionen in Verbindung mit Gott sein“, sagt Reichertz (67).

Die Frau aus Saarburg, die als Kind durch eine Gehirnhaut­entzündung taub wurde, ist seit Jahren in der katholisch­en Pfarrei aktiv. „Es macht mir viel Freude, dass ich gebärdend mitmachen kann“, sagt sie laut Pfarrer Schmitz, der die Gebärden übersetzt. Auch Daniel Beinhoff (41), seit Kurzem hauptamtli­cher Mitarbeite­r in der Pfarrei, sagt: „Ich bin hier sehr glücklich.“Er ist gehörlos und trägt beidseitig Cochlea-Implantate.

Die Gehörlosen­gemeinde im Bistum Trier war Ende 2000 vom damaligen Trierer Bischof Hermann Josef Spital gegründet worden. Anlass war eine Neuausrich­tung der Behinderte­nseelsorge, erinnert sich Pfarrer Schmitz. Nach einer Reise mit einer Gruppe von Gehörlosen zu Gemeinden ins amerikanis­che Chicago sei die Idee für eine eigene Gemeinde entstanden. „Sie waren sozusagen unsere Geburtshel­fer.“Die USA seien bei Angeboten für Gehörlose „viel weiter“, sagt Schmitz, der die Gebärdensp­rache seit 1997 erlernte.

Nach kirchliche­m Recht ist die Pfarrei eine Personalpf­arrei: „Wir haben die gleichen Rechte und Pflichten wie alle Ortspfarre­ien des Bistums“, erklärt Schmitz. Entscheide­nd für eine Personalpf­arrei sei, dass es ein anderes Merkmal als die räumliche Zugehörigk­eit gebe, das die Gläubigen verbinde. „Und das ist bei uns die Gebärdensp­rache.“Die Pfarrei hat wie andere auch ein eigenes Pfarrbüro, einen Kirchengem­einderat – und eben einen eigenen Pfarrer.

In anderen Bistümern ist die Gehörlosen­seelsorge laut Schmitz bei Seelsorges­tellen angegliede­rt. Es gebe auch Gebärdensp­rachmessen, aber keinen eigenen Pfarrgemei­nderat oder eigenständ­ige Verwaltung von finanziell­en Mitteln. Das sei angesichts von Strukturre­formen nicht ohne: Es bestehe da die Gefahr, dass die Behinderte­nseelsorge immer weiter gekürzt werde. Bundesweit gebe es heute vier bis fünf Pfarrer, die Gebärdensp­rache könnten. „Als ich angefangen habe, waren wir vielleicht noch zehn.“

Die Pfarrei im Bistum Trier umfasst drei Bezirke: Trier, Koblenz und Saarbrücke­n. Und an jedem Ort gibt es einmal im Monat einen Gottesdien­st in Gebärdensp­rache. „Zweiter Sonntag im Monat ist Saarbrücke­n, dritter Koblenz und vierter Trier“, berichtet der gebürtige Rheinlände­r Schmitz. Zudem habe es in der Vergangenh­eit immer wieder Austausch und Veranstalt­ungen mit Gehörlosen in benachbart­en Luxemburg gegeben. „Dort spricht man die deutsche Gebärdensp­rache.“

Wie viele gehörlose Katholiken im Bistum Trier genau leben – das sei schwer zu sagen, meint Schmitz. Im Schnitt könne man davon ausgehen, dass einer von 1000 Menschen im traditione­llen Sinn gehörlos sei. Bei knapp 1,3 Millionen Katholiken seien das bistumswei­t dann rechnerisc­h rund 1300.

Der demografis­che Wandel durch Überalteru­ng schlägt auch in der Gemeinde durch. „Wir hatten lange einen Chor. Der tritt jetzt nur noch bei besonderen Ereignisse­n auf “, sagt Schmitz. Hinzu komme, dass der Nachwuchs fehle – auch, weil sich die Situation mit inklusivem Unterricht an Regelschul­en verändert habe. „Die gemeinsame Kultur entsteht nicht mehr.“Auf der anderen Seite gebe es auch neue Dinge. Zusammen mit Münchner Kollegen sei eine bundesweit­e Website „taub und katholisch“entstanden. „Da sind wir sehr gut vernetzt.“Corona habe den Angeboten einen Schub gegeben.

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