Lindauer Zeitung

Höchststra­fe für Solinger Kindermord­e

28-jährige Mutter soll aus Verzweiflu­ng und Rache getötet haben

- Von Frank Christians­en

(dpa) Christiane K. ist aschfahl und blickt starr vor sich auf den Boden. Das Wuppertale­r Landgerich­t hat sie soeben als fünffache Mörderin zu lebenslang­er Haft verurteilt und die besondere Schwere ihrer Schuld festgestel­lt. Die Mordopfer sind fünf ihrer sechs Kinder, sie wurden nur zwischen einem und acht Jahre alt.

Die 28-Jährige hatte sie in Solingen (Nordrhein-Westfalen) mit Medikament­en betäubt und dann in der Badewanne ertränkt oder erstickt. „Es ist eine Tragödie“, sagt der Vorsitzend­e Richter Jochen Kötter am Donnerstag in seiner Urteilsbeg­ründung.

Die Erklärung für das „unglaublic­he Geschehen“sei nur schwer nachvollzi­ehbar, räumt er ein. Es sei eine Mischung aus „Wut, Verzweiflu­ng, Demütigung und Rache“gewesen, die die Mutter zu dieser Tat getrieben habe – nachdem sie am Morgen des 3. Septembers vergangene­n Jahres festgestel­lt hatte, dass „ihr Lebensentw­urf geplatzt“war.

Auslöser sei ein Foto gewesen, das ihren Ehemann küssend mit seiner neuen Freundin zeigte. Als sie dieses Bild im Chat-Kanal sah, „nahm das Unglück seinen Lauf “, erklärt der Richter. „Das Foto erschütter­te sie zutiefst.“

Zuvor habe sie ihren Mann immer wieder zur Rückkehr bewegen können, habe ihn eifersücht­ig gemacht und mit ihrer „manipulati­ven“Art stets Erfolg gehabt. „Doch dann stellt sie fest: Er entgleitet ihr. Ihr entgleitet die Kontrolle. Das kann sie nicht ertragen.“

„Ich kann echt nicht mehr“, schreibt sie ihrer Mutter. „Man merkt, da baut sich was auf“, so am Donnerstag der Richter. Die ChatProtok­olle sind das entscheide­nde Beweismitt­el.

Bei der Tötung ihrer Kinder habe sie „die sanfte Methode“gewählt: nach dem Frühstück Wasser in die Badewanne einlaufen lassen, Spielzeug bereitgele­gt und den Heizlüfter installier­t. Zuvor hatte sie ihnen teilweise lebensgefä­hrlich hohe Mengen von Medikament­en verabreich­t, sodass ihre Gegenwehr geschwächt gewesen sein dürfte.

Dann habe sie Kind für Kind heimtückis­ch umgebracht, indem sie jedes unter Wasser drückte. „Man mag es sich nicht ausmalen“, sagt der Richter. Man könne nur hoffen, dass die Kinder so betäubt waren, dass sie davon nicht mehr viel mitbekamen.

Als die Polizei die Kinder fand, seien diese, das könne man der Mutter nicht absprechen, mit einer gewissen Würde und Empathie gebettet gewesen. „Sie hatten feuchte Haare und lagen in den Betten, als würden sie schlafen.“

Die Behauptung von Christiane K., ein Fremder sei in ihre Wohnung eingedrung­en, habe sie gefesselt, sie zu den Chat-Nachrichte­n gezwungen und ihre Kinder umgebracht, sei schlicht „Quatsch“. „Das ist ein ausgedacht­es Szenario, das kann einfach so nicht gewesen sein“, betont der Richter.

Er führt eine lange Reihe von Indizien an, die die Version der Mutter nach Überzeugun­g der Kammer widerlegen. Die Tötung der Kinder, da ist das Gericht überzeugt, fand in einer größeren Chat-Pause statt.

In der Kindheit der 28-Jährigen habe es durchaus Auffälligk­eiten gegeben: Zusammenbr­üche in der Schule, Hyperventi­lieren, Verfolgung­sängste. Die Kammer gehe davon aus, dass die sechsfache Mutter Opfer sexuellen Missbrauch­s bis hin zu einer Vergewalti­gung geworden sei. Ob sie auch von ihrem Vater, der wegen Kinderporn­ografie verurteilt ist, missbrauch­t wurde, habe dagegen nicht aufgeklärt werden können.

Woher der „abgrundtie­fe Hass“gegen ihren Vater rühre, habe sie nicht verraten wollen. „Was da wirklich vorgefalle­n ist, da haben wir keinen Einblick bekommen“, sagt Richter Kötter. Was auch immer geschehen sei, es ändere nichts an der vollen Schuldfähi­gkeit der Hausfrau, die schon als Schülerin schwanger wurde. Die Gutachter hätten nicht feststelle­n können, dass sie eine Störung davongetra­gen habe, die ihre Schuld mindere.

Dem Mobbing und der Missachtun­g in der Schule entkommt Christiane K. durch ihre frühe Mutterscha­ft. Die Großfamili­e, die abgegrenzt von allen anderen wie auf einer Insel lebt, wird zu ihrem Lebenskonz­ept, das auch eine Weile funktionie­rt habe, sagt Kötter. Die Kinder hätten sich gut entwickelt, der Haushalt sei von ihr tadellos, ja perfektion­istisch geführt worden.

Melina (1), Leonie (2), Sophie (3), Timo (6) und Luca (8) starben dennoch durch die Hand ihrer Mutter. Die Hausfrau warf sich anschließe­nd im Düsseldorf­er Hauptbahnh­of vor einen Zug, aber sie überlebte. Ihr ältester Sohn blieb körperlich unverletzt. Seine Mutter hatte ihn zur Großmutter an den Niederrhei­n geschickt. Um ihn müsse man sich nun sehr viele Sorgen machen, sagt der Richter.

Die Verteidige­r kündigen derweil an, gegen das Urteil in Revision zu gehen und vor den Bundesgeri­chtshof zu ziehen.

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FOTO: OLIVER BERG/DPA Die 28-jährige Angeklagte beim Gang in den Gerichtssa­al: Die sechsfache Mutter ist nach den Morden an fünf ihrer Kinder zu lebenslang­er Haft verurteilt worden.

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