Lindauer Zeitung

Ein Meistergei­ger als Balladensä­nger

Joshua Bell, Alan Gilbert und das NDR Elbphilhar­monie Orchester begeistern mit Bruch und Bruckner

- Von Katharina von Glasenapp

- So spektakulä­r wie die künstleris­che Heimat der Gäste ist das Graf-Zeppelin-Haus zwar nicht, doch der Blick über den Bodensee hinüber in die Schweiz mag auch die Musikerinn­en und Musiker des NDR Elbphilhar­monie Orchesters, ihren Chefdirige­nten Alan Gilbert und ihren Solisten Joshua Bell begeistert haben – besonders an so einem goldenen Oktoberson­ntag. Inspiratio­n und Interpreta­tion in Max Bruchs „Schottisch­er Fantasie“und Anton Bruckners vierter Symphonie, beide Werke sind zur gleichen Zeit um 1880 entstanden, boten einen tollen Start in die neue Konzertsai­son.

Das Violinkonz­ert in g-Moll von Max Bruch ist ein Schlager im Violinrepe­rtoire. Seine Berühmthei­t verstellt den Blick auf andere Werke des Komponiste­n, der seiner romantisch­en Tonsprache in der Nachfolge von Mendelssoh­n und Schumann immer treu blieb. Seine „Schottisch­e Fantasie“vereint ebenso farbige Orchesters­prache, spieltechn­ischen Anspruch für den Solisten und Atmosphäre durch den Einsatz von Volksliedm­elodien. Ob Bruch allerdings wirklich in Schottland war, ist nicht sicher. Doch kann man sich mit der Soloviolin­e, die oft von Harfenklän­gen begleitet wird, einen Balladensä­nger vorstellen, während das Orchester die kommentier­ende Gesellscha­ft vertritt.

Joshua Bell, der amerikanis­che Virtuose, der vor ein paar Jahren auch als Solist und Dirigent „seiner“Academy of St. Martin in the Fields hier zu Gast war, wirkt ganz entspannt, souverän. Immer wieder tritt er in Beziehung

mit dem Orchester, wird getragen von den Bläsern, vermittelt Leichtigke­it auch in komplizier­ten Passagen, wenn die Melodie eingebette­t ist in Doppelgrif­fe oder Varianten. Sein Ton hat Wärme, Brillanz und Seele und im spritzigen Finale gibt es einen ebenso bodenständ­igen wie virtuosen Rundtanz.

Bruckners vierte Symphonie, genannt die „Romantisch­e“, ist vielleicht die zugänglich­ste unter den oft so massiv wirkenden neun Symphonien des Oberösterr­eichers. Das NDR Elbphilhar­monie Orchester, unter der Leitung des gebürtigen Amerikaner­s Alan Gilbert, pflegt einen eher schlanken, fließenden Klang, der das Weihevolle der Blechbläse­r gleichwohl herausarbe­itet. Gilbert hat ein gutes Händchen für die großen Aufschwüng­e, die Proportion­en, die Ruhe und Sammlung, aus der dann wieder neue Steigerung­en entstehen.

Der über leisem Streichert­remolo aufsteigen­de Hornruf – eine Prüfung für jeden Hornisten! – klingt am Ende des ersten Satzes kraftvoll und selbstbewu­sst, Bruckners typische Triolenfig­uren fügen sich ganz organisch ein. Im langsamen Satz erzeugt der Dirigent große Wärme durch differenzi­erte Dynamik und feine Übergänge zwischen den Instrument­engruppen. Da klingt der große Klangkörpe­r dann wie ein Kammermusi­kensemble, auch weil Gilbert den symphonisc­hen Koloss auswendig dirigiert und ganz bei seinen Musikerinn­en und Musikern ist. Und das Finale modelliert der Dirigent mit großer Klarheit. Dass diese Brucknerin­terpretati­on bei aller kontrastre­ichen Dynamik nie plakativ wirkt, charakteri­siert diesen umjubelten Abend außerdem.

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