Ein Meistergeiger als Balladensänger
Joshua Bell, Alan Gilbert und das NDR Elbphilharmonie Orchester begeistern mit Bruch und Bruckner
- So spektakulär wie die künstlerische Heimat der Gäste ist das Graf-Zeppelin-Haus zwar nicht, doch der Blick über den Bodensee hinüber in die Schweiz mag auch die Musikerinnen und Musiker des NDR Elbphilharmonie Orchesters, ihren Chefdirigenten Alan Gilbert und ihren Solisten Joshua Bell begeistert haben – besonders an so einem goldenen Oktobersonntag. Inspiration und Interpretation in Max Bruchs „Schottischer Fantasie“und Anton Bruckners vierter Symphonie, beide Werke sind zur gleichen Zeit um 1880 entstanden, boten einen tollen Start in die neue Konzertsaison.
Das Violinkonzert in g-Moll von Max Bruch ist ein Schlager im Violinrepertoire. Seine Berühmtheit verstellt den Blick auf andere Werke des Komponisten, der seiner romantischen Tonsprache in der Nachfolge von Mendelssohn und Schumann immer treu blieb. Seine „Schottische Fantasie“vereint ebenso farbige Orchestersprache, spieltechnischen Anspruch für den Solisten und Atmosphäre durch den Einsatz von Volksliedmelodien. Ob Bruch allerdings wirklich in Schottland war, ist nicht sicher. Doch kann man sich mit der Solovioline, die oft von Harfenklängen begleitet wird, einen Balladensänger vorstellen, während das Orchester die kommentierende Gesellschaft vertritt.
Joshua Bell, der amerikanische Virtuose, der vor ein paar Jahren auch als Solist und Dirigent „seiner“Academy of St. Martin in the Fields hier zu Gast war, wirkt ganz entspannt, souverän. Immer wieder tritt er in Beziehung
mit dem Orchester, wird getragen von den Bläsern, vermittelt Leichtigkeit auch in komplizierten Passagen, wenn die Melodie eingebettet ist in Doppelgriffe oder Varianten. Sein Ton hat Wärme, Brillanz und Seele und im spritzigen Finale gibt es einen ebenso bodenständigen wie virtuosen Rundtanz.
Bruckners vierte Symphonie, genannt die „Romantische“, ist vielleicht die zugänglichste unter den oft so massiv wirkenden neun Symphonien des Oberösterreichers. Das NDR Elbphilharmonie Orchester, unter der Leitung des gebürtigen Amerikaners Alan Gilbert, pflegt einen eher schlanken, fließenden Klang, der das Weihevolle der Blechbläser gleichwohl herausarbeitet. Gilbert hat ein gutes Händchen für die großen Aufschwünge, die Proportionen, die Ruhe und Sammlung, aus der dann wieder neue Steigerungen entstehen.
Der über leisem Streichertremolo aufsteigende Hornruf – eine Prüfung für jeden Hornisten! – klingt am Ende des ersten Satzes kraftvoll und selbstbewusst, Bruckners typische Triolenfiguren fügen sich ganz organisch ein. Im langsamen Satz erzeugt der Dirigent große Wärme durch differenzierte Dynamik und feine Übergänge zwischen den Instrumentengruppen. Da klingt der große Klangkörper dann wie ein Kammermusikensemble, auch weil Gilbert den symphonischen Koloss auswendig dirigiert und ganz bei seinen Musikerinnen und Musikern ist. Und das Finale modelliert der Dirigent mit großer Klarheit. Dass diese Brucknerinterpretation bei aller kontrastreichen Dynamik nie plakativ wirkt, charakterisiert diesen umjubelten Abend außerdem.