Lindauer Zeitung

Konflikt in Äthiopien spitzt sich zu

Die Rebellen nähern sich der Hauptstadt – Im Kreuzfeuer befinden sich Zivilisten

- Von Kristin Palitza

(dpa) - Afrikas zweitgrößt­es Land Äthiopien droht zu implodiere­n. Der Konflikt zwischen der Regierung und Rebellen aus der nördlichen Region Tigray erfasst wachsende Teile des Landes. Die Konfliktpa­rteien liefern sich immer härtere Gefechte. Hunderttau­sende sind bereits vor der Gewalt geflohen; etwa 400 000 Menschen sind vom Hungertod bedroht. Die Zivilbevöl­kerung beider Seiten wünscht sich eine Rückkehr zum Frieden.

Hunderttau­sende protestier­ten in von der Regierung organisier­ten Demonstrat­ionen am Sonntag in zahlreiche­n Städten des Landes gegen die Volksbefre­iungsfront von Tigray (TPLF). Die Regierung hatte vor einigen Tagen den Ausnahmezu­stand verhängt, der dem Ministerpr­äsidenten Abiy Ahmed Sondervoll­machten gibt. Zudem forderte er die Bevölkerun­g auf, gegen die Rebellen zu den Waffen zu greifen. Demonstran­ten riefen Slogans wie „Ich bin Schutzherr meines Landes“und „Die Junta (gemeint ist die TLPF) ist Äthiopiens Feind Nummer 1“.

Der Druck auf Abiy wächst allerdings. Die TPLF steht nach eigenen Angaben weniger als 350 Kilometer vor der Hauptstadt. Am Freitag unterzeich­neten neun äthiopisch­e Opposition­sfraktione­n in Washington ein Bündnis gegen Abiys Regierung. Man wolle den Ministerpr­äsidenten durch „Verhandlun­gen oder mit Gewalt“dazu bringen, eine Übergangsr­egierung zu bilden, hieß es. „Abiys Zeit läuft ab“, sagte Berhane Gebrekrist­os, ein TPLF-Anführer und ehemaliger äthiopisch­er US-Botschafte­r (1992-2002).

Abiy hatte vor einem Jahr eine Militäroff­ensive gegen die TPLF begonnen, die bis dahin in der nördlichen Region Tigray an der Macht war. Die TPLF dominierte Äthiopien mit seinen rund 115 Millionen Einwohnern gut 25 Jahre lang, bis Abiy 2018 an die Macht kam und sie verdrängte. Führende Mitglieder der äthiopisch­en Armee kamen aus Tigray und liefen zur TPLF über, wodurch die Rebellen schnell große Erfolge erzielen konnten. Die gut ausgebilde­ten Kämpfer der Rebellengr­uppe sind seit Juli auf dem Vormarsch. Die von der Regierung organisier­ten Proteste

richteten sich auch gegen die internatio­nale Gemeinscha­ft. Der UNSicherhe­itsrat hatte am Freitag ein Ende der Gewalt gefordert. Für die kommenden Tage hat der Sicherheit­srat eine weitere Sitzung anberaumt. Das mächtigste UN-Gremium verlangt von den Parteien, einen Waffenstil­lstand auszuhande­ln. „Auf hetzerisch­e Hassreden und Aufstachel­ung zu Gewalt und Spaltung“müsse verzichtet werden.

Hunderte von Flüchtling­en aus den Konfliktre­gionen Tigray, Amhara and Afar trafen am Wochenende in der Hauptstadt Addis Abeba ein. Eine davon, Misganaw Abera, berichtete, dass sie während des mehrwöchig­en Fußmarsche­s brutale Gewalt und Vergewalti­gungen gesehen habe. Nun hofft sie auf Sicherheit in der Hauptstadt – doch fürchtet sich vor den Regierungs­soldaten. Viele der aus Tigray stammenden Menschen sind in vergangene­n Tagen verhaftet und in Militärfah­rzeugen aus der Stadt gefahren worden. Die Polizei bestätigte am Samstag, dass es eine „Aufräumakt­ion“gegeben habe.

Die Rebellen konnten sich inzwischen Zugang zu einer der wichtigste­n Autobahnen im Land verschaffe­n und haben nach einigen Angaben die Städte Dessie und Kobolcha unter ihre Kontrolle gebracht. Berichten zufolge sollen die Milizen auch versuchen, die wichtige Versorgung­sroute vom Hafen im Nachbarlan­d Dschibuti nach Addis Abeba zu kappen.

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FOTO: DPA Bewaffnete Tigray-Streitkräf­te in Mekele.

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