Konflikt in Äthiopien spitzt sich zu
Die Rebellen nähern sich der Hauptstadt – Im Kreuzfeuer befinden sich Zivilisten
(dpa) - Afrikas zweitgrößtes Land Äthiopien droht zu implodieren. Der Konflikt zwischen der Regierung und Rebellen aus der nördlichen Region Tigray erfasst wachsende Teile des Landes. Die Konfliktparteien liefern sich immer härtere Gefechte. Hunderttausende sind bereits vor der Gewalt geflohen; etwa 400 000 Menschen sind vom Hungertod bedroht. Die Zivilbevölkerung beider Seiten wünscht sich eine Rückkehr zum Frieden.
Hunderttausende protestierten in von der Regierung organisierten Demonstrationen am Sonntag in zahlreichen Städten des Landes gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF). Die Regierung hatte vor einigen Tagen den Ausnahmezustand verhängt, der dem Ministerpräsidenten Abiy Ahmed Sondervollmachten gibt. Zudem forderte er die Bevölkerung auf, gegen die Rebellen zu den Waffen zu greifen. Demonstranten riefen Slogans wie „Ich bin Schutzherr meines Landes“und „Die Junta (gemeint ist die TLPF) ist Äthiopiens Feind Nummer 1“.
Der Druck auf Abiy wächst allerdings. Die TPLF steht nach eigenen Angaben weniger als 350 Kilometer vor der Hauptstadt. Am Freitag unterzeichneten neun äthiopische Oppositionsfraktionen in Washington ein Bündnis gegen Abiys Regierung. Man wolle den Ministerpräsidenten durch „Verhandlungen oder mit Gewalt“dazu bringen, eine Übergangsregierung zu bilden, hieß es. „Abiys Zeit läuft ab“, sagte Berhane Gebrekristos, ein TPLF-Anführer und ehemaliger äthiopischer US-Botschafter (1992-2002).
Abiy hatte vor einem Jahr eine Militäroffensive gegen die TPLF begonnen, die bis dahin in der nördlichen Region Tigray an der Macht war. Die TPLF dominierte Äthiopien mit seinen rund 115 Millionen Einwohnern gut 25 Jahre lang, bis Abiy 2018 an die Macht kam und sie verdrängte. Führende Mitglieder der äthiopischen Armee kamen aus Tigray und liefen zur TPLF über, wodurch die Rebellen schnell große Erfolge erzielen konnten. Die gut ausgebildeten Kämpfer der Rebellengruppe sind seit Juli auf dem Vormarsch. Die von der Regierung organisierten Proteste
richteten sich auch gegen die internationale Gemeinschaft. Der UNSicherheitsrat hatte am Freitag ein Ende der Gewalt gefordert. Für die kommenden Tage hat der Sicherheitsrat eine weitere Sitzung anberaumt. Das mächtigste UN-Gremium verlangt von den Parteien, einen Waffenstillstand auszuhandeln. „Auf hetzerische Hassreden und Aufstachelung zu Gewalt und Spaltung“müsse verzichtet werden.
Hunderte von Flüchtlingen aus den Konfliktregionen Tigray, Amhara and Afar trafen am Wochenende in der Hauptstadt Addis Abeba ein. Eine davon, Misganaw Abera, berichtete, dass sie während des mehrwöchigen Fußmarsches brutale Gewalt und Vergewaltigungen gesehen habe. Nun hofft sie auf Sicherheit in der Hauptstadt – doch fürchtet sich vor den Regierungssoldaten. Viele der aus Tigray stammenden Menschen sind in vergangenen Tagen verhaftet und in Militärfahrzeugen aus der Stadt gefahren worden. Die Polizei bestätigte am Samstag, dass es eine „Aufräumaktion“gegeben habe.
Die Rebellen konnten sich inzwischen Zugang zu einer der wichtigsten Autobahnen im Land verschaffen und haben nach einigen Angaben die Städte Dessie und Kobolcha unter ihre Kontrolle gebracht. Berichten zufolge sollen die Milizen auch versuchen, die wichtige Versorgungsroute vom Hafen im Nachbarland Dschibuti nach Addis Abeba zu kappen.